Der Freund als Seelentröster

Friedrich Nietzsche und die Overbecks

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 19. April 1869 kommt Friedrich Nietzsche als Professor für griechische Sprache und Literatur aus Leipzig nach Basel. Ein Jahr später wird Franz Overbeck (1837 - 1905) als Professor für Neues Testament und Kirchengeschichte ebenfalls nach Basel berufen und wohnt im selben Haus wie Nietzsche. Beide freunden sich an. In der "Baumannshöhle" zu Basel werden sie "Tisch-, Haus- und Gedankenfreunde" oder, wie es auch heißt, "Wunsch-, Waffen- und Wandnachbarn". Aber Arbeitsbelastung und "der Ehrgeiz, nicht nur den Forderungen des Amts zu genügen, sondern sich auch als kultur- und gesellschaftskritische Intellektuelle Gehör zu verschaffen", überspannt ihre Kräfte innerhalb weniger Jahre. Insbesondere Nietzsche hat oft gesundheitliche Probleme, so dass er eines Tages seine Schwester bitten muss, mit ihm einen eigenen Hausstand zu gründen. Overbeck heiratet kurz darauf Ida Rothpletz. Doch die Freundschaft der beiden hat durch die räumliche Trennung nicht gelitten, im Gegenteil, sie hält ein Leben lang an und schließt nach Overbecks Heirat auch Ida Overbeck mit ein. Seit 1871 tauscht man regelmäßig Briefe aus, die jetzt erstmals als geschlossene Korrespondenz vollständig veröffentlicht wurden. Die beiden Herausgeberinnen haben sie kenntnisreich eingeleitet, kundig kommentiert und ihre Erläuterungen durch ein Namens- und Werkregister ergänzt. Der Briefwechsel umfasst einen Zeitraum von mehr als siebzehn Jahren und enthält 237 Briefe von Nietzsche, aber nur 94 von Overbeck und drei von Ida Overbeck, da ein großer Teil der Briefe Overbecks verloren gegangen ist.

Die Briefe der beiden jungen Gelehrten spiegeln die Grundstimmung ihrer Zeit (man wechselt schnell vom strengen Sie zum vertraulichen Du), ihre Lust am Sprachspiel und an der polemischen Pointe. Sie haben ironischen Schwung und bisweilen einen übermütigen Klang. Beide interessieren sich für die Antike und das Urchristentum, begeistern sich anfangs für Wagners Musik und lesen Schopenhauer. Viel "Lebenswirklichkeit" ist in den Briefwechsel eingegangen, wie Stefan Zweig einmal zutreffend bemerkt hat. Diese Wirklichkeit ist aber auch geprägt durch Nietzsches Krankheit, Einsamkeit und Selbstüberforderung. Wegen ständiger Kopf- und Magenbeschwerden muss er sich hin und wieder beurlauben oder Vorlesungen ausfallen lassen. 1879 beginnt Nietzsche seine Wanderexistenz, stets auf der Suche nach einem Ort, der seiner Gesundheit zuträglich ist. Rückhaltlos äußert er sich Overbeck gegenüber immer wieder über seine seelischen und körperlichen Leiden.

Am 31.12.1873 schreibt Nietzsche von Naumburg: "Gesundheit schlecht, ich lag zu Bette, und kann nicht nach Bayreuth kommen." Dann wieder klagt er über "starkes Magen- und Bauchübel " und: "Es geht mir fürchterlich."Aus Wiesen erreicht Overbeck eine Postkarte mit dem Inhalt: "Schmerz, Einsamkeit, Spazierengehen, schlechtes Wetter - das ist mein Kreislauf." Dann wieder bittet Nietzsche ihn: "Verzeih die Weitläufigkeit aller dieser Mittheilungen", oder er berichtet von seinen bösen schwarzen Empfindungen, "darunter war ein wahrer Haß auf meine Schwester". Overbeck wiederum spart nicht mit guten Ratschlägen: "Bitte lies doch ja nicht zu viel, und durchkreuze damit nicht, was Marienbad Deinen Augen Gutes erweisen kann", schreibt er am 10. Juli 1880 an Nietzsche in Marienbad. Aber auf die Dauer kann er dem Freund nicht helfen. Nebenbei verwaltet er Nietzsches Konten und besorgt seine Post.

