Vorsicht beim Betreten der Baustelle

Eigene Websites für einzelne Bücher haben ihren Sinn. Und ihre Tücken

Von Kerstin BurdaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kerstin Burda und Ann-Christine ReehRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ann-Christine Reeh

Leser interessieren sich für Bücher und Autoren: Wo ein neuer Roman erscheint, ist ihnen nicht so wichtig. Kein Wunder, dass Verlage im Internet nicht nur für ihre Marke und ihr Gesamtprogramm werben wollen, sondern auch einzelnen Büchern einzelne Websites widmen. Die Unterschiede bei Inhalt und Aufmachung sind gravierend. Keiner scheint so richtig zu wissen, was sie denn nun braucht, eine gute Buchwebsite.

„Der Aufwand wird möglichst gering gehalten“, bestätigt der Suhrkamp Verlag, der die Standardvariante einer Buchwebsite nach dem Baukastenprinzip bietet. Die Aufmachung ist prinzipiell immer dieselbe. Mit Layout und Hintergrundmusik wird die Stimmung des Buches eingefangen, enthalten sind Infos über Inhalt und Autor, Termine, Leseprobe und Hörprobe.

Andere Seiten, wie die von Kiepenheuer & Witsch, sind aufwändiger gestaltet: Die Website zu Veit M. Etzolds Roman „Das grosse Tier präsentiert auf der Startseite eine Slideshow, versehen mit Bildern und Schlagworten, die Inhalt und Atmosphäre des Buches einfangen. Ansonsten findet man hier die Rubrik „Aktuell“ mit Terminen, Videos von Lesungen und Pressestimmen. Diese macht ihrem Namen alle Ehre: Der letzte Eintrag stammt vom Vortag. Kein Wunder, Etzold betreut seine Seite selbst. Davon zeugt auch die Aufforderung „Schreiben Sie dem Autor“ samt Email-Adresse. Die Website hat also alles, was eine Buch-Website haben sollte. Sogar noch etwas mehr: Sie wird regelmäßig aktualisiert und mit frischen Informationen gefüttert. Eine Kommunikationsmöglichkeit ist vorhanden. Solide. Ausgewogen. Eine Website, der man vertrauen kann.

Es geht auch ganz anders. Bei limit-buch.de zum Beispiel glaubt der Nutzer bei Star Wars gelandet zu sein: Durchs All fliegende Sätze fassen den Inhalt von Frank Schätzings Weltraumthriller „Limit“ zusammen. Schließlich erscheint in gleißendem Licht der Buchtitel. Hat man dieses filmtrailerähnliche Intro hinter sich gebracht, gelangt man zur eigentlichen Website. Hier gibt es durch Anklicken einzelner Sterne Allerlei zu entdecken: von der gewöhnlichen Inhaltsangabe über eine Leseprobe bis hin zu Charakterbeschreibungen und einem „Skizzenblock“ mit Zeichnungen des Autors von Weltraumwesen und Schauplätzen. Der amüsierte Nutzer kann sich durch die verschiedenen Gimmicks klicken und den Weg des Autors zum Buch fragmentarisch nachvollziehen. Im Impressum ist der Verlag Kiepenheuer & Witsch als Urheber eingetragen. Verantwortlich für Webdesign und Programmierung ist studiorange.de. Die Agentur wiederum führt auf ihrer Website stolz den Autor Frank Schätzing in der Liste ihrer Kunden. Nebst einem Architekturbüro, einem Tanzstudio und der Landesverkehrswacht NRW.

Frank Schätzing stammt, wie auch Etzold, aus dem IT-Bereich und hat ein Bewusstsein für diese Form des Marketings. Er selbst veranlasst seine Webauftritte und beauftragt die Agentur seines Vertrauens. Das klingt gut, er zeigt offensichtlich Initiative. Bei genauerem Hinsehen allerdings stellt man fest: Die Tourtermine sind veraltet. Alle anderen Informationen können erst gar nicht aktualisiert werden. Eine gute Idee scheitert an ihrer Umsetzung: Nach dem aufwändigen Erstellen der Website passiert nichts mehr. Sie lebt nicht. Wenn man diese Site in sechs Monaten wieder besucht, wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach noch genauso aussehen. Ist das der Sinn der Sache? Was ist überhaupt der Sinn von diesen Buchwebsites?

