Bittersüßer Nachgeschmack

Bernhard Schlinks Selb-Trilogie kommt auch nach drei Bänden nicht auf den Punkt

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine bittersüße Melancholie bleibt nach dem dritten Band – kein Wunder, hatte sie doch über fast 1.000 Seiten hinweg Zeit, sich im Leser aufzubauen und an ihm haften zu bleiben wie der Rauch der legendären Sweet Afton, die Selbs Melancholie begleitet. Da hilft es auch nichts, dass der herzkranke Senior-Detektiv und Ex-Staatsanwalt im dritten Teil der Trilogie unter die Wenig-Raucher geht.

Was bleibt sonst noch außer diesem Gefühl? Eine gute Frage. Etwas Nachdenklichkeit, wenngleich in anderer als der vom Autor vermutlich intentionierten Weise. Befriedigung ob virtuos gelöster Fälle? Dies gerade nicht, denn die gelösten (Teile der) Fälle sind im Grunde nur vordergründig, also nicht wirklich geklärt – so mancher Hintermann kommt ungeschoren davon, eigentliche Problematiken werden nur schemenhaft erkannt, zuweilen bedauert – wenig mehr. Das weiß auch Selb nur allzu gut – besonders in den Momenten, in denen die omnipräsente Melancholie einen deutlichen Hang zur Larmoyanz entwickelt. Doch auch damit bringt man die Sache nicht auf den Punkt. Versuchen wir es also mit Fakten:

Privatdetektiv Selb ist ein gealterter, zuweilen schroffer, dann auch wieder belesener, oft im Zwiespalt mit sich selbst stehender Privatdetektiv ohne PC. Er trinkt Sambuca und manchmal Aviateur, ist kulinarisch polyglott, musikalisch beschlagen, mit einer Vorliebe für Gottfried Keller, leicht melancholisch und gleichzeitig abgebrüht, passionierter Saunagänger und Herrchen des Katers Turbo; ein Eigenbrötler mit insistentem Spürsinn, der Züge von Colombo und Wallander trägt und der ebenso gut durch die schwedischen Wälder streifen könnte wie durch die Mannheim-Ludwigshafener Smogmeilen.

Sein Verhängnis, das ihn immer wieder einholt, ist die Tatsache, dass er seine berufliche Laufbahn als Staatsanwalt noch vor Kriegsende begonnen hat und dass er somit für einige wenige Jahre Diener des nationalsozialistischen Systems war. Dies verfolgt ihn durch die gesamte Trilogie – jeder seiner Fälle führt schlussendlich auch auf ihn zurück und hält ihm den Spiegel der eigenen Vergangenheit vor. Ein gelungener Kunstgriff, möchte man auf den ersten Blick meinen, vor allem, wenn man im Hinterkopf die Figur des Michael aus Schlinks „Vorleser“ hat, die in der Tat als konformistischer Mitläufer im Verlaufe der Handlung konsequent an Sympathien verliert.

Nicht so Selb: Dessen rekurrente Konfrontation mit der Vergangenheit wirkt mit der Zeit gekünstelt, gesucht, gebastelt. Nicht etwa, weil sich nicht auch ein junger Staatsanwalt in den ersten Berufsjahren mit seiner Umgebung auseinandersetzen sollte, sondern einfach deshalb, weil ein deutlich gealterter Privatdetektiv aus der zeitlichen Distanz heraus in irgendeinem Moment in der Lage sein sollte, in irgendeiner Weise mit seiner Vergangenheit ins Reine zu kommen – Möglichkeiten dazu gäbe es wahrlich genug.

