Shoot-out in den Bergen

Thomas Willmanns starkes Debüt, „Das finstere Tal“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die Provinz grausig sein kann und Gewalt allerorten ihre schlimmen Auswüchse zeigt, ist nicht neu. Film und Literatur sind voll von Outlaws und selbstgerechten Männern, die das Recht in die eigenen Hände nehmen. Diesem Topos oder Mythos, je nach Betrachtung, hat der 1969 in München geborene Autor Thomas Willmann ein beachtliches und in seiner komplex angelegten Handlung sehr stimmiges Buch hinzugefügt. In seiner Danksagung nennt er Sergio Leone und Ludwig Ganghofer als die etwas ungleichen Schutzheiligen seines Buches. Letzterer ist Stimmungsgeber für den Anfang, Ersterer für die Fortführung und das Finale. So beginnt dieses Buch in einer bewusst idyllisierenden und angestaubt wirkenden Sprache, gerade so, als hätte man einer Fotosammlung die Sepiafärbung und die abgestoßenen Ecken nachträglich zugefügt, um eine künstliche Authentizität herzustellen, deren Künstlichkeit der Rezipient gleichwohl sofort erkennt und auch erkennen darf. Man schreibt das 19. Jahrhundert. Es ist Herbst, ein junger Mann macht sich auf den Weg in ein schwer zugängliches Hochtal. Dort möchte er, der seine ganze Ausrüstung auf dem Rücken und einem Maultier mit sich führt, zeichnen und malen. Seine Ankunft ist die Potenzierung der Situation, die viele Menschen kennen, die alleine in eine Kneipe kommen, in der es nur Stammgäste zu geben scheint, denen der Missmut, die Abneigung ins Gesicht gemeißelt zu sein scheint. So, nur schlimmer, ergeht es Greider. Schnell zeigt sich, dass die sechs Söhne des Brenner Bauern im kleinen Dorf das Sagen haben und so organisieren sie für den unwillkommenen Fremden eine Unterkunft bei der Witwe Gader und ihrer schönen Tochter Luzi. Greider bezieht seine kleine Kammer, sortiert seine Künstlerutensilien und versucht über seine Wirtsleute erste Kontakte zum Dorf zu erhalten. Zu Fuß und mit dem Maultier ist er viel unterwegs, er macht Skizzen von der Landschaft, den Häusern und Gehöften und viel später von einzelnen Dörflern. Als der Wintereinbruch bevorsteht, muss er entscheiden, ob er bleiben will, da es während der heftigen Schneeperiode keinen Ausgang aus dem engen Hochtal gibt. Spätestens bei der Weihnachtsmesse erfährt der Leser, wer im Dorf regiert. Als nämlich alle am Platz vor der kleinen Kirche versammelt sind, prescht die Kutsche des Brenner Bauern heran, eskortiert von seinen Söhnen. Die weihnachtlich-festliche Stimmung der Bewohner ist Furcht und Vorsicht gewichen, so stark ist die Aura des Alten, so dominant seine Erscheinung. Und noch etwas wird an dieser Messe deutlich. Breiser, der Dorfpfarrer, ist ein harter, unbarmherziger Gottesmann, der seiner Gemeinde keine Freude gestattet und stattdessen Pflicht und Entsagung predigt. Doch eine Person empfindet in dieser Zeit sehr viel Freude und will sich keine Entsagung auferlegen. Es ist Luzi, die Tochter der Witwe Gader, die sich in einen gewissen Lukas verguckt hat – und er sich in sie. Thomas Willmann beschreibt mit viel Freude am Detail, aber auch mit großer Nähe zu den Liebenden, wie diese sich näher gekommen sind, wie sie auf die Einhaltung der Rituale achten, die Einladung Luzis und ihrer Mutter an die Eltern des jungen Mannes, die Vorbereitungen zum Gegenbesuch, schließlich die Überzeugung, die Beiden seien füreinander bestimmt und sollten recht bald heiraten.

Hier nun schleicht sich eine weitere Handlungsebene ins Buch, Sergio Leone winkt von fern, zumal es in kurzer Abfolge zwei grausige Unfälle gibt. Ein Brennersohn ist beim Holzmachen tödlich verletzt worden, ein zweiter in den Gebirgsbach und von dort ins Mühlrad gestürzt. Zweimal musste das Totenglöckchen geläutet werden. Nun erfährt man, wer Greiders Mutter ist, wo und wie sie aufgewachsen ist, welches Schicksal sie erleiden musste (und mit ihr viele junge Frauen im Dorf). Man bekommt auf drastische Weise erzählt, wie unglaublich brutal und ohne jede Moral die unterschiedlichsten Personen sich an Anderen vergangen haben, dabei immer die Wahrung ihrer Interessen und ihrer Macht- und Besitzverhältnisse im Blick. Und Thomas Willmann nimmt den Leser mit in Greiders enges Zimmer, wo er eine Leinwand aufgespannt und zu malen begonnen hat. Unter dem Bett holt er eine weitere große Röhre hervor, der er allerdings etwas ganz anderes entnimmt. Was nun, am Abend der Hochzeitsfeier von Luzi und Lukas beginnend, seinen Lauf nimmt, ist unglaublich spannend geschrieben, raffiniert aufgebaut, weil der Autor mehrere Zeit- und Handlungsebenen ineinander übergehen lässt, quasi filmisch erzählt. Hier zeigt sich der moderne Autor, der unter anderem Cormac McCarthy als Vorbild nennt. Unweigerlich tritt einem beim Lesen ein anderer Regisseur förmlich vors Auge, Clint Eastwood, dessen „Erbarmungslos“ sowohl szenisch, als auch im Wortsinn Pate gestanden haben könnte für den heftigen Teil dieses sehr gelungenen und immer wieder überraschenden Buches.

Jürgen Christian Kill, Verleger des Liebeskind Verlages beweist ein weiteres Mal sein erstaunliches Gespür für besondere Literatur, schließlich verdankt ihm das deutschsprachige Lesepublikum die Veröffentlichung so großartige Bücher, wie die von James Sallis, Pete Dexter und David Peace. Thomas Willmann kann sich selbstbewusst daneben stellen.

Titelbild

Thomas Willmann: Das finstere Tal. Roman.
Liebeskind Verlagsbuchhandlung, München 2010.
320 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783935890717

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