Amüsante Flops

Hans Magnus Enzensberger über seine „Lieblings-Flops“ und ein „Ideen-Magazin“

Von Herbert FuchsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Herbert Fuchs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer kann schon aus Flops nachträglich einen Erfolg machen? Doch wohl nur Menschen, die sowieso erfolgreich sind, bekannte Künstler und Schriftsteller zum Beispiel, vor allem solche, die über ihre künstlerischen Fehlschläge souverän lächeln und selbstironisch-verschmitzt schreiben können, Hans Magnus Enzensberger also, der diese Voraussetzungen wie kein anderer erfüllt. Mit 81 Jahren kann er auf eine lange Liste erfolgreicher Gedichtbände und Essays blicken, kann auf Erzählungen verweisen, auf einen Roman, auf Theaterstücke und Jugendbücher, auf Filmvorlagen, Übersetzungen und verlegerische Projekte – ein schriftstellerisches Werk, das durch viele Preise, unter anderem schon sehr früh durch den Georg-Büchner-Preis, ausgezeichnet und gewürdigt wurde.

Wer, wenn nicht er, verfügt über genügend Selbstbewusstsein und das Quäntchen schelmisch-selbstironischer Unverfrorenheit, das, was bei Verlegern oder beim Publikum oder aus irgendwelchen Gründen durchgefallen ist, zu sammeln und später unter dem schönen, halb entschuldigend klingenden Titel „Lieblings-Flops“ als Buch erneut auf die Ladentische zu legen? Und natürlich hat er dafür überzeugende Begründungen: „Jeder Peinlichkeit“, so schreibt er, leicht unter- und übertreibend, „wohnt eine Erleuchtung inne, und während der Arbeiter im Weinberg der Kultur seine Erfolge rasch zu vergessen pflegt, hält sich die Erinnerung an einen Flop jahre-, wenn nicht jahrzehntelang mit geradezu blendender Intensität. Triumphe halten keine Lehren bereit, Mißerfolge dagegen befördern die Erkenntnis auf mannigfaltige Art.“ Das Flop-Buch ist ein Erfolg: Innerhalb weniger Wochen wird es von den Literaturkritikern in die SWR-Bestenliste Januar 2011 gewählt. Der „Charme des Unperfekten“, wie es in einem Interview heißt, ist offenbar verkaufsfördernd.

Das Buch weist verschiedene Facetten auf. Es gefällt sicherlich vielen Lesern, weil es spielerisch-selbstbewusst, in einigen Passagen ein wenig zu forsch, alte, durchaus interessante, manchmal leicht angestaubte Einfälle und Skizzen aus den Schubläden hervorkramt und diese, obgleich alle schon erprobt und zu leicht befunden, noch einmal, ohne aufdringlich zu sein, anpreist. Der Leser, von der charmanten Keckheit des Autors angetan, begibt sich nicht unwillig, eher neugierig auf die Spuren kleinerer und größerer Misserfolge eines bekannten und erfolgreichen Schriftstellers. Auf die Idee, daraus ein Buch zu machen, muss ein Autor erst einmal kommen. Enzensberger hat dafür den richtigen Distanz-Blick, der die Vorlagen ernst, aber nicht zu ernst nimmt und dem dadurch eine einnehmende Leichtigkeit im Umgang mit seinen Fehlschlägen gelingt.

Das Buch gibt Einblicke in den Schreiballtag eines Schriftstellers. Da werden Ideen und Themen gesucht, daraus erste Konzepte entwickelt, Personen skizziert und charakterisiert, Handlungsabläufe erfunden und knapp beschrieben, Szenen erdacht und sprachlich ausgeführt. Selbst erfolgreiche Schreib-Profis, so merkt der Leser, haben nicht immer geniale Einfälle, die einen Schreibprozess in Gang setzen, der früher oder später auf der Bühne oder zwischen Buchdeckeln seinen Abschluss findet. Der Erfolg eines Buches oder eines Theaterstücks lässt sich nicht garantieren. Das Buch führt an Beispielen vor, wie auch preisgekrönte Schriftsteller sich in den Netzen spontaner und unausgegorener Ideen verheddern und irgendwann erkennen müssen, dass von ihrer Anfangsidee nicht mehr viel zu retten ist. Es zeigt die graueren Farben hinter der strahlenden Fassade des Erfolgs und spielt mit dem Moment des Unfertigen, Zufälligen und Beliebigen dichterischer Eingebungen.

