Über Marburg und alles, was mit Marburg zusammenhängt, unter besonderer Berücksichtigung des Turms A

In Betrachtung der gelben Papierrose: Wie es einem Redakteur von literaturkritik.de ergehen kann, der eine Jubiläumsausgabe zu Thomas Bernhards 80. Geburtstag vorbereiten darf

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

In seiner Marburger Arbeitskammer, gelegen im zweiten Stock des sogenannten Turms A der Philipps-Universität, eines Gebäudes, das unter Wissenden auch ganz einfach nur noch als der Kegel bezeichnet wird, soll der leitende Redakteur seinem Kollegen plötzlich angedroht haben, jetzt wieder abrupt mit der Thomas-Bernhard-Lektüre beginnen zu wollen, und zwar trotz aller Prioritäten, die ihm seine Uni-Karriere aufzwinge, kolportierte Schwarz, und jener leitende Redakteur habe denn auch tatsächlich sogleich eine zerfledderte Suhrkamp-Taschenbuchausgabe des Romans „Korrektur“ aus der Tasche gezogen und damit wie wild in der Luft herumgefuchtelt, wobei er begonnen haben soll, verworrene Dinge über Roithamers Manuskript mit dem seltsamen und wirklich so lautenden Titel Über Altensam und alles, das mit Altensam zusammenhängt, unter besonderer Berücksichtigung des Kegels zu reden, jene Schrift also, die der ungenannte Erzähler in Bernhards berühmtem Roman von 1975 in der höllerschen Dachkammer auffinde, um sie zusammen mit Roithamers Nachlass zu sichten und zu ordnen, wobei ja jeder Leser wisse, wie fatal das am Ende ausgehe, dieses Sichten und Ordnen, und richtig habe der Redakteur auch bald immer lauter zu sprechen begonnen, um auch von ihm, Schwarz, ein umso schnelleres Bearbeiten der Korrekturfahnen für die Februarausgabe mit einem Themenschwerpunkt zum großen Thomas-Bernhard-Jubiläum einzufordern, eine Korrektur der Korrektur der Korrektur, und zwar in der genau viermalfünf Meter großen Korrekturzelle am Ende des Flurs, zweiter Stock, Turm A, wo man ihn, Schwarz, aufgrund seiner dubiosen Termine in Cambridge, wie man die Marburger Mensa hier ja neuerdings zu nennen beliebe, zuletzt doch allzu selten pünktlich zu Werke habe schreiten sehen, es gehe jetzt so ganz einfach nicht mehr weiter, habe der leitende Redakteur ihn plötzlich angeherrscht, man sei im Verzug, weswegen jetzt alles schlicht viel schneller zu gehen habe, eine eigentliche Korrektur habe endlich zu erfolgen, und am besten solle er, Schwarz, doch von zu Hause einmal seinen albernen Rucksack mit dem angetrockneten Hasenblut nutzen, um dort alle unbearbeiteten und liegengebliebenen Korrekturfahnen feste hineinzustopfen, falls nötig mit Hieben und Stößen durch jene merkwürdige, aus Kabelstücken gemachte, schwarze Gummiwurst mit dem Stahlbandgriff, die er doch an der Außenwand seines privaten Geistesbezirks stets hängen habe, ob er eigentlich in seinem Denkkerker auch immer barfuß gehe, soll der Redakteur ihn da in einem erstaunlichen Gedankensprung plötzlich gefragt haben, nun ja, wie dem auch sei, er selbst, der leitende Redakteur, habe ihm, Schwarz, schließlich hinter vorgehaltener Hand gestanden, neuerdings mehrmals am Tag zur tosenden Lahn-Engstelle am Wehr zu laufen, immer wieder hin und zurück, also einerseits hin und andererseits sofort wieder zurück, jedes Mal schneller gehend, obwohl er sich dadurch naturgemäß zu beruhigen versuche, wie der leitende Redakteur jetzt nur noch angstvoll geflüstert habe, wir alle müssten uns doch angesichts der alltäglichen Arbeitsbelastungen nun einmal immer dringender und nötiger beruhigen, nicht wahr, um die vollkommene Stille in der Korrekturzelle und der Marburger Arbeitskammer in Turm A überhaupt noch weiter ertragen zu können, er selbst, so der leitende Redakteur, könne dies ohnehin nurmehr noch mit einer gelben Papierrose in der Schublade schaffen, wie er sie neulich von der Cappeler Dorfkirmes mitgebracht habe, um sie seitdem immer wieder hervorzunehmen und in ihrer stundenlangen Kontemplation zu verharren, er habe diese seltene Blume nämlich, nachdem er in einer unvermittelt in seinem Kopf entstandenen euphorischen Stimmung mehrere Bierkrüge in schnellster Folge gelehrt gehabt hätte, tatsächlich am Cappeler Kirmes-Schießstand geschossen, jawohl, und seitdem diene sie ihm als Glücksbringer, er, der leitende Redakteur, könne genauer gesagt ohne einen solchen Talisman jetzt naturgemäß gar nicht mehr leben, sehe er doch sonst ständig nur noch diesen großen, ausgestopften schwarzen Vogel voller Zellstoff vor sich, berichtete Schwarz erschrocken, jawohl, das habe ihm der leitende Redakteur tatsächlich erzählt, und zwar mit diesem irren Blick, wonach der offensichtlich verstörte Mann auch schon aufgesprungen und hinaus gerannt sei, in Richtung Stadtwald, wobei er noch irgendetwas von einer Lichtung im Kobernaußer Wald ausgerufen haben soll, die Lichtung, hören Sie, die Lichtung, doch letzten Endes sei es ihm, Schwarz, auch ganz ohne seinen Kollegen noch gelungen, das Ordnen beziehungsweise das Sichten der angefallenen Schriften rechtzeitig zu beenden, um den Themenschwerpunkt anlässlich des 80. Geburtstags Thomas Bernhards termingerecht online zu stellen, wofür er nicht zuletzt allen LiteraturwissenschaftlerInnen an dieser Stelle ganz herzlich danken wolle, die sich daran beteiligten, indem sie ihre Essays und Rezensionen pünktlich bei ihm abgeliefert hätten, so dass er nun ganz einfach allen Lesern der Zeitschrift gute Lektüren zu wünschen imstande sei.