Eine Poetik der Hoffnung

Zu Dorothee Elmigers „Einladung an die Waghalsigen“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Verstellt die Verleihung eines Preises an einen Autor den Blick auf das Werk? Dorothee Elmiger ist 2010 für ihren Roman „Einladung an die Waghalsigen“ mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. Die Reaktionen auf das Buch sind positiv. Man geht also mit einigen Erwartungen an die Lektüre heran. Die vorab gegebenen Inhaltsangaben beinhalten im Wesentlichen das, was der Erzähler auf den ersten Seiten für den Leser zusammenfasst: „Das ist die Erzählung von einer Stadt, die dabei ist zu verschwinden. Nachdem vor Jahrzehnten im Grund nichts anderes als ein Feuer ausgebrochen ist und weiterhin brennt in den Stollen unter Tag.“ Ein wenig mehr als einhundert Seiten weiter ist man erstaunt, dass nicht viel mehr in diesem Buch passiert. Eher die Direktheit der Figuren, ihre Authentizität und gleichzeitige Metaphorik sind überraschend. Vor allem auch, wenn sich letztendlich die Perspektive der Figuren auf „Rettung“ und „Erlösung“ aus ihrer beengten und perspektivlosen Umwelt als durchaus praktisch erweist: „Später einmal würden wir alles, was wir hatten, in das Auto packen. Decken, Kleider und die Bücher, den Kaffeekocher und die Kaffeetassen, eine Leselampe, einen Kasten Bier und ähnliche Dinge.“

Wo ist also die Geschichte? Diese spielt sich nicht in der äußeren Handlung, sondern im Kopf des Lesers ab. Er ist die Projektionsfläche und er ist auch derjenige, der die Erlösungsstrategien der Romanfiguren entschlüsseln kann. Diese Möglichkeiten liegen natürlich einerseits in der Kunst, im Schreiben selbst begründet. Eine der Nebenfiguren lässt Elminger als Schriftsteller seinen Platz im Roman ausfüllen: „Dann saß Ernst Thal in seiner Küche und schrieb. Alle Widerstände, die sich ihm boten, schien er mit seiner einen linken Hand, die den Bleistift hielt, überwinden zu wollen, indem sie die Wörter tief und tiefer in das Papier drückte.“ Andererseits ist es der Aufbruch von dem unmöglich werdenden Ort und die Suche nach einem verschollenen Fluss, der die Geschichte mit der eigenen Identität verbindet und eine hoffnungsvolle Zukunftsperspektive in Aussicht stellt. Dass es zu diesen auf den ersten Blick unscheinbaren Aktivitäten vielleicht mehr Mut als üblich bedarf, das ist der Subtext, den Elmigers präzise, messerscharfe und gleichzeitig poetisierende und poetische Sprache subtil vermittelt.

Erst zum Ende bringt Elmiger die „Waghalsigen“ aus dem Romantitel in die Erzählung mit ein: „Wir werden zahlreiche Gäste einladen, unter anderem viele Montanwissenschaftler, Archäologinnen, eine Einheit Feuerwehrmänner, Vertreter und Vertreterinnen der Künste, die Bergleute aller Kontinente, einen Typografen, mehrere junge Waghalsige.“ Die Feier, auf die die Gäste eingeladen werden, ist ein Fest, das die Hoffnung auf Zukunft birgt. Dass es für solche Expeditionen aus dem eigenen Leben und einer hoffnungslosen Gegenwart hinaus Mut und vor allem Waghalsigkeit bedarf, das können vor allem die Ängstlichen unter den Lesern sicherlich bestätigen. Insofern ein Buch, das eigentlich allen zu empfehlen ist – und sei es denn nur als Anleitung zur Waghalsigkeit.

Titelbild

Dorothee Elmiger: Einladung an die Waghalsigen. Roman.
DuMont Buchverlag, Köln 2010.
145 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783832196127

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