Schuld ist immer die Frau

Marlene Streeruwitz klärt den Lesenden in ihrem neuen Erzählband „Das wird mir alles nicht passieren….“ darüber auf, wie man Feministin bleibt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist gerade einmal zwei Jahre her, da erschien ein von Günter A. Höfler und Gerhard Melzer herausgegebener Sammelband mit diversen Aufsätzen, Essays, Analysen und Rezensionen der Werke einer der nicht nur sprachbewusstesten deutschsprachigen AutorInnen des 20. und 21. Jahrhunderts: Marlene Streeruwitz. Zwar ist der Band insgesamt instruktiv, doch lässt er ausgerechnet das bislang vielleicht gelungenste Werk der österreichischen Autorin unbeachtet.

Entschuldigt wird er alleine dadurch, dass er es gar nicht beachten konnte. Denn Streeruwitz’ Erzählband, von dem hier die Rede ist, ist soeben erst erschienen. In seinem Titel verspricht sich jemand selbst: „Das wird mir alles nicht passieren…“. Wem auch immer die titelstiftende Selbstversicherung zuzurechnen ist, ihr offener Schluss deutet an, dass es sich auch um eine veritable Selbsttäuschung handelt. Und vielleicht nimmt der Titel sogar die mutmaßliche Lektüre-Reaktion selbstgewisser LeserInnen vorweg.

Wie dem auch sein mag. Die vom Untertitel aufgeworfene Frage „Wie bleibe ich FeministIn“ wird sich den wenigsten von ihnen stellen. Nicht, weil sie die Antwort seit langem schon in petto haben, sondern weil sie nie eine FeministIn waren, oder sein mochten. Doch wer weiß, vielleicht ändert sich gerade das während und nach der Lektüre. Schon die erste der Erzählungen könnte dazu beitragen. Was auch immer wem misslingt, stets liegt die Schuld bei ihrer Protagonistin, der einzigen weiblichen Figur. Schuldzuweiser sind die Männer der Erzählung: ihr Partner, der Gärtner, der Installateur. In dieser Erzählung über einen ganz nach Intellektuellenart gesitteten Haustyrann schlägt sich die Objektivierung männlicher Subjektivität durch die Perspektive der Frau hindurch auch in der Sprache nieder. So heißt es etwa über ihr Habilitationsvorhaben: „Das wurde als ihr Hobby angesehen.“ Hier ist das männliche Subjekt dieser Ansicht gleich bis zur Absenz objektiviert.

Mit den Geschlechterverhältnissen hingegen spielt die zweite Geschichte. Dies heißt natürlich nicht, sie schlicht umzukehren. Und schon gar nicht bei einer Autorin vom Range Streeruwitz’. Obgleich die Erzählung zunächst genau diesen Anschein erwecken könnte. Ist ihr Protagonist doch ein „stiller Mann“, der als unscheinbarer Begleiter seiner im Auswärtigen Dienst reüssierenden Frau von Botschaftsempfang zu Botschaftsempfang eilt und zudem noch die Erziehung des gemeinsamen Kindes übernimmt. So muss er denn auch dafür herhalten, wenn ein Botschafter damit renommieren möchte, „dass in seinem Büro die Geschichte mit dem Geschlecht und den Kindern überhaupt keine Rolle mehr spielt“.

Geachtet aber wird der erziehende Vater weder von dem Botschafter, noch von all den „Müttern aus der deutschen Schule“, die zwar behaupten, es „toll“ zu finden, dass er als Mann sich um das Kind kümmert. Die eigenen Töchter und Söhne wollen sie ihm aber lieber nicht anvertrauen. Denn es gibt da ein gewisses Vorurteil. Und das, wie Streeruwitz in einer für die Erzählung typischen Wendung zeigt, aus gutem Grund: Schließlich hat er eine Affäre mit der Mutter von Janine. Schon bald kippt die vermeintliche Rollenumkehrung zurück ins Rollenklischee, das hier aber eben dadurch keines ist oder auch nur sein könnte. Und wie bei einem Kippbildchen erscheint die Männerfigur darauf sogleich wieder in einer typisch weiblichen Rolle. So oszilliert er zwischen ,männlichen‘ und, weiblichen‘ Klischees, bis es den Lesenden schließlich vor den Augen flimmert.

Oft sind es hoffnungslose Geschichten gegen die Hoffnungslosigkeit, ausweglose gegen die Ausweglosigkeit, die Streeruwitz für diesen Band geschrieben hat. Doch selbst der Figur Isabella ist durchaus nicht wirklich „alles gleichgültig“. Dies zeigt sich noch in ihrer Klage darüber, zu den „armen Säuen“ zu zählen.

Andere Kurzgeschichten wiederum sind todtraurig, wie etwa diejenige über den Lebensabend einer Frau, die aus ihrer Wohnung ausziehen muss und ihre Bücher nicht mitnehmen kann. Doch wenigstens deren kopierte Rücken nimmt sie mit, fein säuberlich in einem Ordner abgeheftet. Er ist ihr so viel wert, als stünden die Bücher selbst noch bei ihr im Regal.

Nicht unbedingt in diesem Fall, doch meist sind Erzählungen dieses Bandes mit einer ironisierenden Leichtigkeit geschrieben, wie man sie von Streeruwitz so kaum kennt. Außerordentlich amüsant etwa ist die Szene, in der eine Soziologin nach dem Vortrag einer Filmemacherin erklärt, „wie das ist mit der Kunst“ und eine andere die Gelegenheit nutzt, für ihr Forschungsprojekt zu werben. Hochoriginell – und nicht minder vergnüglich – wiederum die Leidensgeschichte einer verlassenen „Fernsehmoderatorin mit verweinten Augen“, wobei das schlimmste ist, dass sich ihr Liebhaber sich nicht einmal mit einer jüngeren davon gemacht hat. All diese Geschichten kommunizieren unter- und miteinander. Zu Beginn wenigstens, dann aber verlaufen sie sich.

Wie eingangs gesagt: Bei dem eher schmalen Erzählbändchen handelt es sich um eines der besten Bücher von Marlene Streeruwitz. Und das will angesichts ihres fulminant-feministischen Werkes einiges besagen. Dabei kommt die Autorin diesmal nahezu völlig ohne ihren den typischenStreeruwitz-Stil aus. Nur langsam, von Erzählung zu Erzählung, scheint er sich allmählich aufzubauen. Aber nur um sich wieder zu verlieren, bevor er zur Entfaltung kommen kann. Schade ist das eigentlich nicht.

Und – ach ja: Der Untertitelt stellt gar keine Frage, dazu fehlt ihm das entsprechende Satzzeichen. Also enthält er wohl vielmehr das Versprechen, einen Ratgeber in Händen zuhalten, der eben diese Frage beantwortet. Typisch Streeruwitz’scher Witz eben.

Titelbild

Günther Höfler / Gerhard Melzer (Hg.): Dossier 27. Marlene Streeruwitz.
Literaturverlag Droschl, Graz 2008.
248 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783854207320

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Titelbild

Marlene Streeruwitz: Das wird mir alles nicht passieren... Wie bleibe ich FeministIn.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010.
151 Seiten, 9,95 EUR.
ISBN-13: 9783596177349

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