Marco Verhülsdonk, Verantwortlicher für Onlinekommunikation bei Kiepenheuer & Witsch, bestätigt, dass eine Website erst dann ihren Zweck erfüllt, wenn sie eine Kommunikationssituation zum Leser herstellt. Klar: Dafür braucht es zusätzliches Material zum Buch, Informationen zum Inhalt, und seine Leser müssen webaffin sein. Die Kosten werden aus dem Marketingbudget gedeckt. Dieses wiederum hängt vom Vertrauen des Verlags in den mutmaßlichen Erfolg des Buches ab. Maßgeblich bei der Entscheidung für eine Website sind die Bereitschaft der Autoren und ihre Einstellung gegenüber dem Medium. Durchaus auch altersbedingt haben manche keinen Bezug zum Internet, lehnen diesen Marketingzweig ab oder scheuen die Mehrarbeit. Solche Autoren wollen allein über ihr Buch in Kontakt zum Leser treten. Nur bei den Onlinekritiken bei Amazon und Co. machen sie gern eine Ausnahme.

Entscheidet sich der Verlag für eine eigene Website zum Buch, wird eine Internetagentur mit der Gestaltung beauftragt. Der Autor liefert das Material, der Verlag zahlt in den meisten Fällen. Kiepenheuer & Witsch verfügt zudem über fünf bis zehn freie Webdesigner. Und dann? Dann steht sie im Netz herum, die Website. Bisher ist das meistens nicht viel mehr als eine Printbroschüre aus Bits und Bytes.

„Das Problem ist, dass die Idee der Website gar nicht mehr aktuell ist“, sagt Thierry Chervel, Geschäftsführer und Redakteur des „Perlentauchers“, eines Onlinemagazins für Literatur und Kultur. Ob über Twitter, bei Facebook oder StudiVZ im Internet wird längst der Austausch mit Gruppengefühl gesucht. Diesen Trend scheinen die Verlage auf ihren Buch-Websites bislang verschlafen zu haben. Chervel hat recht: Vergebens sucht man auf den meisten Einzelseiten nach einer Möglichkeit, auch nur einen Kommentar zu hinterlassen, von Gästebüchern keine Spur. Ein Ausnahmephänomen bleibt hier die Online-Community um David Foster Wallaces Werk „Unendlicher Spaß, die sich im Jahr 2009 bildete. 30.000 Mitglieder lasen und diskutierten in hundert Tagen zusammen die deutsche Übersetzung des Romans.

Chervel sieht die Zukunft des Buches im Internet in Form des Blogs. Der Vorteil ist die einfache Bedienung und die größtmögliche Aktualität ohne viel Aufwand. Für noch besser hält er, wenn Autoren gleich die Vorarbeit zu einem Buch ins Internet verlagern. So kann der Leser die ersten Etappen des Schreibens und Heranwachsens eines Romans verfolgen und fühlt sich mit einbezogen. Chervel rät deshalb: „Jeder Autor sollte einen Blog führen und das Gespräch mit dem Leser suchen!“ Manche Autoren haben das Prinzip verstanden. Auf ihren eigenen Blogs posten sie nicht nur Arbeitsstände, sondern geben auch Filmempfehlungen und diskutieren aktuelle Politik mit Lesern.

„Machen Sie mich nicht schwach!“ Marco Verhülsdonk vom Verlag Kiepenheuer & Witsch ist von der Vorstellung alarmiert, dass die wenigsten Menschen heute noch statische Websites nutzen, um sich über Bücher zu informieren. Keine Sorge, lieber Herr Verhülsdonk. Ihre Ideen sind gut, aber, wie Sie selbst sagen: „Nach oben hin ist noch viel Platz“. Leider wählen einfach viel zu wenige Autoren und Verlage einen persönlichen und interaktiven Ansatz, um ihre Bücher zu bewerben, um Leser zu gewinnen und zu halten. Die Möglichkeiten, die das Web 2.0 bietet, werden wohl immer noch unterschätzt.