Liebesleben im Rhythmus einer Wiener Kurzparkzone

Sabine M. Grubers „Kurzparkzone“ ist eine unterhaltsame Erzählungssammlung für Frauen

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist ein kurzweiliges Vergnügen, sich mitten im hektischen Treiben einer Fußgängerzone auf ein Mäuerchen zu setzen oder auf einer Parkbank neben einer Straße, einem Café oder einem Krämerladen niederzulassen und die vorbeihastenden, die innehaltenden, die streitenden und die lachenden Menschen zu beobachten. Die kurzen Blicke auf die unterschiedlichsten Charaktere, die man schon in arrogant gehobenen, über feinen Businessanzügen und traurig gesenkten, über alten Pullovern sitzenden Gesichtern zu erkennen meint, laden die Fantasie eines jeden interessierten Beobachters ein, sich Geschichten zu den Menschen auszudenken.

Sabine M. Gruber ist eine solche Beobachterin, das steht fest. Und sie hat die Kunst der Beobachtung perfektioniert. Vielleicht entstand so ihr neues Buch, der Erzählungsband „Kurzparkzone“, der eine Sammlung von verpassten Liebesgeschichten und spontanen Liebesabenteuern ist; mit detailverliebter Genauigkeit schrieb sie zwölf mögliche Schicksale von Frauen nieder, die an einem viel zu heißen Juni-Tag in Wien in einer Kurzparkzone ihr Auto abstellen.

Die Erzählungen beginnen mit Helga, die in einem Café auf ihre Verabredung wartet und sich schließlich nicht traut, ihn anzusprechen. Helga lässt den Augenblick aus Angst vor Enttäuschung verstreichen. Hätte sie doch die dünneren Strumpfhosen angezogen und mehr Selbstbewusstsein – wie Sophia, die am Ende des Buches mit Lippenstift, Strumpfhosen und einem minutiös geplanten romantischen Abend um ihre Beziehung kämpft. Eigentlich hatte sich ihr Freund bereits entschlossen, die Beziehung zu beenden. Doch sie gewinnt ihn zurück. Die Jura-Studentin Corinne hingegen, die von ihrem Freund, den sie nicht liebte, verlassen wurde, kauft Erdbeeren bei einem attraktiven Gemischtwarenhändler und wird nie erfahren, dass er eigentlich sogar der Ladenbesitzer ist und nur zu schüchtern war, um sie anzusprechen. Die Aufregung der Autorin Selma – sie liest zu Beginn ihrer Lesungen zu schnell, ihr Mund produziert zu viel Speichel – ist umsonst, ein alter Mann, der ihr aufmerksam zugehört hat, lobt ihr Werk und betont, er könne so etwas nicht schreiben. Sophia übt das Glücklichsein, damit der vielleicht letzte Abend mit ihrem Freund gelingt und die Angst ihr nicht die Tränen in die Augen treten lässt. Sie entscheidet sich, strahlend und überaus glücklich aufzutreten.

Alle Erzählungen beginnen oder enden in einer der Kurzparkzonen Wiens. Es werden Parkscheine ausgefüllt, die Parkzeiten geben die Zeitspannen der Geschichten vor. Das Kommen und Gehen während des einen Juni-Tages wird von den ausgefüllten Parkscheinen bestimmt. Der Zusammenhang erscheint klar, oberflächlich und naiv konstruiert: Alle diese Frauen wünschen sich, sich zu verlieben. Gruber erhebt nicht den Anspruch, tiefer zu gehen, sie möchte nur, dass der Leser stillschweigend annimmt, dass er durch die Erzählungen die reale Welt dort draußen ersieht und dass die beobachtete Welt der Kurzparkzone sich mit dieser Welt deckt. Sie ist eben nicht so perfekt wie die Körper, die eine der Protagonistinnen in einer Gymnastik-Sendung sieht, während sie schwitzend in Slip und Bluse mit Bindegewebeschwäche vor dem Fernseher steht. Was ist die Konsequenz? Gruber scheint aufzustehen und zu rufen: Schöpft Mut, seid nicht zu schüchtern, nehmt euer Leben selbst in die Hand!

Die Leserin soll sich leicht fühlen, befreit und glücklich. Und wenn sich tatsächlich Männer unter die Leserschaft der „Kurzparkzone“ mischen sollten, so haben sie die Chance, die weibliche Sicht auf die Welt kennenzulernen – um vielleicht ein wenig mehr Verständnis für weibliche Probleme aufzubringen. Gruber zeigt uns das Leben, festgehalten im Rhythmus der Kurzparkzone. Natürlich, diese Erzählung bringt nichts Neues, Überraschendes und Verrücktes, aber unterhaltsam ist das Buch, dennoch hervorragend geschrieben und absolut lesenswert. Mehr wollte Sabine Gruber auch gar nicht erreichen.

Titelbild

Sabine M. Gruber: Kurzparkzone. Erzählungen.
Picus Verlag, Wien 2010.
206 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783854526667

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