Der Herr lässt seiner nicht spotten

Über Yahya Elsaghes genaue Lektüre von Thomas Manns letztem Werk „Die Betrogene“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es dürfte wohl abgesehen von den Weimarer Klassikern kaum einen deutschsprachigen Literaten geben (von Literatinnen ganz zu schweigen), zu dem eine ähnlich große Anzahl von Studien, Untersuchungen und sonstiger Sekundärliteratur verfasst wurde wie zu Thomas Mann. Manche meinen gar, das Regal sei voll, es sei alles Sagenswerte lange schon gesagt und man solle sich doch sinnvollerweise nach anderen Untersuchungsgegenständen umschauen, schließlich gebe es noch genug offene Fragen, die zu beantworten der Literaturwissenschaft gut anstünde.

Letzteres soll nicht bestritten werden. Dass sich jedoch auch zu dem einen oder anderen Werk des von seiner Familie als Zauberer verklärten Lübecker Literaten noch einiges nicht nur Neues, sondern tatsächlich sogar Erhellendes sagen lässt, hat Yahya Elsaghe nun mit seiner Studie über Manns letztes großes Werk, „Die Betrogene“, unter Beweis gestellt, das er „unter gendertheoretischem Gesichtswinkel“ einer „Relektüre“ unterzieht. Dabei richtet Elsaghe seine Aufmerksamkeit insbesondere auf „mythische Zitate und Reminiszenzen“ im Werk. Zudem „konfrontiert“ er die „rein geschlechterspezifische Problematisierung der patriarchalischen Ordnung“ mit der „Kritik an deren akademischen, religiösen, ökonomischen, militärischen und politischen Institutionen“. Und schließlich nimmt er seine so gewonnenen Erkenntnisse sowohl vor dem Hintergrund der „motivgeschichtlich mittelbar und unmittelbar verwandten Literatur“ – namentlich zu nennen sind hier „Ein Bekenntnis“ von Theodor Storm, Gottfried Benns „Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“ sowie (als theoretischer Text) Johann Jakob Bachofens „Mutterrecht“ – wie auch im Kontext von Manns Œuvre noch einmal genauer in den Blick. Vor allem in letzterem bewegt er sich bis in die feinsten Verästelungen noch der abgelegensten Schriften Manns geradezu mit traumwandlerischer Sicherheit.

Eine Kontextualisierung mit Werken von Literatinnen sucht man hingegen eher vergeblich. Sollten sie etwa tatsächlich keine einschlägigen Romane, Novellen, oder Lyrik von Relevanz verfasst haben? Dann hätte dieser Befund allerdings vermerkt und vielleicht selbst wieder beleuchtet werden müssen, gerade in einer gendertheoretisch orientierten Arbeit.

Und wenn Elsaghe guten Gewissens behaupten kann, Fredrick A. Lubich habe „bisher wohl am ehesten Ideologiekritisches zur deutschen Wirkungsgeschichte des Mutterherrschaftsjuristen [Johann Jakob Bachofen] beigesteuert“, dann kann dies nur dem misslichen Umstand anzulasten sein, dass er Peter Davies’ Studie über „Johann Jakob Bachofen in German Culture 1860-1945“ schwerlich berücksichtigen konnte, erschien sie doch erst vor wenigen Monaten.

Insgesamt jedenfalls fällt die vorliegende Arbeit überzeugend aus, und zwar von den grundlegenden Thesen bis hin zu den Analysen einzelner Textstellen. Wenn Elsaghe etwa konstatiert, „[d]aß in der ,Betrogenen‘ eine Frau im Zentrum der Handlung steht“, sei „letztlich Ausdruck einer zutiefst nostalgischen und modernitätskritischen, um nicht zu sagen reaktionären Gesinnung und einer geballten Angst: Angst der spätneuzeitlichen Menschen vor Krebs; Angst der Deutschen vor dem Fremden; Angst eines lübischen Patriziersohns vor Demokratie und Republikanismus; und vor allem eben auch Angst des Mannes vor der Sexualität der Frau“, so ist zwar nicht alles hiervon unmittelbar einsichtig. Doch versteht es der Autor, die meisten dieser wie auch seiner anderen Behauptungen zu plausibilisieren. Und die grundlegende These von der „wohl weniger misogyne[n] als vielmehr gynophobe[n] Tendenz der Novelle“ dürfte allen, die sie auch nur flüchtig gelesen haben, sofort einleuchten.

Nicht weniger plausibel ist auch die Interpretation des Motivs der lachenden biblischen Sara und der nicht lachenden Mann’schen Protagonistin: „Als Ganzes, so kann ,man‘ zumindest lesen, handelt Genesis 18 davon, wie das ,Patriarchat‘ sich durchsetzt und daß es jeden auch den letzten weiblichen ,Widerstand‘ bricht. ,Der Herr‘ läßt sich Saras Gelächter nicht gefallen.“ An diesem und an einigen weiteren Beispielen macht der Autor mehr als deutlich, dass „die biblische Überlieferung“ in Manns „Betrogener“ „nur noch als Referenztext ironischer bis zynischer Reminiszenzen [fungiert]“.

Titelbild

Yahya Elsaghe: Krankheit und Matriarchat. Thomas Manns "Betrogene" in den Kontexten des Spätwerks.
De Gruyter, Berlin 2010.
362 Seiten, 79,95 EUR.
ISBN-13: 9783110207279

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