Gottes syntaktischer Nahkampf

Thedel von Wallmodens „Seiltanz“ für den Lektor Thorsten Ahrend ist weit mehr als eine Hommage

Von Dorothée LeidigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothée Leidig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was schenkt man einem hoch geschätzten und vielbeschäftigten Lektor zum 50. Geburtstag? Ein Buch vielleicht? Nicht irgendein Buch natürlich, sondern ein ganz besonderes. Eines, in dem es um ihn geht, ohne dass er ständig und offensichtlich im Vordergrund steht, denn der Lektor ist zwar mit Leib und Seele erster Leser, primus lector, sitzt aber lieber in der zweiten Reihe.

Der Verleger Thedel von Wallmoden hat die Frage elegant und klug gelöst. Er bat Autoren und Autorinnen aus dem Bekanntenkreis des Lektors Thorsten Ahrend darum, einen Beitrag über ihr Verhältnis zu einem Lektor zu schreiben. Es sind bekannte Autoren wie Daniel Kehlmann und Christoph Hein darunter, aber auch junge, noch nicht ganz so bekannte Autorinnen wie Svealena Kutschke und Silke Scheuermann. Romanciers, Dramatiker, Lyrikerinnen und Essayistinnen versammeln sich hier, von denen einige auch die Rolle des Lektors aus eigener Erfahrung kennen.

Thedel von Wallmoden hat ihnen für die Beiträge offenbar große Freiheiten gelassen, sowohl formal als auch den Umfang betreffend. Und so ist eine Sammlung höchst unterschiedlicher Texte zusammengekommen, von denen die meisten kaum einem Genre zuzuordnen sind, am ehesten könnte man sie wohl als Erfahrungsberichte bezeichnen. Daneben findet sich überraschend viel Lyrik inklusive einem Rap, einJack-and-Jill-Dialog sowie eine Art Film-Subtext. Von verschiedenen Richtungen aus umkreisen die Autoren und Autorinnen die gestellte Frage und nähern sich einer Antwort an. Denn mehr als eine Annäherung – darin sind sich alle Beteiligten einig – kann es nicht geben. „Wirklich, es gibt kein Wort dafür, das das Verhältnis Autor und Lektor […] genauer beschreibt“, stellt Kurt Drawert am Ende seines Beitrags fest.

In dem Gedicht „ein flirren vor den augen // festes grundgefühl“ von Dorothea Grünzweig ist der Lektor der Lotse, der ein Schiff sicher in den Hafen bringt. Sein Anteil am Gelingen eines schriftstellerischen Projekts kann so bedeutend sein, dass er vom Lotsen zum „mitvater“, zur „mitmutter“ oder zum „taufpaten“ mutiert. Das Vertrauliche als unabdingbare Voraussetzung für eine gedeihliche Zusammenarbeit schwingt in dieser Wortwahl mit. Zu den herausragenden Fähigkeiten des Lektors, der Lektorin gehört das genaue und vorbehaltlose Zuhören. Es ermöglicht ihm, den Text hinter dem Text zu verstehen und so auch auf der subtilsten Ebene die Haken und Ösen im Gewebe aufzudecken, zu erkennen, wo der Text nicht funktioniert, und gegenzusteuern.

Nicht immer verläuft die Arbeit so flüssig und harmonisch, wie sie auf den ersten Blick in Dorothea Grünzweigs Gedicht erscheint. Joachim Helfer beschreibt das Ringen um die Sprache gar als „syntaktischen Nahkampf“. Doch selbst wenn die Arbeit etwas Kämpferisches annimmt, wünscht sich niemand einen bequemen Lektor, der einen Text mit zuviel Wohlwollen abnickt. Der Erstleser muss auch ein Gegenleser sein: „Nicht loben soll er mich, sondern dagegenhalten […]. Er lässt sich nicht bluffen, wie ich mich von mir selber bluffen lasse […]“, schreibt Heinrich Detering. So sehr die Kritik des Lektors als unabdingbar empfunden wird, so sehr wird sie zuweilen aber auch gefürchtet. Die Angst vor den Eingriffen in den Text oder – fast schlimmer noch – davor, dass der Lektor ihn nicht vollkommen verstehen könnte, scheint in vielen der Beiträge auf. Behutsam und mit viel Gefühl möge der Lektor darum vorgehen, sein psychologisches Fingerspitzengefühl ist mindestens ebenso gefragt wie seine Sprachkompetenz.

Die Erwartungen an den Lektor sind von allen Seiten außerordentlich hoch, von den Autoren und Dichterinnen, den Verlegern und nicht zuletzt von der Leserschaft. Der ideale Lektor ist Seiltänzer und Fels in der Brandung, Punching-Ball und guter Freund, im Zweifelsfall auch alles im gleichen Moment. Ist er ein Gott? Selbstverständlich nicht. Dennoch vergleicht Christoph Hein die Frage nach dem Autor-Lektor-Verhältnis mit einem theologischen Problem: „[…] die Annäherung des Autors an den Lektor, seine Erwartungen, Forderungen, Hoffnungen […] sind von Charakter, Farbe und der alles überstrahlenden Hilflosigkeit nicht anders als Gott oder dem Wetter gegenüber“.

Lektorinnen und Lektoren, die dem Idealbild nahekommen, findet man wahrlich nicht an jeder Straßenecke, aber es gibt sie. Einer von ihnen ist Thorsten Ahrend, ohne den unter anderem „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider wohl nie erschienen wäre. Aus jedem der 45 Beiträge spricht die hohe Wertschätzung, die ihm entgegengebracht wird, was in der poetischen Sprache Friederike Mayröckers folgenderweise klingt: „Ich habe so viel Ansporn für meine damaligen Prosaschriften durch ihn empfangen, so dasz 1 schönes Gefühl von Dankbarkeit mich durchdringt, so dasz 1 Tropfen Himmel sich niederwölbe zu ihm,

Dieses Buch ist weit mehr als eine Hommage. Es bietet lebendige, überraschende und gehaltvolle Einblicke in einen vielschichtigen, immer wieder anders verlaufenden Prozess, dessen subtile Anteile sich rein deskriptiv kaum erfassen lassen. Ganz nebenbei macht man Bekanntschaft mit Autorinnen und Autoren, von denen man zuvor vielleicht noch nie etwas gehört, geschweige denn gelesen hat. Die Chancen stehen gut, dass man nach der Lektüre von dem einen oder der anderen mehr lesen möchte und dass man sich wünscht, zu Thorsten Ahrends künftigen Geburtstagen mögen weitere Seiltänze aufgelegt werden.

Titelbild

Thedel von Wallmoden (Hg.): Seiltanz. Der Autor und der Lektor.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
208 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783835307414

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