Mehr als ein autoerotischer Todesfall

Zu Kathy Reichs Roman „Blut vergisst nicht“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Kathy Reichs schickt wieder die forensische Anthropologin Temperance Brennan auf Ermittlungsreise. Ausgangspunkt ist der Fund einer Leiche in einem See, die offensichtlich ohne Fremdverschulden beim Ausüben autoerotischer Verrichtungen ums Leben gekommen ist. Brennan wird hinzugezogen und bei dem Versuch die Identität des Toten zu ermitteln, stößt man auf Widersprüche, die die Untersuchungen bis zum Vietnamkrieges zurückführen. Dabei erfährt der Leser viele Details zur Ermittlung von verschollenen Personen aus den verschiedenen Kriegen und den damit beschäftigten amerikanischen Behörden. Die aufwendigen Recherchen werden durch die Ermittlungen von Brennan transparent gemacht. Auch sind diesmal die forensischen Details und Erläuterungen aus dem administrativen Bereich hervorragend in die Geschichte integriert worden. Dabei sind es vor allem die minutiösen Details, die eine herausragende Rolle bei den Verbrechen spielen.

Selbstironisch kommentiert Reichs auch Schwächen vorheriger Romane, wenn Sie ihre Figuren sagen lässt: „Gelbe Karte. Foul mit Fachchinesisch.“ Dabei findet man terminologische Eskapaden diesmal nur im Verbund mit genauen Erläuterungen, was den Wissenshorizont des Lesers durchaus erweitert. Was in „Blut vergisst nicht“ zunächst als einfache Problemstellung beginnt, weitet sich schon nach kurzer Zeit für den Leser zu einem komplexen, figurenreichen und rätselhaften Fall aus, den wohl nur die Wirklichkeit in dieser Komplexität schreiben kann. Reichs fasst zum Ende des Romans in einem kurzen Absatz die Erzählstränge zusammen: „Wieder und wieder fragte ich mich, was zum Teufel da eigentlich passiert war. Hatte eine Ereigniskette, die mit einem autoerotischen Tod in Montreal begonnen hatte, mich auf einer Straße auf Hawaii beinahe das Leben gekostet? Hatte der Unfall etwas mit dem Opfer aus dem Teich in Hemmingford zu tun? Mit Plato Lowery in Lumberton, North Carolina? Mit einem Fall am CIL? Falls ja, mit welchem? Lowery? Alvarez? Lapasa? Mit dem gefeuerten Anthropologen Lyndon Mulcahy? Mit der Arbeit, die ich für Hadley Perra tat? Mit dem Opfer aus der Halona Cove mit dem Trecknagel, Francis Kealoha? Mit seinem unbekannten Kumpel? Oder war die Kollison mit dem Geländewagen wirklich nur ein Unfall? War ich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort?“

Erscheint dies auf den ersten Blick verwirrend, gelingt es Reichs aber, einen stringenten Erzählfaden zu halten, die einzelnen Handlungsstränge nach und nach „abzuarbeiten“ und eine letztendlich unterhaltsame Geschichte zu erzählen, die von eben den vielfältigen Aspekten der Handlungsstränge lebt. Dabei lässt Reichs auch den Humor und die Selbstironie nicht außer Acht, vor allem, wenn Sie ihre „eigene“ Serie „Bones“ zitiert: „Du sagst doch, du bist so schlau. Weißt alles über DNS. Ich bin mir sicher, du schaust CSI und Law and Order. Vielleicht auch Bones, aber das ist möglicherweise zu hoch für dich.“ Zusammenfassend ein lohnenswertes Stück Kriminalliteratur, das die modernen Aspekte des Genres unterhaltsam und kompetent verbindet. Definitiv ist hier eine Lektüreempfehlung auszusprechen.

Titelbild

Kathy Reichs: Blut vergisst nicht. Roman.
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Klaus Berr.
Blessing Verlag, München 2010.
384 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783896673244

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