Was unsere Welt zusammenhält

„Liebe zur Sache“ – Hansjürgen Bulkowski wendet sich den Dingen zu

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Dinge sind unerschöpflich“, schreibt Hansjürgen Bulkowski. „Mit ihnen können wir uns entdecken.“ Mit Ohropax zum Beispiel. Eigentlich dient der Wachsklumpen dazu, uns unhöfliche Mitmenschen akustisch auf Distanz zu halten. Wer seine Gehörgänge verschließt, hört alles nur noch gedämpft, wie verklebt. Aber dann, plötzlich, vernimmt er ein ganz unbekanntes Klopfen und Rauschen und das Wissen: „Das kann nur ich sein.“

Für den Berliner Autor gibt es ein wachsendes Interesse an den konkreten Dingen. Denn sie sind es, die wie ein „kommunikativer Kit“ zwischen uns und der Welt wirken, so Bulkowski. Man denke nur an das von der Großmutter geerbte Rezeptbuch. An die in einer Schublade gehüteten Murmeln aus Kindheitstagen. Oder an das klapprige Fahrrad, das nach Jahren treuer Dienste für seinen Besitzer unersetzlich geworden ist. „Wenn wir uns der Dinge annehmen, bedeutet das auf wunderbare Weise nicht, dass wir uns in ihnen verlieren, […] eher dass wir uns in ihnen wiederfinden.“

Allerdings machen sich Dinge gern hinter unseren Gewohnheiten oder hinter ihrer Funktion unsichtbar. „Zuwendungen“ nennt der Berliner Autor daher seine 56 überwiegend lesenswerten Meditationen über die verschiedensten Sachen, die uns im Alltag begegnen: darunter Essbares wie Kirschen, Technisches wie Fahrkartenautomaten oder Natürliches wie tote Insekten. Mitunter erscheint der zugrunde liegende Dingbegriff jedoch allzu weit gefasst: Ist ein Kino-Foyer nicht eher ein Raum als ein Ding? Auch erzeugt die offenbar dem Zufallsprinzip folgende Anordnung unfreiwillige Komik, wenn auf „Hoden“ ausgerechnet das „Taschenmesser“ folgt.

Für Bulkowski zeigt sich gerade an den alltäglichen Dingen, wie wir miteinander umgehen: „Was geschieht etwa mit uns, wenn uns ein Ball anlockt, zugleich aber aus den Händen springt?“ Mitunter gelingen dem Autor dabei subtile Beschreibungen: etwa die des befriedigenden Gefühls, wenn man mit seinen leeren Flaschen zum Glascontainer marschiert und beim Klang der im Innern zerspringenden Gläser innerlich jubiliert. Manchmal erinnern Bulkowskis Zuwendungen jedoch frappierend an Gebrauchsanweisungen, etwa wenn es vom Frühstücksbrett heißt: „Ist es besonders klebrig oder fettig, kann es unter den heißen Wasserstrahl gehalten und hochkant zum Trocknen abgestellt werden.“

So richtig interessant, darauf weist auch Bulkowski hin, werden Dinge erst, wenn man sie aus ihrem funktionalen Verwendungszusammenhang herauslöst – etwa weil etwas plötzlich kaputt gegangen ist und gerade dadurch erst so richtig sichtbar wird. Um 1900 hat sich eine ganze Autorengeneration an der dem Menschen abgewandten Seite der Dinge abgearbeitet: „Die Worte haben sich vor die Dinge gestellt“, schrieb etwa Hugo von Hofmannsthal. „Das Hörensagen hat die Welt verschluckt.“

Seine faszinierendsten Beobachtungen gelingen Bulkowski daher gerade bei dem rätselhaften „Haushaltsgegenstand“, den er vor Jahren in einer polnischen Küstenstadt allein aufgrund seines Aussehens gekauft hat und der seither wie Franz Kafkas Odradek in seiner Küche herumspukt. „Ohne Kenntnis seines Zweckes bleibt er unwirklich“, so Bulkowski. „Erst wenn er benutzt würde, wäre er ganz beisammen. Dann allerdings liefe er auch Gefahr, inmitten der täglichen Verrichtungen ein unbeachtetes Dasein zu führen. Während er als Rätsel listigerweise die Aufmerksamkeit fortwährend auf sich lenkt.“

Titelbild

Hansjürgen Bulkowski: Liebe zur Sache. Die Dinge, mit denen wir leben. 56 Zuwendungen und ein Essay von Hansjürgen Bulkowski.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2010.
174 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-13: 9783865990969

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