„Ihr Täppischen! Ein artiger Schein soll gleich die plumpe Wahrheit sein?“

Dieter Schnaas reflektiert in seiner „Kleinen Kulturgeschichte des Geldes“ über Wesen, Vergangenheit und Zukunft des Zahlungsmittels

Von Manuel BauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuel Bauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Speicher- und Kommunikationsmedium Geld ist fraglos eine der merkwürdigsten und folgenreichsten Erfindungen der menschlichen Kultur. Es ist nahe liegend und bedarf keinerlei Legitimation, diesem Phänomen, das wie kaum ein anderes unser tägliches Miteinander, unsere Weltsicht und das globale Wohlbefinden strukturiert, eine „Kleine Kulturgeschichte“ zu widmen.

Dieter Schnaas, studierter Germanist und seit 2004 Chefreporter der WirtschaftsWoche, hat ein von glänzenden Zitaten und gescheiten Beobachtungen geradezu überbordendes Büchlein vorgelegt, das der kulturellen Bedeutung des Geldes auf den Grund geht. Als wäre dies nicht genug, bezeichnet Schnaas sein Buch gleich in den ersten Sätzen als „ein Hybrid“, weil es „die Kulturgeschichte(n) des Geldes seit seiner Erfindung vor 2700 Jahren“ erzählen und darüber hinaus auch noch „die Hintergründe von Banken- und Staatsschuldenkrisen“ aufdecken will.

Die theoretische und poetologische Positionierung dieses Unterfangens folgt prompt: Als „Mysterienspiel“ werde die Geschichte des Geldes erzählt, um die allmähliche Verwandlung des Geldes in eine „Fiktion“ aufzuzeigen. Damit ist Schnaas ganz auf der Höhe der Zeit, wird doch insbesondere seit der Finanzkrise von 2008 der fiktionale und virtuelle Charakter des Geldes transdisziplinär diskutiert. Um das Verständnis des „magischen Geldes“ zu erleichtern, hält Schnaas einen assoziativ-kreisenden Erzählstil für angemessen, der sich dezidiert von einem als eintönig empfundenen chronologischen Erzählen abheben will.

Die Erwartungen, die der Titel „Kleine Kulturgeschichte des Geldes“ evoziert, werden folgerichtig alsbald enttäuscht, da es der Leser keineswegs mit einer stringenten historischen Narration zu tun hat. Der Charakter des sprunghaften, feuilletonistischen Textes ist weit davon entfernt, die Gepflogenheiten akademischer Geschichtsschreibung zu teilen, was freilich der Lesbarkeit des Buches zugute kommt. Zu diesem Zweck bedient sich Schnaas einer sehr bilder- und metaphernreichen Sprache, die die ohnehin meist große Metaphorizität ökonomischer Texte noch deutlich übersteigt.

Eine alles andere als beiläufige Geste ist der Hinweis auf die Autoren und Bücher, denen Schnaas’ Text viel verdanke. Die Namen Georg Simmel, Werner Sombart und Niklas Luhmann geben die Richtung vor, die der Autor einschlägt. Spätestens durch diese Standortbestimmung sollte jedem Leser klar sein, dass dieses Buch keine faktualistische Aufbereitung der Geschichte des Geldes ist, sondern sich in erster Linie einer philosophischen, soziologischen und wirtschaftstheoretischen Reflexionstradition verpflichtet fühlt. Mindestens ebenso wichtig sind zwei Autoren, auf die Schnaas tatsächlich eher beiläufig hinweist: Jochen Hörisch und Joseph Vogl, die die literatur- und kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit den Themen Geld und Ökonomie in den letzten Jahren maßgeblich geprägt haben. Hörisch stand unverkennbar bei der Schreibweise Pate, der Pointen, rasante Denkbewegungen und schillernde Formulierungen wichtiger sind als philologische Differenzierung. Von Joseph Vogls höchst einflussreicher Studie „Kalkül und Leidenschaft“ wiederum übernimmt Schnaas nicht nur gewichtige Erkenntnisse, sondern auch zahlreiche Textbeispiele und deren Deutung.

Schnaas sammelt und popularisiert nicht einfach gängige Meinungen der Nationalökonomie, sondern attackiert mit großer intellektueller Energie und spielerischer Freude verbreitete Annahmen über das Wesen des Geldes, etwa, wenn er mit Nachdruck ausführt, dass die Funktionsfähigkeit des modernen Geldes eben nicht vom allgemeinen Konsens, sondern von der Protektion des Staates abhängt. Weder befinden die Marktteilnehmer darüber, was Geld sei, noch ist die Leistungsfähigkeit des Geldes von seiner Deckung durch Gold verbürgt – vielmehr proklamiert der Staat, was Geld ist und was es wert ist. Gerade, dass modernes substanzloses Geld infolge seiner Loslösung vom substanzvollen Gold seinen Wert nicht speichert, sondern repräsentiert und behauptet, habe es zum eindeutigen historischen Sieger gemacht. Schnaas wird nicht müde, dies immer wieder zu betonen und den im Kern gleichen Gedanken beständig zu variieren. Noch „der Nukleus der gegenwärtigen Banken- und Schuldenkrise“ sei auf die „Trennung des Geldes von seinem Wertstoff Gold“ zurückzuführen.

