Schicksale aus dem Kulturleben Berlins

Günter de Bruyns spannende Essays verwirklichen eine poetische Geschichtsschreibung der Jahre 1807-1815

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bereits in seinem hochgelobten Essayband „Als Poesie gut“ aus dem Jahre 2006 skizzierte Günter de Bruyn anhand von Kurzporträts einzelner Künstler und Schriftsteller die Berliner Kulturepoche zwischen 1786 und 1807. Jetzt liegt mit „Die Zeit der schweren Not“ der Fortsetzungsband vor, in dem der Autor die Berliner Jahre zwischen 1807 und 1815 betrachtet.

Es sind Jahre materieller Not und politischer Ohnmacht, denn nach der Niederlage gegen Napoleon liegt Preußen politisch und wirtschaftlich am Boden. Für die Kultur sind es jedoch keine Notjahre. Vielmehr hat die militärische Niederlage dem zerrütteten Land einen moralischen und geistigen Aufschwung gebracht. Jetzt sind Reformen möglich wie die Selbstverwaltung der Städte oder die Erneuerung des Bildungswesens, in deren Folge auch die Berliner Universität entsteht.

In diesen Armutsjahren gibt es zwar für die Baumeister und Architekten nur wenig Aufträge, doch Künstler wie Karl Friedrich Schinkel und Christian Daniel Rauch finden Aufgaben in der Malerei und Bildhauerei. Auch in der Literatur entstehen, vor allem durch Heinrich von Kleist und Adelbert von Chamisso, Werke von bleibendem Wert.

In 47 kurzen Einzelporträts macht Günter de Bruyn mit Zeugen und Charakteren dieser historisch äußerst bewegten Epoche bekannt, so mit den berühmten Staatsmännern und Militärs wie Stein, Carl August von Hardenberg, August Neidhardt von Gneisenau, Gerhard von Scharnhorst und Carl von Clausewitz, oder den großen romantischen Dichtern wie Joseph von Eichendorff, Clemens Brentano, Achim von Arnim, Friedrich de la Motte Fouquè oder E.T.A. Hoffmann. Einen breiten Raum nehmen auch die Persönlichkeiten des preußischen Widerstandes und Volkssturms gegen Napoleon ein: Friedrich Ludwig Jahn, Theodor Körner, Ferdinand von Schill und Ludwig Adolf Wilhelm Lützow.

Günter de Bruyn hat zahlreiche Fakten sowie neue Gesichtspunkte und Details über Preußens Denker, Dichter und Künstler zu Beginn des 19. Jahrhunderts zusammengetragen. Mit einem wunderbaren Erzählstil verbindet er die einzelnen Persönlichkeitsporträts zu einem umfassenden Bild des Berliner und preußischen Kulturlebens in dieser Zeitepoche. Dabei geht der Autor auch auf die damaligen Lebensumstände in Preußen ein.

„Die Zeit der schweren Not“ ist große Erzählkunst und spannende Geschichtsschreibung in einer glücklichen Verbindung. Diesen Charakter der poetischen Geschichtsschreibung (oder historischen Belletristik) unterstreichen noch die zahlreichen historischen Abbildungen sowie der ausführliche Anhang mit Zeittafel und umfangreicher Bibliografie.

Titelbild

Günter de Bruyn: Die Zeit der schweren Not. Schicksale aus dem Kulturleben Berlins 1807 - 1815.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
432 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783100098344

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