So aber zieht sich Selbs Vergangenheit wie ein angestaubter roter Faden durch die drei Bände – spätestens nach dem ersten Buch weiß man, dass dieser Faden wieder auftaucht, dass er nicht ein für alle Mal aufgerollt wird, dass er immer wiederkehrt und gerade deshalb die Sicht auf die Gegenwart verschiedener Fälle versperrt, die Selb in den drei Büchern löst. Diese Fälle kreisen um Datenmanipulation in einem Chemiewerk (Band 1), ein verschwundenes Mädchen, das mit Giftgas und deutsch-amerikanischer Nachkriegsgeschichte zu tun hat (Band 2) und um russische Mafia und die dunklen Seiten einer kleinen Privatbank (Band 3); es geht zudem um alte und neue Freunde, die sich nicht immer als solche bewähren, und, in der Nebenhandlung, um Selbs letzte Liebe – eine deutlich jüngere Freundin, die er im ersten Band kennenlernt und die ihn im zweiten zum Stiefvater auf Probe macht. Die Hochzeit ist im dritten Band angedacht und wird wohl – nicht zuletzt wegen Selbs Herzinfarkt – erst nach Ende der erzählten Zeit stattfinden, so möchte man es Selb zumindest wünschen.

Dass ein Teil seines Umfeldes ebenfalls immer wiederkehrt, ist nur konsequent. So sein (im dritten Teil bereits pensionierter) Polizeifreund Nägelsbach, der seine Freizeit mit dem Schaffen von Streichholzskulpturen füllt, oder seine Schafkopffreunde, von denen einer zwischenzeitlich stirbt. Ganz zu schweigen von den zahllosen Örtlichkeiten, darunter so viele Lokale, dass ein literarischer Spaziergang auf Selbs Spuren fast zwangsläufig in einer Völlerei enden müsste.

Das spannendste der drei Bücher ist zweifellos das zweite – Selbs Betrug – in dem er das mysteriöse Verschwinden eines Mädchens aufklärt (der einzige Band übrigens, den man mit einem Schmunzeln beendet). Der Titel des dritten – Selbs Mord – hätte ebenso gut Titel des ersten sein können – weshalb, mag der geneigte Leser selbst herausfinden.

Gemeinsam ist allen drei Bänden, dass die Detektivgeschichte immer nur Anlass und Vorwand ist, den dahinter verborgenen, verschlängelten Pfad in die Vergangenheit zu beschreiten, der bis ins „Dritte Reich“ zurückführt und Selb auch selbst (daher der Name?) betrifft. Dieser wird dann auch immer und immer wieder, wenngleich oft nur im gedanklichen Vorbeistreifen, mit seinen ersten Berufsjahren als Staatsanwalt konfrontiert, während derer er – wie bewusst und gerne bleibt dabei sehr vage – Teil des Nazi-Regimes war.

Die Trilogie ist deshalb eine Gratwanderung zwischen einem wohlwollenden „sowohl – als auch“ und einem ernüchterten „weder – noch“. Es mag Leser geben, die den Detektivgeschichten den Anti-Held-Charakter Selbs zugute halten und Freude am Mitraten haben, wer in die teilweise sehr verworrenen Kausalzusammenhänge nun wo, wie und warum verwickelt ist und die gleichzeitig Hintergründigkeit bescheinigen, weil immer wieder die NS-Thematik durchschimmert.

Gerade dies genügt jedoch anderen nicht – weder sind die Detektivgeschichten ausreichend spannend und stringent genug konstruiert, um sich mit Feuereifer auf gedankliche Tätersuche zu begeben, noch sind die zugrunde gelegten Themen aus der Vergangenheit mehr als der zu oft bemühte Versuch einer Rechtfertigung, die schlussendlich Schwindelgefühle hervorruft, weil sie sich zu sehr im Kreis dreht.

War eingangs die Melancholie erwähnt, gebührt ab dem dritten Band der Müdigkeit ebenfalls Erwähnung: Selb, nun über 70, ist verständlicherweise müde und der Leser wird es mit ihm. Die Dinge werden nicht besser, wenn man unablässig um sie herumstreift wie Selbs Kater Turbo um den sprichwörtlichen heißen Brei.

Titelbild

Bernhard Schlink: Selb-Trilogie. SelbsJustiz, SelbsBetrug. SelbsMord.
3 Bände im Schuber.
Diogenes Verlag, Zürich 2010.
976 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783257237009

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