Ein weiterer Leitgedanke, der belegt, dass weniger historische Aufarbeitung als Gegenwartsdiagnose beabsichtigt ist, ist der, dass es sich bei Banken um Geld- beziehungsweise Schuldenfabriken handelt, die Kreditnehmern nicht etwa Geld vermitteln, sondern „Anti-Geld“ produzieren und damit erst die Beschaffenheit der modernen Welt mitsamt aller Nebenwirkungen ermöglichen. Durch das unablässig fabrizierte Anti-Geld drehe sich die Schuldenspirale unabschließbar ins Unendliche, so dass Schulden nicht mehr zurückgezahlt, sondern durch stets neue Schulden beständig refinanziert werden. Die folgenreiche Schöpfung des Anti-Geldes deutet Schnaas, offenbar in Anlehnung an Hans Christoph Binswangers berühmte Studie „Geld und Magie“, als hexerische und alchemistische Verheißungen, wie ohnehin die Geschichte des Geldes immer die Geschichte seiner schwarzkünstlerischen Hervorbringung sei. Das so entstandene „Scheinparadies der Pumpwirtschaft“ beruhe unter anderem auf der illusionär-optimistischen Vorstellung, dass die Schulden von heute durch das Wachstum von morgen beglichen werden können.

Die zunehmende Funktionalisierung und Fiktionalisierung des Geldes, seine Verflüchtigung in die unendlichen Weiten der immateriellen Cyber-Sphäre als Buch- und Monitorgeld lassen sowohl Geld als auch Anti-Geld zur Simulation ihrer selbst werden, was Schnaas mit dem Terminus „Nicht-Geld“ bezeichnet, das gänzlich elektronisch und körperlos sei. Durch diese zunehmende Virtualität komme Geld zu sich selbst, da es von der letzten Illusion befreit wird, wesenhaft zu sein. Der historische Prozess der Immaterialisierung werde vollendet und der realökonomische Wert in pure Information aufgelöst. Nicht-Geld und Anti-Geld sind daher nicht, wie Schnaas entgegen seiner eigenen Argumente bisweilen behauptet, das Gegenteil, sondern fester Bestandteil der ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedeutung des Geldes.

Diese kulturpessimistisch anmutenden, altbekanntes geldkritisches Gedankengut reformulierenden Überlegungen sind indes nur die eine Seite der vorliegenden Betrachtungen. Schnaas weist auch auf die sozialen und politischen Errungenschaften hin, die ohne den im besten Sinne unmoralischen, da neutralen Charakter des Geldes nicht möglich gewesen wären. Just weil Geld von allem absieht, konnte es vermittels „seiner anarchischen Indifferenz“ vormoderne, feudale Verhältnisse und Hierarchien sprengen und einen entscheidenden Beitrag zur Einrichtung freier, egalitärer und demokratischer Gesellschaften leisten. Bemerkenswert ist, wie nachdrücklich Schnaas den Zynismus der „Wohlstandsverwöhnten“ anprangert, die in der Geldgier die Wurzel allen Übels sehen, ohne zu bemerken, dass „das Übel der Geldgier nicht größer sein kann als das Übel des Geldmangels; wer Näheres erfahren will, möge sich nur in bengalischen Dörfern oder afrikanischen Slums umhören“. Einer solch wohlfeilen, allzu behaglichen Kritik am Geld ist Schnaas selbst gänzlich unverdächtig, viel zu klug und kenntnisreich sind seine Ausführungen.

