Global lesen, lokal schreiben

Mit dem Sammelband „Arno Schmidt global“ liegt der erste große Überblick zur weltweiten Arno Schmidt-Rezeption vor

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist wieder soweit: In diesem Herbst ist Arno Schmidt in unseren Feuilletons allgegenwärtig. Vierzig Jahre nach der Erstausgabe erscheint sein opus magnum, der gigantomanische Roman „Zettel’s Traum“, in einer konventionell gesetzten Fassung. Bisher war das Buch nur als Reproduktion des originalen Typoskripts erhältlich, schon weil es mit den Techniken von 1970 zu lange gedauert hätte, wenigstens in der Aufmachung ein „normales“ Buch daraus zu machen. Jedenfalls ist diese Neuausgabe ein schöner Anlass, einen Blick auf die globale Rezeption des Autors zu werfen, die nun auch immerhin schon 60 Jahre anhält.

Zwar gab es dazu schon einzelne Aufsätze, etwa im „Bargfelder Boten“, dem Hausorgan des nur halb-ironisch so genannten „Arno-Schmidt-Dechiffrier-Syndikats“, aber die lieferten meist nur Bruchstücke zu einzelnen Ländern und Autoren. Von Robert Weninger existiert außerdem die sehr gute Studie „Framing A Novelist: Arno Schmidt Criticism 1970-1994“ (1995), die nur das Vierteljahrhundert nach „Zettel’s Traum“ abdeckt und sich weitgehend auf Echos in der literaturwissenschaftlichen Forschung beschränkt.

Was der Journalist, James Joyce-Liebhaber, Arno Schmidt-Forscher, Herman Melville- und Mark Twain-Übersetzer Friedhelm Rathjen herausgegeben hat, ist allerdings sehr viel ehrgeiziger: nämlich die gesamte internationale Schmidt-Rezeption seit der Nachkriegszeit im Überblick sichtbar zu machen. Man wundert sich, ob das in einem solch schmalen Bändchen auch nur annähernd möglich ist. Nach genauer Lektüre kann man Entwarnung geben. Doch, im Großen und Ganzen funktioniert das sehr wohl.

Und der Klappentext hat Recht: Man kann nur staunen, dass ein als äußerst sperrig geltender Autor weltweit so viel Anklang findet. Seine Werke sind in etwa dreißig Sprachen übersetzt. Dazu gehören natürlich die üblichen Weltsprachen, aber auch kleinere Idiome wie das Mazedonische. Ein großes Publikum hat Schmidt nirgendwo gefunden, auch nicht in Frankreich oder den USA, wo bereits ein relativ großer Teil des Werkes übertragen wurde. Stattdessen fanden sich aber weltweit passionierte Literaturliebhaber, die sich für Schmidts Werke einsetzen, so wie Claude Riehl in Frankreich, oder ihn kongenial übersetzen, wie eben Riehl oder auch der Amerikaner John E. Woods. Nicht zuletzt hat Schmidt auch unter Autoren eine lobende Resonanz gefunden, wie man sie kaum erwartet hätte. Dazu gehören lateinamerikanische Größen wie Carlos Fuentes, Roberto Bolaño und Julio Cortázar, aber auch der in Deutschland viel gelesene Portugiese Antonio Lobo Antunes. Das sind Schriftsteller, die Schmidt teilweise in Übersetzung kennen gelernt haben. Rathjen interviewt den britischen Komponisten Andi Spicer, der an einer Oper nach Schmidts „Gelehrtenrepublik“ arbeitet. Es gibt ein Statement des einzigen georgischen Schmidt-Forschers Levan Tsagareli, und der dänische Dramatiker Peter Laugesen liefert als Hommage einen bis zur Mimikry ans Vorbild angepassten Schmidt-Monolog.

Wie man schon aus der bloßen Aufzählung sieht, ist Rathjens Sammelband äußerst abwechslungsreich gehalten. Künstler und Übersetzer, professionelle Forscher und Privatgelehrte kommen gleichermaßen zu Wort; West- und Osteuropa, Nord- und Südamerika sind ausführlich vertreten, die afrikanische und asiatische Rezeption ist so spärlich, dass Rathjen sie im Vorwort gleich mitbehandelt. Die meisten Artikel sind aufschlussreich und lebendig geschrieben, wobei sicher Stéphane Zékian zu Frankreich und Iannis Goerlandt über die Niederlande und Flandern die besten Forschungsarbeiten abliefern.

Der einzige Beitrag, der sich etwas problematisch ausnimmt, ist der von Timm Menke zur Schmidt-Rezeption im englischsprachigem Raum, aus der man eher persönliche Enttäuschung über einen ausbleibenden Schmidt-Boom und eine Abrechnung mit der Arno Schmidt Stiftung herausliest als einen umfassenden Überblick zur Rezeption in den USA und Großbritannien. Menke spricht allerdings einen wichtigen Punkt an, den die anderen Beiträge nicht so stark herausstellen: dass es nämlich weltweit begeisterte Schmidt-Leser und Übersetzer gibt, die akademische Forschung jedoch, auch in der Auslandsgermanistik, ganz überwiegend in den Händen von Muttersprachlern ist. Warum das so ist, lässt sich schwer sagen, denn die vermeintliche Sperrigkeit Schmidts scheint ja für die anderen Leser, von denen hier die Rede ist, kein Hindernis zu sein. Menke hat sich immerhin verdienstvoll für die Schmidt-Rezeption in den USA eingesetzt, indem er 1992 und 2000 zu großen Schmidt-Tagungen an die Portland State University in Oregon lud, aber letztlich bestand auch dort der allergrößte Teil der Referenten aus Muttersprachlern (der Rezensent war Ohrenzeuge).

Hier hätte man sich Rathjens informatives, aber knappes Vorwort doch etwas ausführlicher gewünscht – oder man hätte noch ein Resümee anschließen können, das die Tendenzen der weltweiten Rezeption nach der Lektüre der bunten Beiträge zusammenfasst. Vielleicht hätte sich noch mehr über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Rezeption sagen lassen, ob es etwa Differenzen zwischen Autoren und Übersetzern einerseits und Forschern andererseits gibt, wo die Vermittlungsprozesse insgesamt eher über die Übersetzungen laufen und wo die Rezipienten eher zu den Originalen gegriffen haben, oder wie sich die globale Rezeption des Autors im Vergleich zu der anderer deutscher Nachkriegsschriftsteller ausnimmt. Manchmal hätte man sich auch mehr Ausführlichkeit gewünscht. So ist der Band eher ein gelungener Einstieg in das Thema der globalen Schmidt-Rezeption als die endgültige Antwort auf alle Fragen. Weiterforschen kann man dann immer noch – dafür sorgt schon die exzellente bibliografische Dokumentation, auf der sich dann eigene Erkundungen aufbauen lassen.

Titelbild

Friedhelm Rathjen (Hg.): Arno Schmidt global. Eine Bestandsaufnahme der internationalen Rezeption 1952-2010.
edition text & kritik, München 2010.
140 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-13: 9783869160863

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