Ein druckreifes Buch, eine Filmvorlage, ein opernreifes Libretto oder ein bühnengeeignetes Theaterstück brauchen neben handwerklichem Können auch das sprichwörtliche Quäntchen Glück, damit daraus ein Erfolg wird. Enzensberger scheint dieses Glück bei der Verwirklichung seiner dichterischen, sprachlichen und szenischen Eingebungen nicht unbedingt immer zur Seite gestanden zu haben. Wieder und wieder werden die künstlerischen Fehlschläge – ein ironisches Augenzwinkern oder eher ein zu selbstgerechter Ton? – mit unglücklichen Zufällen oder den Unwägbarkeiten des Lebens oder der Schwerfälligkeit des Theaterbetriebs begründet.

So scheitert das Stück „Die Tochter der Luft“ nach Pedro Calderón de la Barca daran, dass die Textvorlage vom Regisseur Frank Castorf, der kurzfristig für die erkrankte „großartige“ Andrea Breth einspringt, durch übermäßige Kürzungen „amputiert“ wird. Ein anderes Theaterprojekt mit Gerd Voss endet vorzeitig wegen eines Beinbruchs des Schauspielers. Und die Zusammenarbeit mit dem berühmten Komponisten Hans Werner Henze führt zwar zu einer Aufführung der Oper „La Cubano“ am Gärtnerplatz-Theater in München, aber ein Misserfolg wird das Unternehmen trotzdem, und zwar aus einem Grund, der absurd-komisch klingt: Dem Theater ist bei der Besetzung des Regisseurs eine Namensverwechslung unterlaufen. Nicht der Regisseur, den Henze vorgeschlagen und gewünscht hatte, sondern ein älterer Fernsehfilmregisseur gleichen Namens wurde mit der Aufgabe betraut und war damit überfordert. An deutschen Theatern geht es eben auch gelegentlich ähnlich stümperhaft zu wie im „richtigen Leben“. Enzensbergers Flop-Buch bietet dafür amüsante Belege.

In einem Gedicht aus dem Band „Kiosk“ (1995) schreibt Enzensberger, dass der Standort ganz oben „schräge Blicke nach unten“ gewähre, „in kleinere Abgründe“. Eine solche Blickrichtung von oben verzerrt zwar die Dinge, macht sie aber dadurch in ihrem Wesen deutlich. Die „Flops“ erhellen den Literatur- und Theaterbetrieb durch solche „schrägen Blicke“. „Sie gewähren Einblick in die Produktionsbedingungen, Manieren und Usancen der relevanten Industrien und helfen dem Ahnungslosen, die Fallstricke, Minenfelder und Selbstschußanlagen einzuschätzen, mit denen er auf diesem Terrain zu rechnen hat.“

Ein Beispiel für diese aufklärerische Funktion ist der Bericht darüber, wie es in letzter Minute, kurz vor Beginn der Frankfurter Buchmesse 2005, zum Scheitern der sorgfältig geplanten Reihe „Frankfurter Allgemeine Bibliothek“ (F.A.Z.) kommt. Die F.A.Z., mit der die Edition vorbereitet wird, kündigt die Zusammenarbeit auf, als der Eichborn-Verlag juristisch interveniert. Enzensberger zieht trotz der schmerzlichen Niederlage am Ende ein positives Fazit: „Eine […] wertvolle Lehre hat mir unser kleines Mammutprojekt beschert: je größer das Unterfangen, desto geräuschvoller fällt der Flop aus, wenn es scheitert.“

Solche Sätze machen eines deutlich: Die Flops, die Enzensberger in seinem Buch aufführt, zum Teil genüsslich schildert und deren Ausgang er meist mit einem halben Lächeln quittiert, haben mit einem wirklichen Scheitern, das das schriftstellerische Vermögen in Frage stellt und die künstlerische Kreativität zu zerstören droht, nichts gemein. Ihnen haftet nichts Tragisches an. Enzensbergers Flops sind verschmerzbare Misserfolge, halb erwartet, kaum überraschend, wie es scheint, Versuchsballone, die zu wenig Luft haben und deshalb nicht abheben, oder abheben, aber bald platzen. Der Autor führt sie ohne Larmoyanz vor, immer selbstkritisch und selbstironisch und längst mit innerem Abstand zu den gescheiterten Plänen, aber mit einem kleinen Kopfschütteln hier und dort über die Ignoranz derjenigen, in deren Hände er seine Pläne, Skizzen, Szenenentwürfe irgendwann einmal legte und die damit nicht so umgehen wollten und konnten, wie er das wünschte.