Ebenfalls bemerkenswert sind die kulturhistorische Rolle, die Schnaas dem Ablasshandel zuschreibt, und die unverblümte Weise, wie dieses Phänomen als „Schlichtungsverfahren, das mit einem Vergleich zwischen Gott und Sünder endet – und für dessen Organisation die Kirche eine Bearbeitungsgebühr erhebt“, beschrieben wird. Mit dem Ablasshandel sei eine völlige „Entgrenzung des Geldes“ verbunden, da nicht mehr nur materielle Dinge, sondern auch jenseitiges Seelenheil in Kategorien von Kaufgeschäften verhandelbar wird. Schnaas sieht hier allerdings mehr als ein historisches Kuriosum. Vielmehr sei der zentrale Gedanke des Ablasshandels nicht nur noch immer am Werk, sondern ein „hocheffizientes Instrument des modernen Wirtschaftens“, indem unser Gewissen uns dazu dränge, beispielsweise für ökologische Produktionsbedingungen zu bezahlen. Wir stehen also, nicht zuletzt durch ein internalisiertes Ablass-Prinzip, am Beginn des „Übergangs vom Finanzmarkt- zum Nebenkostenkapitalismus“. Schnaas schließt mit einer gleichermaßen geldtheoretischen wie moralischen Perspektive, wenn er die Hoffnung entwirft, dass vermittels des global zirkulierenden Geldes ein „sozialer Zusammenhang jenseits aller Grenzen“ gestiftet werde. Dass diese Utopie auch als Ausdruck spätkolonialistischer Fantasien lesbar ist, kann indes genauso konstatiert werden wie der Umstand, dass die in dieser Kulturgeschichte des Geldes zur Sprache kommende „Kultur“ eine westlich-abendländische, eurozentristische, bürgerliche und männlich dominierte ist.

Seine Gedanken zur Entstehung, Bedeutung und Wirkung des Geldes illustriert Schnaas anhand zahlreicher literarischer Beispiele, so dass man versucht ist, als Titel des Buches „Kleine LITERATURgeschichte des Geldes“ passender zu finden. Insbesondere das letzte Kapitel ist weniger eine Erörterung des Geldes als eine Aneinanderreihung von Belegen aus der Literaturgeschichte, wobei der Erkenntnisgewinn nicht immer ersichtlich wird. Es wird alles zitiert, was in diesem Zusammenhang Rang und Namen hat – vom „Fortunatus“ zu „Faust II“, von William Shakespeare zu den romantischen Kapitalismus-Kritikern und realistischen Autoren wie Honoré de Balzac oder Theodor Fontane. Schnaas beruft sich auf einen bildungsbürgerlichen literarischen Kanon, während Beispiele des 20. oder gar 21. Jahrhunderts kaum je auftauchen. Mag die Textauswahl dem persönlichen Geschmack des Autors geschuldet sein, so vermag es doch systematisch nicht recht zu überzeugen, dass aktuelle Prognosen durch Texte des 19. Jahrhunderts belegt werden sollen.

Zu diskutieren wäre, bei aller Freude, die durch die amüsanten Einblicke in berühmte literarische Texte aufkommt, der unreflektiert privilegierte Stellenwert, den dieses Buch künstlerischen Hervorbringungen bei der Erklärung der Kulturgeschichte des Geldes zuschreibt. In idealistischer Tradition wird Literatur offenbar als das Medium betrachtet, das höhere Wahrheiten besser zum Ausdruck bringen kann als Wissenschaft. Wohltuend ist allerdings, dass ebenso devote wie gönnerhafte Phrasen wie etwa „wie bereits Goethe wusste…“ keine Verwendung finden. Das Gegenteil ist der Fall: Sehr offen werden die Fehleinschätzungen der großen Meister benannt. Damit hebt sich Schnaas von der noch immer nicht ausgestorbenen Verehrungsgermanistik ab.

Die literarischen Belege werden durch prominente Vertreter der Geschichte der Geldtheorie ergänzt, wobei auffallend selten zünftige Wirtschaftswissenschaftler zu Wort kommen – der handfeste ökonomische Sachverstand von Autoren wie Pico della Mirandola, Thomas von Aquin, Martin Luther oder Max Weber ist durch ihren berühmten Namen allein noch nicht beglaubigt. Gelegentliche Einblicke in dezidiert ökonomische Geldtheorien wären sicher von Vorteil gewesen, und sei es nur, um die theologischen, philosophischen oder soziologischen Geld-Diskurse klarer hinsichtlich ihrer jeweiligen Standortgebundenheit zu konturieren.

Diese Einwände vermögen aber ebenso wenig wie kleinere formale Mängel – manche Zitate bleiben leider ohne Nachweis – den Wert des Buches nachhaltig zu schmälern. Obschon nicht jeder Gedanke neu oder jedes Zitat originell ist, ist davon auszugehen, dass die „Kleine Kulturgeschichte des Geldes“ in der kulturwissenschaftlichen Beschäftigung mit Phänomenen des Geldes und des Ökonomischen einige Aufmerksamkeit erhalten dürfe – und geneigten Lesern, die sich nicht professionell mit diesem Thema befassen und mit den Referenzwerken von Luhmann, Sombart, Simmel, Hörisch und Vogl nicht vertraut sind, kann das Buch ohnehin empfohlen werden.

Titelbild

Dieter Schnaas: Kleine Kulturgeschichte des Geldes.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2010.
188 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783770550333

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