Auf der Suche nach dem Buch zum Geschlecht

Ein Sammelband nimmt Bibliotheken in den Genderblick

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Zuge der Frauenbewegung in den 1970er-Jahren schossen Frauenbuchläden geradezu wie Pilze aus dem Boden. Sie zeichneten sich nicht nur durch ein anderes Sortiment aus, als das in den herkömmlichen oder auch linkssozialistischen Buchhandlungen übliche, sondern zunehmend auch durch eine andere Ordnung in den Regalen. Dies machte Schule, und bald gab es auch in nicht explizit feministischen Buchläden beispielsweise die neue Rubrik Frauenliteratur. Eine Rubrizierung die aus guten Gründen aber schon bald gerade von feministischer Seite wieder kritisiert und verworfen wurde. Andererseits wurde die Anordnung feministischer (und auch anderer) Werke weiter ausdifferenziert. So wurde etwa in aller Regel ein separates Regal für Lesbenliteratur eingerichtet.

Doch gab es nicht nur aller Orten immer mehr feministische Buchläden. Hier und da wurden auch feministische Bibliotheken und Archive ins Leben gerufen. Während die Buchhandlungen inzwischen wieder weitgehend verschwunden sind, gelang es den Archiven sowohl den archivierten wie auch den eignen Bestand zu wahren.

Mehr noch als in den Buchhandlungen waren in diesen Institutionen eigene, spezifische Verschlagwortungen gefragt. Heute sind sich nicht nur feministische Einrichtungen dieser Art, sondern Bibliotheken und Archive ganz allgemein der Notwendigkeit und Problematik einer zwar nicht unbedingt feministischen, aber doch gendergerechten Verschlagwortung bewusst geworden, wenngleich noch so einiges im Argen liegt, was deren Umsetzung im bibliothekarischen Alltag betrifft.

Mit diesem „Genderfaktor“ in Bibliotheken befasst sich ein soeben erschienener schmaler Sammelband, der unter der Fragestellung „Macht oder neuer Dialog“ einen „Genderblick auf Bibliotheken“ verspricht. Wie sich zeigt, werden allerdings nicht alle Beiträge der im Titel geweckten Erwartungshaltung gerecht. So fällt der Aufsatz von Agata Martyna Jadwizyc aus dem angekündigten Themenkreis und befasst sich statt dessen mit dem in „Männerzeitschriften“ wie „Men’s Health“, „For Him Magazine (FHM)“ und „Maxim“ propagierten Männlichkeitsbild. Dabei bedient sich Jadwizyc einer etwas sperrigen Sprache, an der alleine es allerdings nicht liegt, wenn ihre Inhalte nicht immer überzeugen. So lautet etwa ihr nicht sonderlich plausibles Resümee, dass das „große Interesse seitens der Männer für Lifestyle-Magazine“ auf die „veränderten Bedingungen und Geschlechterkonstellationen im Zuge der Frauenbewegung und der Geschlechtergleichstellung“ hinweise, denen gegenüber sich Männer „hilflos“ zeigten. Daher suchten sie in diesen Zeitschriften nach „Unterstützung, die die Männermagazine sehr gut leisten. Sie zeigen nämlich den verunsicherten Männern neue Alternativen und Wege für die Präsentation als echte Männer.“

Näher am eigentlichen Thema des Bandes liegt da schon Birte Meiners Beitrag über den „Gender Faktor bei der Leseförderung von Kindern und Jugendlichen“. Allerdings ist der auf der Abschlussarbeit der Diplombibliothekarin basierende Text nicht nur nicht immer auf dem Stand der Forschung, sondern zieht lieber ebenso populäre wie fragwürdige Sachbücher über vermeintlich geschlechtsspezifische Unterschiede von Gehirnen heran, statt zu seriöser wissenschaftlicher Fachliteratur zu greifen, die beispielsweise die angeblich bessere ‚Verlinkung‘ der beiden Hirnhälften bei Frauen längst als irrig erwiesen haben. Meiner erklärt sogar ganz explizit, dass sie aktuelle Forschungsergebnisse von ausgewiesenen neurobiologischen WissenschaftlerInnen nicht interessieren: „Es soll hier nicht auf die neuesten Ergebnisse der Hirnforschung eingegangen werden.“ So gelangt sie zu dem Ergebnis, dass „neben vielen Faktoren, die das Lesen beeinflussen“, „das Geschlecht eines Menschen entscheidend“ sei. Daher sei eine „Anpassung der Leseförderung besonders für Jungen notwendig“, die „die eigentliche Zielgruppe der Leseförderung sein müssten“. „Ab der dritten und vierten Klasse“ sollten „vermehrt Sachbücher im Unterricht verwendet werden“, lautet ihre Empfehlung. Denn „bei Mädchen erweitern sie den Wissenshorizont und Jungen lesen sie lieber“ als literarische Werke.

Tatsächlich mit der Bedeutung von „Gender in Bibliotheken“ befasst sich hingegen Karin Aleksander, die seit dessen Gründung 1990 am Auf- und Ausbau der Bibliothek des Zentrums für interdisziplinäre Frauenforschung der Humboldt-Universität zu Berlin arbeitet. Entsprechend kenntnisreich und instruktiv ist denn auch ihr Überblick darüber, „was die Kategorie ‚Gender‘ für die Arbeit in traditionellen Bibliotheken bedeutet“. Auch wenn er nicht jede Tiefe des Begriffs Gender ausleuchtet.

So beklagt sie zu Recht, dass es nach wie vor kaum Fachreferate für Gender Studies gibt, und fordert, dass in den Bibliotheken insbesondere Erwerb, Klassifizierung und Verschlagwortung unter Genderaspekten zu verändern sind. Um „den Rechercheweg für Gender-Literatur zu optimieren“ reiche das alleine allerdings nicht. Vielmehr sei hierzu eine „virtuelle Gender-Systematik“ notwendig, wie sie „an der Pädagogischen Hochschule in Freiburg erfolgreich praktiziert“ wird. Denn „der Gesamtbestand lässt sich für dieses Gebiet eigentlich nur virtuell abbilden, weil die Geschlechterstudien quer zu anderen Wissenschaftsdisziplinen agieren“ und somit die einschlägige Gesamtbestand über verschiedene Standorte in der Bibliothek verteilt ist. An Universitäten mit Fachbereichs- und Institutsbibliothek erstreckt sich die Verteilung sogar über diese und den gesamten Campus oder, wie etwa in dem Universitätsstädtchen Marburg, über das gesamte Stadtgebiet. Daher ermöglicht nur das „Instrument“ der virtuellen Gender-Systematik eine wirklich „systematische Suche über den Gesamtbestand der Literatur zu Gender Studies“.

Beschlossen wird der Band durch einen kürzeren Text, in dem Erwin Miedtke über die Erfahrungen der Stadtbibliothek Bremen mit geschlechterspezifischen Zielsetzungen berichtet.

Titelbild

Der Genderfaktor: Macht oder neuer Dialog. Mit Genderblick auf Bibliotheken oder Bibliotheken im Genderblick.
Simon Verlag für Bibliothekswissen, Berlin 2010.
185 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783940862204

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