Die neue Art der Enzyklopädie

Sandkühlers „Enzyklopädie Philosophie“ als Forschungsinstrument

Von Patrick MenselRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Mensel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mut gehört zweifelsohne dazu, wenn man in der Internet-Ära mehrbändige Nachschlagewerke druckt. Die Angst der Verleger, mit einem Lexika-Angebot in Zeiten der digitalen Welt unterzugehen, ist omnipräsent. Der Aufschrei des Verlages Brockhaus vor zwei Jahren muss Betroffenen und Interessierten noch heute in den Ohren klingen. Mangels Nachfrage war das Aus des gedruckten Traditionsnachschlagewerkes bereits beschlossene Sache, als die aufflammende Diskussion den Verkauf wieder kräftig ankurbelte. Die Printausgabe war gerettet und eine Doppelstrategie auserkoren: Brockhaus setzt weiterhin auf das gedruckte Buch sowie auf sein Online-Portal, welches die Enzyklopädie und andere Lexika enthält. Es war ein Etappensieg für das Printmedium in einem bereits Jahrzehnte dauernden Kampf, der durch die CD-ROM eingeleitet und durch das Internet dramatisch befeuert wurde. Gerade Lexika stehen unter einem Preisdruck, gepaart mit einem Aktualitätszwang. Diese zwei Aspekte machen es dem Branchenriesen Wikipedia, dessen Community es sich zum Ziel gesetzt hat, eine kostenfreie Universalenzyklopädie zu schaffen, immer einfacher an Einfluss zu gewinnen. Das einzige Argument der Verlage bleibt ihre Qualitätssicherung, welche eine professionelle Themenbearbeitung garantiert.

An diesem Punkt setzt der in Hamburg ansässige Felix Meiner Verlag an, der für die Veröffentlichung seiner Philosophischen Bibliothek bekannt geworden ist. Die von Hans Jörg Sandkühler herausgegebene Enzyklopädie Philosophie will vor allem aufgrund ihrer Qualität bestechen: Eine Autorenschaft von 350 Experten und eine Artikelzahl von 650 haben den Rahmen der vor zehn Jahren erschienenen Enzyklopädie um ein Vielfaches gesprengt. Kam diese noch mit zwei Bänden aus, so musste – den neuen Strömungen und Perspektiven der Wissenschaft geschuldet – ein weiterer Band hinzugefügt werden. Die Begriffsliste ist deutlich erweitert worden (zum Beispiel Gehirn und Geist, Gerechter Krieg, Globalisierung, Ökonomie / Wirtschaft, Rechte zukünftiger Generationen oder Sterbehilfe) und trägt neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung, wie die durchaus kontrovers angesehene Neurophilosophie, deren Eintrag die Lektüre lohnt.

Das Layout eines Artikels ist recht übersichtlich gelungen. Anfangs wird eine knappe Begriffsbestimmung in Alltag und Wissenschaft gegeben. Wer hier klauselartige Formulierungen sucht, wird sie bei Sandkühler nicht finden. Das mag diejenigen enttäuschen, die eine Art spezialisiertes Konversationslexikon zu finden glauben. Die Enzyklopädie will aber mehr als das sein. Ihr Schwerpunkt liegt auf einer dynamischen, fortzuentwickelnden Themenbearbeitung. Daher ist das Werk nicht nur als einfaches Arbeitsmittel gedacht, sondern es will als Forschungsinstrument seinen höchsteigenen Beitrag zur Diskussion leisten. Forscher, die auf der Suche nach inspirierenden Denkanstößen sind, werden die Enzyklopädie sehr schnell zu schätzen wissen. Systemübergreifende Kommentare machen das Konzept zu einer wertvollen Rarität.

Der Lexika-Stil wird im Allgemeinen als sehr trocken und zäh angesehen. Für manche ist das ein schon seit langer Zeit hingenommener und nicht zu ändernder Umstand, für andere eine mühselige Sisyphosarbeit, sich im Meer von abstrakten und schwer zugänglichen Ausführungen zurecht zu finden. Die Sandkühler’sche Enzyklopädie macht dahingehend eine erfreuliche Ausnahme. Der Stil ist klar und präzise, verzichtet weitgehend auf gestelzte Formulierungen und wird dennoch einem elaborierten Sprachniveau gerecht. Auch Leser, denen die Materie unbekannt ist, finden sich gut zurecht und stellen nicht bereits nach einem Absatz das Werk frustriert in das Regal zurück. Gemessen an der Zahl der Autoren ist die erreichte sprachliche Kohärenz ein großer Pluspunkt.

Auch das Aussehen ist ein zu begrüßender Anachronismus im ansonsten doch recht eintönigen Fachbuchbereich: Ein hochwertiger Halbledereinband (mit geprägter Decke), flankiert von grünem Leinen, machen aus den drei Bänden eine Sehenswürdigkeit im heimischen Bücherregal und gewährleisten eine Langlebigkeit der Werke.

Titelbild

Hans Jörg Sandkühler (Hg.): Enzyklopädie Philosophie.
Felix Meiner Verlag, Hamburg 2010.
3247 Seiten, 348,00 EUR.
ISBN-13: 9783787319992

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