Die Freunde unterhalten sich daneben auch über politische Ereignisse und Entwicklungen, über Bismarcks letzte Rede, die "wiederum nicht der Gipfel der Staatsweisheit" gewesen sei. Man berichtet einander von Todesfällen, etwas Klatsch und Tratsch über Freunde und Bekannte ist ebenfalls dabei. Später kommt Nietzsche wiederholt auf die gescheiterte Beziehung zu Richard Wagner zu sprechen. Aufmerksam verfolgen beide die Ende der siebziger Jahre einsetzende antisemitische Agitation. Auch von der Lektüre verschiedener Bücher ist die Rede, von wissenschaftlichen Projekten und Werkplänen. Nietzsche findet zum Beispiel schon früh Gefallen an der russischen Literatur. Man unterhält sich über Stifters "Nachsommer", über die Musik von Bizet, Brahms, Mozart und Chopin. In einem Brief berichtet Nietzsche von einem geistreichen und streitbaren Dänen namens Dr. G. Brandes, der mehrere Ergebenheitsbriefe an ihn geschrieben habe und ihn, "den bei weitem ersten Schriftsteller Deutschlands" nenne.

Nietzsches Briefe sind ein erschütterndes Zeugnis seiner seelischen Befindlichkeit, etwa wenn er am 12. 2. 87 den Freund wissen lässt, ihm sei immer mehr zu Bewusstsein gekommen, dass "in fünfzehn Jahren auch nicht eine einzige werthvolle, sachlich tiefe, interessante und interessirte Recension" über eins seiner Bücher geschrieben worden sei und dass ihm beständig gegenwärtig sei, dass ihn in dieser Zeit "auch nicht Ein Mensch...'entdeckt"' habe, "mich nöthig gehabt hat, mich geliebt hat, und daß ich diese lange erbärmliche schmerzenüberreiche Zeit durchlebt habe, ohne durch eine ächte Liebe getröstet worden zu sein." In einem anderen Brief vom 19. Januar 1882 sieht er sein Schicksal voraus: "Eine sehr langsame und lange Bahn wird das Loos meiner Gedanken sein -ja, ich glaube, um mich etwas blasphemisch auszudrücken, an mein Leben erst nach dem Tode und an meinen Tod während des Lebens."

Im Jahr 1888 scheint sich eine Wende anzubahnen. Am 18.Oktober heißt es in einem Brief von Nietzsche: "Alles wird mir leicht, Alles geräth mir, obwohl schwerlich schon Jemand so große Dinge unter den Händen gehabt hat." Das Erscheinen von vier Büchern kündigt er an, darunter das "Buch der Umwerthung aller Werthe." Und einen knappen Monat später frohlockt er: "Beim besten Willen, alter Freund Overbeck, gelingt es mir nicht, Dir etwas Schlimmes von mir zu erzählen. Es geht fort und fort in einem tempo fortissimo der Arbeit und der guten Laune." Noch am 29. Dezember 1888 versichert er Overbeck, "mein Befinden ist nach wie vor ausgezeichnet." Alles deutet darauf hin, dass der Philosoph in einen Schaffensrausch geraten ist, dass er sein seelisches Gleichgewicht gefunden hat und dass der ewig kränkelnde Körper nun endlich der Vergangenheit angehört.

Wohlgemut und zukunftsfroh, so wirkt er noch kurz vor seinem Zusammenbruch in Turin im Januar 1889, mit dem dann der unmittelbare Austausch der Freunde in Brief und Gespräch endet. Doch bis zu seinem eigenen Tod am 26. Januar 1905 hat Overbeck nicht aufgehört, mit Nietzsche "umzugehen". Mit Fug und Recht zählte er sich zu Nietzsches "wirklichen Freunden".

Titelbild

Friedrich Nietzsche / Franz Overbeck / Ida Overbeck: Friedrich Nietzsche, Franz und Ida Overbeck, Briefwechsel. Meyer, Katrin u. Barbara von Reibnitz (Hrsg.).
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 1999.
400 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 347601617X
ISBN-13: 9783476016171

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch