Die Toten hätten viel zu erzählen

Aharon Appelfelds früher Roman „Katerina“ ist nun auch auf Deutsch erschienen

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aharon Appelfeld, 1932 in Czernowitz in der Bukowina geboren, gilt als einer der wichtigsten Erzähler der hebräischen Literatur. Seine teilweise autobiografischen Romane wie „Zeit der Wunder“, „Elternland“, „Blumen der Finsternis“, „Alles, was ich liebte“ oder „Die Eismine“ sind in mehreren Sprachen erschienen. Ihr Autor, der nach Ghetto, Lager und Flucht in die ukrainischen Wälder 1946 nach Palästina kam und bis zu seiner Emeritierung als Professor in Jerusalem Literatur lehrte, wurde mehrfach ausgezeichnet.

In seinem 1992 erstmals erschienenen Roman „Katerina“, der jetzt von Mirjam Pressler ins Deutsche übertragen wurde, erzählt Appelfeld die Geschichte der gleichnamigen Hauptfigur.

Knapp 80-jährig kehrt die Ich-Erzählerin über 60 Jahre nach ihrem Verlassen des Dorfes, auf das „kleine, verfallene Anwesen“ ihrer Eltern zurück: „Alles ist noch wie früher, nur die Menschen sind nicht mehr da“. Einsam schaut sie aus dem einzigen Fenster Richtung Fluss und erinnert ihr Leben: „Schade, dass es den Toten verboten ist zu sprechen. Sie hätten viel zu erzählen“, heißt es zu Beginn und am Ende ihrer Erinnerungsarbeit, die mit dem Ende des Textes zusammenfällt.

Sein Anfang spielt zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der damals zu Österreich-Ungarn gehörenden Bukowina, dem Grenzgebiet zwischen Rumänien und der Ukraine. Nach dem frühen Tod der Mutter verlässt die 16-jährige Katerina die Enge der ruthenischen Bauernwelt und den gewalttätigen und alkoholisierten Vater.

In der Stadt lebt sie auf der Straße, findet Gelegenheitsjobs, trinkt und findet schließlich Arbeit in einem jüdischen Haushalt. Ihre Angst und ihre Abscheu vor den Juden weicht zunehmend der Faszination und der Anpassung Katerinas an den jüdischen Alltag mit seiner Verschränkung von religiösen, kultischen und traditionellen Anforderungen. Nacheinander fallen die Hausherren Benjamin, den Katerina heimlich liebt, und seine Frau Rosa Pogromen zum Opfer. Das ruthenische Bauernmädchen landet wieder auf der Straße und schließlich bei einer jüdischen Pianistin, die jedoch Selbstmord begeht. Erneut findet sich Katerina einige Zeit unter Bettlern und Gestrandeten, bis sie den Juden Sami trifft. Aus der kurzen Beziehung zu ihm entspringt Katerinas Sohn Benjamin, der eines Tages von einem ruthenischen Dörfler auf offener Straße vor Katerinas Augen getötet wird. In blinder Wut ersticht sie den Mann und wandert dafür lebenslang ins Gefängnis. Auch dort schlägt ihr offener Judenhass entgegen: „Juden zu bestehlen sei ein besonderes Vergnügen, fast so gut wie Beischlaf“. Selbst die vorbeifahrenden Deportationszüge wollen die Gefangenen als Zeichen für die baldige eigene Freiheit verstehen. In den Wirren bei Kriegsende kommt Katerina schließlich tatsächlich frei, um am Schluss auf das verfallene elterliche Anwesen zurückzukehren.

Auch „Katerina“ ist wie die eingangs erwähnten Romane vor allem eine Geschichte der Verluste, des Misstrauens, der Angst und der Sprachlosigkeit, die Aharon Appelfeld faszinierend und beklemmend in die Gegenwart rettet.

Titelbild

Aharon Appelfeld: Katerina. Roman.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2010.
254 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346804

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