Die Mühen des Schreibens und die Anstrengung des Lesens

Über den von Ann Kristin Düber und Falko Schnicke herausgegebenen Sammelband „Zur kulturellen Codierung neuzeitlicher Geschlechterdispositionen rechtfertigt die Lektüre“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Leben sei eine Anstrengung, die einer besseren Sache Wert wäre, konstatierte der Aphoristiker Karl Kraus. Dem lässt sich hinzufügen, dass auch manche Lektüre eine Anstrengung bereitet, die eines besseren Buches Wert wäre. Ist eine Lektüre von Erkenntnisgewinn gekrönt, so unternimmt man die Anstrengung, die sie abverlangen mag, gerne. Anders hingegen verhält es sich, wenn man sich durch einen Text kämpfen muss, dessen um Wissenschaftlichkeit bemühter Studierendenjargon mit seinem nominalistisch-substantivistischen Stil selbst das vitalste Interesse ermüden lässt, zumal wenn er kaum mehr als Binsenweisheiten bietet, wie dies bei einigen Beiträgen des von Ann Kristin Düber und Falko Schnicke herausgegebenen Sammelbandes „Zur kulturellen Codierung neuzeitlicher Geschlechterdispositionen“ vorkommt. Der unter dem Titel „Perspektive – Medium – Macht“ erschienene Band ist aus einem Kolloquium der „Arbeitsstelle für postfeministische Literaturwissenschaft“ hervorgegangen, das im Sommer 2008 an der Universität Hamburg durchgeführt wurde.

Wie die HerausgeberInnen in ihrem einleitenden Text erklären, kommt der Geschlechterforschung eine „wissenschaftskritische und im weitesten Sinne politische Funktion zu“, „der auch alle Beiträge des vorliegenden Bandes mindestens implizit verpflichtet sind.“ Zudem seien die Beitragenden „an der Offenlegung und Kritik kultureller Codierungen interessiert.“ Vier Begriffsbestimmungen stehen im Mittelpunkt des Textes. Zum einen die der drei den Titel bildenden Termini, zum anderen die der kulturellen Codierung, die Düber und Schnicke als „Teil eines (über-)individuellen, nur mäßig bewussten, aber gerade dadurch ausgesprochen wirkmächtigen Hierarchiesystems“ auffassen, „das zur Herstellung sexueller, moralischer, politischer und sozialer Machtverhältnisse beiträgt.“ Was nun die drei titelbildenden Ausdrücke betrifft, so werde mit dem Begriff des Mediums die „Orte der Konstitution von Geschlecht“ angesprochen, während im Begriff der Perspektive eine „Mehrdimensionalität“ angelegt sei, „in der sich unterschiedliche Sichtweisen auf Geschlecht realisieren.“ Daher gelte es, die Frage zu beantworten, „auf welche Weise die immer vorhandenen Vorannahmen der Forschung Geschlechterverhältnisse mitkonstituieren.“ Einer den Antwortversuchen zugrundeliegenden „Vorannahme“ zufolge können „mit jedem theoretischen und methodischen Blickwinkel andere Dispositionen und Ergebnisse sichtbar gemacht werden“. Anhand des Begriffs der Macht schließlich würden „komplexe soziale Verhältnisse“ angesprochen. Wobei im Verhältnis von Macht und Gewalt zu einander eine „Tendenz in Richtung ihrer Austauschbarkeit“ auszumachen sei. Hannah Ahrendts Ausführungen zum Thema „Macht und Gewalt“ scheinen die HerausgeberInnen allerdings so wenig überzeugend zu finden, dass sie von ihnen nicht einmal erwähnt werden.

Zu den lesenswerteren Texten des Bandes zählen Svenja Kornhers Artikel über „Friseurarbeit“ als „Engenderingpraxis“ und Eva Maria Silies Beitrag über „mediale Debatten der 1960er Jahre um Geschlechterrollen in der Bundesrepublik“ am Beispiel der ‚Pille‘. Ebenso Miriam Sarah Marotzkis Aufsatz über Leonardo da Vincis Zeichnung „Aristoteles und Phyllis“, auch wenn ihre These, es handele sich bei der den Philosophen reitenden Person gar nicht um eine Frau, etwas gewagt anmuten mag. Aber es sind eben solche Wagnisse, die einen Text interessant machen.

Titelbild

Ann-Kristin Düber / Falko Schnicke (Hg.): Perspektive Medium Macht. Zur kulturellen Codierung neuzeitlicher Geschlechterdispositionen.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2009.
260 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-13: 9783826041624

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