Ein erfolgreicher Dilettant

Helmut Zander legt „die Biografie“ Rudolf Steiners vor

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für die einen ist Rudolf Steiner der allwissende „seherische“ Gründer der Anthroposophie und damit bis heute ihr „Meister“. Für sie sind dessen Hinterlassenschaften, vor allem ein über 400 Bände umfassendes schriftliches Werk, von direkter und unmittelbarer Bedeutung: was „Rudolf Steiner sagt“ oder besser schreibt, gilt ihnen als „Wahrheit“. Nachfragen sind unerwünscht. Andere wiederum haben sich emanzipiert von des „Meisters“ Allzuständigkeit. Ihren anthroposophischen Unterbau nicht verleugnend, stellen sich viele Waldorfschulen selbstbewusst dem gesellschaftlichen Diskurs über pädagogische Konzepte und Praxis. Unternehmen wie Weleda, das vor allem Heilmittel und naturkosmetische Produkte entwickelt, produziert und verkauft, oder das Markenzeichen Demeter, unter dem Bioartikel vermarktet werden, sind längst akzeptierte Bestandteile einer sich um nachhaltige Praxis bemühenden Alltagskultur. Die ,Produkte‘ stehen allen zur Verfügung. Niemand muss die anthroposophischen Ursprünge kennen, geschweige denn zur anthroposophischen Gemeinde gehören, um biologisch-dynamisch produzierte Artikel zu kaufen. Es reicht ein Besuch im Bioladen. Hier ist Rudolf Steiner bestenfalls noch von historischer Bedeutung.

Diese Ausgangslage bedingt indes eine bemerkenswerte Leerstelle des Wissens. Die Bedeutung Steiners für die einen als „Meister“ hat eine unkritische, glorifizierende, bestenfalls apologetische Betrachtung Steiners zur Folge, während die anderen von Steiner gar nichts mehr wissen.

Hier nun leistet Helmut Zander mit seinem knapp 500 Seiten umfassenden Buch „Rudolf Steiner. Die Biografie“ Grundlagenarbeit. Denn er versucht, wie er in einem abschließendem „kleinem Rechenschaftsbericht für diejenigen, die in meine Geschichtswerkstatt blicken […] wollen“ erläutert, den Wissenstand über Rudolf Steiner zusammenzutragen „und in eine Deutung zu überführen, die den Anspruch Steiners, Hellseher zu sein, nicht aus der Perspektive ewiger Wahrheiten erklärt, sondern aus der Lebenswelt des 19. Jahrhunderts.“ Der historisch-kritische und kontextualisierende Anspruch bedeutet eine endgültige Entzauberung des „Meisters“ und Hellsehers. Und in dieser Hinsicht legt Zander tatsächlich nicht eine, sondern „die“ Biografie Steiner vor.

Zanders Buch ist dabei ein Konzentrat der umfassenden wissenschaftlichen Beschäftigung des Autors mit der Anthroposophie als einer unter den spezifischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts entstehenden „Weltanschauungen“. Sie mündet nun in dem vergleichsweise populäre Genre der Biografie. Möglicherweise verführte ihn dies zu der ein oder anderen sprachlichen Übermütigkeit. Den Band durchzieht ein ironisch-distanzierter Unterton, pointiert durch zuweilen missglückende Sprachbilder, etwa wenn zu einer Klarstellung „die Tassen im theosophischen Schrank zurechtgerückt“ werden, eine Aussage die „volle Breitseite von Klischees“ darstellt oder eine Behauptung die „Rückseite der Falschmeldung“ ist.

Steiner ist ein Phänomen des 19. Jahrhunderts. Mit einer Fülle von Beispielen zeigt Zander, aus welchen zeitgeistigen Schriften und Vorlagen Steiner Inspiration erfuhr, Ideen und ganze Passagen übernahm, um sie als eigene ,seherische‘ Wahrheiten zu verwerten.

So wie er vorhandene Impulse aufnahm, setzte er neue. Die wichtigste war die ,Erfindung‘ der Anthroposophie. Doch was aus Sicht der Steinergemeinde die Überwindung der theosophischen Vorgänger sowohl inhaltlich als auch organisatorisch darstellt, ruht tatsächlich, so weist Zander nach, auf den theosophischen Grundlagen. Trivialer noch: die Anthroposophie lässt sich als Ergebnis eines komplexen innertheosophischen Machtspiels verstehen. In dessen Verlauf wird die Anthroposophie zu einem strategisch-taktischen Mittel: aus der international ausgerichteten Theosophie, in der der deutsche Zweig einer unter vielen war, machte Steiner eine spezifisch deutsche Sache – mit ihm als alleinigem „Meister“ an der Spitze. Vor diesem Hintergrund ist auch die „Erhebung Goethes zu den Altären der Anthroposophie“, die Steiner seit 1914 betrieb, eine bewusste „Germanisierung der Theosophie“. Folgerichtig hieß dann der in Dornach errichtete repräsentative Kultbau nicht mehr „Johannesbau“, sondern fortan Goetheanum.

Die Konsequenz und Zielstrebigkeit, mit der Steiner ,seine‘ anthroposophische Gemeinde aufbaute, mag bewundernswürdig erscheinen. Womöglich kann sie auch Legenden begründen. Gewiss erstaunlich ist aber, mit welcher Selbstverständlichkeit Steiner sich an Themen und Fragestellungen heranmachte, von denen er „keine Ahnung“ hatte. „Ihm fehlte in jeder Hinsicht das wissenschaftliche Rüstzeug“ resümiert Zander am Beispiel der Steiner’schen ,Forschungen‘ zur Geschichte des Christentums, dem in der Anthroposophie eine neue Bedeutung zukam. Da wurde Steiner schon mal zu einem sehr eigenwilligen ,Übersetzer‘ von in den Evangelien überlieferten Passagen. „Das hat zwar viel mit Steiner theosophischer Geist-Metaphysik zu tun, doch kaum etwas mit der Quelle“, fasst Zander derartige Eigenwilligkeiten zusammen. Doch es ist ein immer wiederkehrendes Muster: mit der Autorität des „Hellsehers“ vermochte er sein ,Wissen‘ zu veredeln und verweigerte jeglichen kritischen Diskurs.

Verfolgt man Steiners Lebensweg, den Zander detailliert dokumentiert, so drängt sich immer wieder eine Frage auf: Wie war es möglich, dass dieser „Schriftsteller Dr. Steiner“, als welcher er, unsicher noch seiner wahren Bestimmung, lange auftrat, so eindringlich ,wirken‘ konnte? Den aus kleinen Verhältnissen am äußersten Rand des deutschsprachigen Habsburgerreiches stammenden Steiner zeichnete nichts Außergewöhnliches aus. Im Gegenteil: Halbwissen und Überschätzung der eigenen Fähigkeiten kennzeichnen seinen Lebenslauf bis ans Ende. Steiner war ein Dilettant. Doch gerade auch in dieser Hinsicht gehörte er ins 19. Jahrhundert, das seine nach Vollendung eines Gesamt(kunst)werks strebende Dilettanten liebte wie kein anderes.

Titelbild

Helmut Zander: Rudolf Steiner. Die Biografie.
Mit 28 Abbildungen auf Tafeln.
Piper Verlag, München 2011.
535 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783492054485

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