Anonymes Beieinander

Anke Velmekes trübsinniger Debütroman "Luftfische"

Von Gesa HinrichsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Gesa Hinrichsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er hatte sie und dann war es ruhig, sie spürte: nichts. Irgendwann lag sie am Boden, da war es bequemer, er, über ihr, trat auf etwas ein, trat gegen etwas, wogegen, sie schütze den Kopf, er trat, und es wurde ihm gar nicht langweilig, dieses Treten, das konnte er, das ging wie von selbst, und er trat."

Es ist ein betrübliches Bild, das Anke Velmeke in ihrem Erstlingsroman "Luftfische" zeichnet. Das Bild einer Familie mit Vater, Mutter und den Kindern Hannes, Paul und Lene. Lene ist dreizehn und Mittelpunkt der Geschichte. Sie steckt mitten in der "Pu- Pu- Pubertät" irgendwo im oder um den Ruhrpott, zwischen Aachen, Krefeld und Hagen oder auch weiter weg, das tut nichts zur Sache, es könnte überall sein. Die Geschichte von Vater und Tochter ist eine Geschichte des Schweigens. "Zwischen Lene und dem Mann war das Schweigen, spannte sich zwischen sie wie ein Laken, weiß und glatt; [...] Hochaufgerichtet gingen sie umeinander herum, das Laken zwischen ihnen blieb gespannt, makellos, kein Wort, keinen Blick, keine Geste weit ließ es sich ausbeulen, immer hielten sie den Abstand ein."

Häufig sind die allzu ausführlichen Schilderungen der Autorin ermüdend. Gar zu präzise beschreibt sie die Lebensumstände, die Gefühlsregungen der Protagonisten werden dagegen erstaunlich sparsam dargestellt. Von der Mutter erfährt man lediglich, dass sie immer dünner wird, ihren Mann selbst nicht leiden kann und nahezu erleichtert ist, als dieser eine Geliebte hat, obwohl sie nicht weiß, was diese an ihm findet.

Der Mann wird in der Entwicklung der Charaktere wenig objektiv dargestellt. Lenes Sicht auf ihn dominiert: ein brutaler, namenloser "Er", der Dachdecker und gleichzeitig Feuerwehrmann ist, der einen Traum von einem eigenen Haus mit Türmchen und Erkern und Treppchen hat und nur selten zu Wort kommt. Lene vergrault ihn schließlich ihrem eiskalten Hass aus dem Haus. Erst dann kann sie wieder mit ihm sprechen: "Jetzt duzte sie ihn sogar und sprach mit ihm und er mit ihr, als kennten sie sich, seien Bekannte oder sogar Verwandte, sahen sich dabei auch an, von Gesicht zu Gesicht, sagten sich Sätze und Nebensätze."

Auch das Verhältnis zwischen Lene und ihren Brüdern ist kein erfreuliches. Ihr Bruder Paul ist das Nesthäkchen, noch unschuldig und von allen beschützt. Hannes ist der älteste und dem Mann am ähnlichsten, so dass Konflikte vorprogrammiert scheinen. Er wird ausgeschlossen und geschlagen und verlässt die Familie schließlich. Seine einzige Bezugsperson, Lene, triezt er beständig, indem er sie mit ihren heißgeliebten Lakritzschnecken lockt: "sie mußte sich auf den Rücken legen, egal wo sie waren, und den Pullover hochziehen, [...] und vorsichtig mit spitzen Fingern legte er die Rollen auf ihre Brustwarzen."

Es ist ein Familienalptraum, eine Art Spiel ohne Interaktion: Das Haus wird zum "Grundriss, ein Spielbrett mit Gefahren- und Ruhefeldern, auf die sie ihre Körperfiguren setzten." Stets bemühen sich die Frauen, den Männern aus dem Weg zu gehen, ihnen nicht in die Quere zu kommen. Alle bewegen sich lautlos aneinander vorbei, keiner spricht miteinander, Probleme werden negiert, indem sie einfach nicht artikuliert werden und der Einzelne droht sich in diesem Wirrwarr nicht ausgeprochener Gefühle zu verlieren.

Nur einmal scheint sich Lene wohl zu fühlen, im Urlaub auf dem Campingplatz. Hier findet sie Anschluss an eine Gruppe Jugendlicher, die ihre Zeit damit totschlagen, auf einer Bank zu sitzen, zu rauchen, zu trinken und ganz einfach cool zu sein. Für kurze Zeit gehört Lene zu ihnen. Doch in dieser Zeit ist es ihre Mutter, die Lenes Spiel treibt und versucht, unbeachtet zu bleiben in einer Welt voller Gefühlskälte und Egoismus. Nur die Zigaretten und der Alkohol bleiben ihr treu.

Vielleicht ist es eine Durchschnittsfamilie mit Durchschnittsproblemen, doch ist die Stimmung so düster und scheint die Situation der Charaktere so aussichtslos, dass man nicht selten die Lust verliert, der Geschichte weiter zu folgen. Zu oft treibt Anke Velmeke ihr Spiel mit den Worten und Wörtern, zu häufig verwendet sie dieselben Stilmittel: Alliteration reiht sich an Alliteration, Ellipse an Ellipse. Sie verdreht Sinn, Satz- und Wortstellung, bis hin zur völligen Ermüdung des Lesers. Das mag der Stimmung, die dieses Buch erzeugen will, dienlich sein, dem Lesevergnügen nicht.

Titelbild

Anke Velmeke: Luftfische.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
160 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3406462065

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