Allzu verpönte Pädagogik

Alexandra Budkes Buch „Und der Zukunft abgewandt. Ideologische Erziehung im Geographieunterricht der DDR“ bemüht sich um eine differenzierte Darstellung seines Themas

Von Paola QuadrelliRSS-Newsfeed neuer Artikel von Paola Quadrelli

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Bildungspolitik und die Erziehung in der ehemaligen DDR sind immer noch umstrittene und brisante Themen. Während einflussreiche Kommentatoren über die dauerhaften psychologischen Schäden einer Erziehung berichten, die die Schüler entmündigte und zur Unwahrheit erzog, erheben sich mit regelmäßigen Abständen in der Presse und in der Öffentlichkeit die Stimmen derjenigen, die dem Bildungssystem der DDR positive Seiten anerkennen und seine völlige Auflösung im wiedervereinigten Deutschland zu Gunsten des Schulsystems der BRD bedauern. Alexandra Budke, die Autorin der Studie „Und der Zukunft abgewandt. Ideologische Erziehung im Geographieunterricht der DDR“, stellt am Anfang ihrer Arbeit fest, dass aktuell „kein wissenschaftlich einheitliches Bild der damaligen Bildungsrealität“ existierte: „Es wird immer noch darüber gestritten, ob das Bildungssystem der DDR gescheitert ist oder erfolgreich war“.

Mit diesem Band, der mit dem Forschungspreis des Georg-Eckert Instituts für internationale Schulbuchforschung ausgezeichnet wurde, versucht die Autorin, die „damalige Bildungsrealität“ zu erfassen, indem sie die ideologische Erziehung im Geografieunterricht auch anhand von Interviews mit LehrerInnen, SchülerInnen und Experten des Fachs fokussiert. Geografie gehörte in der DDR neben Staatsbürgerkunde und Geschichte zu den als „Gesellschaftswissenschaften“ definierten Fächern; der Geografie wurde eine besonders große Bedeutung für die Herausbildung „sozialistischer Persönlichkeiten“ beigemessen und Unterricht dieses Faches wurde ab Schuljahr 1971/72 bis 1989 von der 5. bis zur 11. Klasse zweistündig erteilt.

Budke nähert sich auf eine sozusagen konzentrische Weise ihrem Thema an, indem sie zunächst das politische System der DDR und deren Bildungssystem erläutert. Die Autorin geht davon aus, dass der Geografieunterricht nur in seiner Einbettung in das Bildungssystem der DDR verstanden werden kann, „das wiederum nur in direkter Abhängigkeit von dem politischen System und seiner Bildungspolitik zu fassen ist“. Das Bildungssystem der DDR war durch einen zentralistischen Charakter und durch eine starke Vereinheitlichung gekennzeichnet, worin sich der Anspruch der SED erkennen lässt, Bildungsprozesse zur Sicherung der Macht und Herrschaft der Partei zu instrumentalisieren. An einer umfassenden zentralen Steuerung sowie an der Bedeutung der ideologischen Erziehung hielt die SED noch bis ans Ende der 1980er-Jahre fest. In diesem politisch sowie didaktisch strikt geregelten Rahmen war die Arbeit der Lehrer stark begrenzt. Detaillierte und gesetzlich verbindliche Lehrpläne, die fehlende Auswahl an Schulbüchern (für jedes Fach existierte im ganzen Land nur ein Lehrbuch pro Klassenstufe), die Verpflichtung zur Staatstreue und – infolgedessen – zur „Parteilichkeit“ sowie die politische Kontrolle durch die Schulbehörden zwangen viele Lehrer zur Anpassung, zur Verlogenheit und zu einer „systemnahen“ Haltung.

Mit der Analyse von Lehrplänen, Schulbüchern und Unterrichtshilfen für den Geografieunterricht befasst sich die Autorin ausführlich, wobei sie sich auf die ab 1966 sukzessiv für alle Klassenstufen konzipierten Lehrpläne und Materialien bezieht, die mit geringen Modifikationen zwischen 1989 und1990 von den GeografielehrerInnen eingesetzt werden sollten. Budke betont die in den Lehrplänen festgelegten ideologischen Erziehungsziele, die die Überzeugung der Schüler von der Überlegenheit des Sozialismus über den Kapitalismus sowie die Übernahme eines „festen Klassenstandpunktes“ einschlossen. Konzepte der Physischen und der Ökonomischen Geografie waren durch den Einsatz eines „sozialistischen“ Geopossibilismus verknüpft, laut dessen nur die sozialistische Produktionsweise die optimale Nutzung der Naturreichtümer bei gleichzeitigem Erhalt der Naturressourcen ermöglichte. Die Geografieschulbücher spiegelten die in den Lehrplänen festgesetzten ideologischen Richtlinien wider: Texte, Statistiken und Bilder wiesen die Schüler auf schwerwiegende Probleme der kapitalistischen Länder hin (wie Arbeitslosigkeit, schlechte Lebensverhältnisse der Bauern und Arbeiter, Elend in den Großstädten), während die Errungenschaften der DDR und der wirtschaftliche Aufschwung der sozialistischen Länder durch farbenfrohe Bilder, begeisternde Statistiken und lobende Beschreibungen angepriesen wurden. Den innovativsten und spannendsten Teil der Forschung von Buldke bildet das vierte Kapitel, in dem die Autorin auf den „erlebten Geografieunterricht in der DDR“ eingeht. Ausgehend von einem soliden methodischen Vorgehen, gibt die Autorin über die qualitativen Interviews Auskunft, die sie mit 21 GeografielehrerInnen und 15 ehemaligen SchülerInnen führte und mit Hilfe der „Wert-Erwartungstheorie“ erarbeitet und interpretiert.

Insgesamt, so die Schlussfolgerung der Autorin nach der Auswertung der Interviews, ist die Erziehung zu „sozialistischen Persönlichkeiten“ im Geografieunterricht größtenteils als missglückt zu bewerten; erstens, weil die in den Schulbüchern beschriebene „ideale“ sozialistische Gesellschaft mit der von den Schülern erlebten Wirklichkeit nicht in Einklang zu bringen war, und zweitens, weil die Akteure der Bildungsprozesse – Lehrer sowie Schüler – trotz der politisch-ideologischen Indoktrination für sich einen freien Handlungsspielraum beanspruchten und öfter gewannen. In diesem Sinne trägt die ausgewogene Untersuchung Budkes auch dazu bei, ein differenziertes und facettenreiches Bild der allzu oft verpönten DDR-Lehrer zu zeichnen, ohne allerdings die „Spuren der Entmündigung“ (Christa Wolf) und die psychische Belastung von Lehrern und Schülern in einem verlogenen System zu kaschieren.

Titelbild

Alexandra Budke: Und der Zukunft abgewandt. Ideologische Erziehung im Geographieunterricht der DDR.
Aus der Reihe Eckert. Die Schriftenreihe 127.
V&R unipress, Göttingen 2010.
449 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783899716276

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