Kompensationskonstruktion

In Afghanistan, Iran und anderen Krisengebieten sind existenzielle Fehler an der Tagesordnung. Jenny Siler baut daraus einen lesenswerten Thriller

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die politischen Krisenherde des 21. Jahrhunderts provozieren eine weit reichende Wandlung des Thrillers, dessen Basis ja immer internationale politische Frontstellungen waren. An die Stelle des Eisernen Vorhangs, der vor nun mehr als 20 Jahren gefallen ist, sind andere Paradigmen getreten: der Balkan, Afghanistan, Iran, der Krieg der Kulturen, die Friktionen des russischen Modernisierungsprozesses, neue multikulturelle Mischgesellschaften, die aus den verstärkten Migrationen des 21. Jahrhunderts entstehen. Keine neue Langeweile ist zu konstatieren, sondern ein vitales Feld, in dem die Geschichten gedeihen wie selten zuvor.

Ältere Thriller stehen dem gegenüber wie jene Agenten in den neueren Romanen, die den guten alten Zeiten nachtrauern, in denen die Verhältnisse vielleicht verworren, die Auseinandersetzungen nicht minder blutig, aber hinter allem wenigstens noch klare Parteien und nachvollziehbare Interessen standen. Im Vergleich dazu befinden wir uns heute (thrillermäßig) in einer Art Vorhölle, in einem Mysterienraum, der blutiger und irrationaler nicht sein könnte.

Alles also gut? Das vielleicht nicht, aber interessant in jedem Fall. Zumal die Anforderungen an Thriller-Autoren wachsen. Die Geschichten werden komplexer, die Verbindungen fragiler, die Frontstellungen wechseln rasch, die Interessen sind vielfach verwoben. Das führt zu erzählerischen Konstruktionen, die ihre Leser (und gelegentlich auch ihre Autoren) zu überfordern drohen. Was allemal ein Indiz dafür ist, dass der Roman Komplexität reduzieren muss, damit Ereignisse, Beziehungen und Strukturen erzählbar werden. Eine Aufgabe, an der Literatur immer wieder scheitert, wie andere Kunstformen auch: Nicht nur die „entfesselte Ökonomie“ ist künstlerisch kaum darstellbar. Auch andere komplexe Formen gesellschaftlichen Handelns sind davon nicht ausgenommen, die internationalen Beziehungen inklusive.

Jenny Siler setzt mit ihrem Thriller intelligenterweise an einem Randbereich des Geschehens an. Ein junger Marokkaner, der für die Amerikaner arbeitet, muss mitansehen, wie ein amerikanischer Kontaktmann von den eigenen Leuten ermordet wird, und flieht. Daraufhin setzen seine Verfolger eine Verhörspezialistin ein, die den jungen Mann seinerzeit dazu bewogen hat, sich als Informant für die Amerikaner anwerben zu lassen. Als der Verfolgte dann auch noch Kontakt mit dem Vorgänger des getöteten Kontaktmannes aufnimmt, ist das Personal im Wesentlichen komplett.

Das Muster: Ein junger Mann auf der Flucht, die Verhörspezialistin und der ehemalige Kontaktmann folgen ihm, beide werden von jener geheimnisvollen Gruppe überwacht und verfolgt, die anscheinend eine größere Reinmachaktion durchzieht und die Mitwisser einer Aktion in Afghanistan wenige Jahre zuvor tötet. Siler baut ihren Text deshalb so auf, dass er drei Fragen beantworten kann: Warum soll der Informant getötet werden? Von wem soll er getötet werden? Und schließlich, wie kann er sich den Verfolgungen entziehen beziehungsweise wie können ihn seine Gönner vor den Nachstellungen einer offensichtlich illegitimen, wenn nicht illegalen Geheimdienstlertruppe retten?

Die ersten beiden Fragen sind relativ einfach zu beantworten: Dahinter muss natürlich eine amerikanische Geheimaktion in Afghanistan stecken, die entweder so bedeutend und geheim (vielleicht sogar misslungen) ist, dass auch Jahre später niemand von ihr erfahren darf. Oder die Truppe hat einen großen, wenngleich illegalen Coup gelandet und muss jetzt ihren Profit vor der Öffentlichkeit bewahren.

Was von beidem hinter den blutigen Aktionen steckt, bleibt am Ende sogar ein bisschen im Unklaren (Siler erzählt eine wahrscheinliche und eine weniger wahrscheinliche Version). Nun droht die Aktion hochzugehen, öffentlich zu werden, da bei einem Verhör ein Gefangener gestorben ist. In der Verhandlung, in der sich einer der Verhörspezialisten verantworten muss, drohen Details der Umstände öffentlich zu werden. Zeugen und Beteiligte kommen nun unter merkwürdigen Umständen ums Leben. Nun droht dasselbe Schicksal auch dem Marokkaner.

So weit, so gut, spannend oder nicht – solche Hintergründe gehören zum gängigen Motivreservoir des gegenwärtigen Thrillers, was auch für die dritte Frage zutrifft. Denn es scheint fast so, als ob sich der Thriller in den letzten Jahren bevorzugt mit der Frage beschäftigt, wie eine hoffnungslose Situation gelöst werden kann, wie ein prädestiniertes Opfer, jemand, der keine Chance besitzt und seinen Verfolgern unterlegen und ausgeliefert ist, gerettet werden kann. Siler macht hier keine Ausnahme. Und in der Tat ist die Konstruktion von Auswegen aus hoffnungslosen Situationen eine intellektuell reizvolle Aufgabe, selbst wenn die Rahmenbedingungen selbst gewählt sind.

In diesem Fall stellt sie dem jungen Marokkaner zwei Hilfskräfte zur Seite, den alten Geheimdienst-Mann, der selber verfolgt wird, und die ehemalige Verhörspezialistin, die sich für ihre damaliges Einwirken auf einen Fünfzehnjährigen zu schämen begonnen hat. Wer mehr wissen will, muss den ungemein kurzweiligen Thriller Silers einfach selbst lesen.

Titelbild

Jenny Siler: Verschärftes Verhör. Thriller.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Susanne Goga-Klinkenberg.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2010.
310 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783596183111

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