Dracula für Anfänger

Über Matt Haigs vampiresken Familienroman „Die Radleys“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Matt Haigs Roman „Die Radleys“ beschreibt die Beziehungen in einer Familie, ihre Wünsche, Träume und Enttäuschungen. Und er lässt sich über die Entwicklung von Kindern aus, die sich von den Eltern ablösen und eigene Wege gehen – anders, als sich die Eltern dies vorstellen. Dass der vorgestellten Familie Radley die Besonderheit anhaftet, dass sie zur Spezies der Vampire gehören, verlagert die Familienprobleme. Diese beginnen mit einem außerplanmäßigen Mord von Peter und Helens Tochter, die erstmals ihren Instinkten und ihrem Nahrungstrieb als Vampir folgend einen Menschen tötet. Bei dieser ersten blutigen Szene kann sich der Leser dann auch entscheiden, ob er den Roman als eine der gerade Konjunktur habenden Vampirgeschichten à la Twilight-Saga rezipiert, oder ob er sich für eine generell metaphorische Sichtweise entscheidet – insofern dies nicht für alle Vampirgeschichten die favorisierte Lesart ist.

In dem Roman greift Haig erfreulicherweise nicht weiter in die blutige Requisitenkiste und beschreibt in langen Passagen ein fast biederes Familien-Idyll – was nicht heißt, dass die Lektüre langweilig ist. Als irritierendes Element wird noch ein ambitonierter, blutrünstiger Vampir namens Will eingeführt, der der Bruder von Peter ist. Ihm sind literarische Ambitionen nicht fremd. Selbstkritisch beschreibt er seine hoffnungslose Lebenssituation: „Ich führe dich zum wandellosen Leid, denkt er, als ihm dieses Zitat von Dante einfällt. Ich führe dich zum Volke der Verlorenen. Lasst, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren.“ Er ist der negative Gegenpol, der Böse, der die Idylle stört und gleichzeitig die Verlockung verkörpert. Sein „Vampirleben“ scheint dann auch sehr unterhaltsam zu sein – wobei Haig in den Beschreibungen einen Humor offenbart, der nicht unwesentlich zum Gelingen des Romans beiträgt: „Und dann waren da noch die Trips nach London zur roten Stunde. Zum Vampirpunk im Stoker Club. Zum Einkaufen in Vampirläden wie dem Bite an der King’s Road oder dem Rouge in Soho […].“

Würde man die „Vampirelemente“ aus dem Roman nehmen, bleibt eine psychologisch relativ übersichtlich strukturierte Geschichte: Etwa wenn die Selbstzweifel bei der Protagonistin Helen zu dem Schluss führen: „Das Gefängnis ist sie selbst.“ Wenn man sich dann durch die teilweise durchaus amüsanten „Ideen zum Leben als Vampir“ durchgearbeitet hat, findet sich der Leser unversehens wieder in idyllischen Gefilden: „Zu Hause angekommen, trinken Helen und Peter ihr Blut im Bett. Sie haben beschlossen, sich zivilisiert zu benehmen, weshalb sie es aus Weingläsern trinken, die sie im vergangenen Jahr kurz vor Weihnachten bei Heal’s gekauft haben.“ So eine „Idylle mit Vampiren“ braucht man eigentlich nicht. Da sei dann doch lieber Lord Byron – der im Roman als dichtender Vampir geoutet wird – empfohlen: „Quod me nutrit, me destruit.“ Dies hätte man eigentlich auch im Roman erwartet.

Titelbild

Matt Haig: Die Radleys. Ein Vampirroman.
Übersetzt aus dem Englischen von Friederike Levin.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010.
424 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783462042337

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