Der Autor arbeitet und veröffentlicht in vielen Genres des Literatur- und Kulturbetriebs. Das Buch berichtet von Kino-Flops, Theater-Flops, Opern- und Operetten-Flops und verlegerischen Flops. Manches, was da noch einmal ausgebreitet wird, ist wohl zu Recht nicht auf Leinwänden oder Bühnen oder in den Regalen der Sortimentsbuchhandlungen erschienen. Einiges hätte man vielleicht aber doch gerne aufgeführt gesehen. So hat Enzensberger zusammen mit Ingrid Caven und dem erfahrenen Komponisten Oscar Strasnoy eine „Taschenoper“ konzipiert, die „transportabel ist und nicht viel kostet“.

Leider scheitert das Projekt an den „ortsüblichen Intrigen“ hinter der Bühne. Auch die Idee einer „Operette morali“ als „Muntermacher“ unmittelbar vor der Aufführung stundenlanger etwas anstrengender Opern hätte mehr Aufmerksamkeit, Mut und Offenheit der zuständigen Intendanten, Dramaturgen und Regisseure verdient. Stattdessen werden die kurzen Libretti mit dem fadenscheinigen Argument, die Vorspiele stellten eine „unzumutbare Betriebsstörung“ dar, zurückgewiesen.

Das Flop-Buch macht auch neugierig auf das „Totengespräch“ mit dem Titel „Ohne uns“, in dessen Mittelpunkt zwei Gestrandete stehen, ein älterer Investmentbanker und ein Terrorist aus Deutschland. Das Stück spielt „in einem Militärcamp in der hintersten Ecke Malaysias“ und atmet in seiner sprachlichen und szenischen Gestaltung den Geist Samuel Becketts. In diesen Tagen einer ständig drohenden internationalen Finanzkrise und ständig drohender terroristischer Wahnsinnstaten wäre es sicherlich spannend zu hören, was Enzensbergers Figuren zu sagen haben, und zu sehen, wie sie in kritischen Situationen agieren. Es ist seinerzeit nur zu einer Privataufführung während der Salzburger Festspiele gekommen; warum es das Stück nicht auf die Bühnen geschafft hat, bleibt im Halbdunkeln.

Das letzte Drittel des Buches enthält ein „Ideen-Magazin“, aus dem sich Film- und Theaterschaffende „bedienen“ können. „Nur zu!“, ermuntert sie der Autor. „Viel Vergnügen!“ Eigentlich unterscheidet sich dieser Teil kaum von den ersten einhundertundfünfzig Seiten. Der Unterschied liegt in der völligen Unerprobtheit der neuen Ideen. Sie harren auf ihre Probe aufs Exempel. Es wäre nicht überraschend, schließlich stammen die Einfälle von Enzensberger, wenn junge Künstler in dieser Ideen-Börse das ein oder andere Brauchbare fänden. „Der Tausch“ zum Beispiel, eine groteske Verwechslungsgeschichte, könnte einen tragikomischen Film ergeben. Und für den sympathischen Versuch, Franz Schuberts Oper „Rosamunde“ zu retten, denkt sich Enzensberger eine komplizierte, spannende Bühnenvorlage aus, in der eine Theatergruppe in der russischen Stadt Woronesch 1936, mitten in der Stalinismuszeit, heimlich Szenen aus der romantischen Oper einzustudieren versucht. Die stalinistischen Säuberungen machen den Theaterproben ein jähes Ende. „Die vorläufig Verschonten bleiben in einer von Angst überschatteten Tschechow-Atmosphäre zurück.“

Aber natürlich ist der Leser auch selbst eingeladen, die Ideen und Einfälle des Buches, einige wenigstens, in seinem Kopf weiterzuentwickeln und daraus Fantasie-Opern, Fantasie-Filme und Fantasie-Theaterstücke zu machen. Nicht zuletzt darin liegt der Unterhaltungswert von Enzensbergers „Lieblings-Flops“. Und wer will, kann auf die Suche nach Sätzen wie den folgenden gehen und sich darüber Gedanken machen: „Alle menschlichen Organe werden auf dem deutschen Theater mit großem Nachdruck ausgestellt, mit einer Ausnahme: dem Gehirn. Die unvermeidliche Folge ist, daß dem Zuschauer häufiger Ausscheidungen vorgeführt werden als Gedanken.“ Solche intelligent-provokanten Sätze gibt es haufenweise im Flop-Buch.

Titelbild

Hans Magnus Enzensberger: Meine Lieblings-Flops, gefolgt von einem Ideen-Magazin.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
241 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783518422113

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