Mit der South Ferry nach Jerichow

Wieder aufgelegt – Uwe Johnsons „Jahrestage“ auf DVD

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit den Jahrhundertwerken der Moderne ist es so eine Sache: Sie gelten häufig als unverfilmbar, vor allem, wenn sie viele hundert Seiten umfassen oder in ihrem Verhältnis zu Sprache und Wirklichkeit besonders komplex gebaut sind. Bei Uwe Johnsons „Jahrestage“ (1970-1983) mit ihren vier Bänden und 1891 Seiten ist beides der Fall. Wer so etwas verfilmen will, möchte man sagen, ist entweder naiv oder neigt zur Selbstüberschätzung. Und so waren die Erwartungen auch durchwachsen, als Margarete von Trotta vor elf Jahren ihre Version des Romans als vierteiligen Fernsehfilm in die ARD brachte.

Daran gemessen, kann sich das Ergebnis nicht nur sehen lassen, sondern ist ausgesprochen gelungen. Das liegt zum einen an den Schauspielern. Suzanne von Borsody spielt Gesine Cresspahl als starke und entschlossene Frau, die nach einer Kindheit im Nationalsozialismus und schwierigen Jugendjahren in der DDR die Reife und Entschlossenheit erarbeitet hat, mit der sie im New Yorker Bankenalltag der Jahre 1967 und 1968 bestehen kann. Matthias Habich verkörpert ihren Vater Heinrich Cresspahl als mutigen Nazi-Gegner, den erst die spätere Misshandlung in russischer Gefangenschaft resignieren lässt. Und Marie-Helen Dehorn spielt Gesines Tochter, die längst in New York beheimatet ist. Die Rahmenhandlung bleibt dabei gleich: In der New Yorker „Gegenwart“ erzählt Gesine ihrer Tochter die Familiengeschichte bis zur eigenen Übersiedlung in die USA. So wie die Protagonistin im Roman in die Geschichte der fiktiven Mecklenburger Kleinstadt Jerichow eintaucht, so oszilliert auch der Film zwischen diesen beiden Ebenen.

Erfolgsfaktor ist die behutsame Auswahl der Handlungselemente. Natürlich kann der Film nicht die stark reflektierenden Passagen des Romans umsetzen, seine anspruchsvolle Montagetechnik, die Dialoge zwischen Gesine und ihrem Erfinder Johnson, die „Stimme“ der „New York Times“. All das ist in diesem Medium´ nur schwer oder gar nicht umzusetzen. Was aber die Drehbuchautoren aus dem Gerüst herausgeschält haben, ist spannend und in sich stimmig. Keine cineastische Großtat, aber eine gelungene Fernsehverfilmung auf gehobenem Niveau. Dass sich bei 360 Minuten Film dabei keine Längen ergeben, ist an sich schon beachtenswert.

Dennoch gibt es zwei kleinere Kritikpunkte. Zum einen sind die Dialoge natürlich trotzdem auf Deutsch gehalten. Daraus ergibt sich der unfreiwillig komische Effekt, dass Figuren ihre Sätze mit Phrasen wie „Paycheck!“, „Well“ und „I’m So Sorry“ einleiten, um dann in lupenreinem Hochdeutsch weiterzureden. Das wirkt unbeholfen, besonders wenn Hanns Zischler als Gesines Vorgesetzter ihren Namen (für Amerikaner korrekt?) als „Dschi-Sei-Nie“ ausspricht. Zum anderen war die von Johnson erzählte „Gegenwart“ schon im Jahr 2000 so lange her, dass sie ebenso sorgfältig rekonstruiert werden musste wie das Jerichow der 1930er-Jahre. Für einen Fernsehzuschauer der Gegenwart ergibt sich so eine doppelte Geschichtsstunde, in der das vertraute „Heute“ mit Vietnamkrieg, Prager Frühling und Rassenunruhen, mit seinen Morden an Robert Kennedy und Martin Luther King ebenso fremd und vergangen wirkt wie die Machtübernahme der Nazis und der Einmarsch der Roten Armee in Jerichow. Beides aber liegt bereits in der Konstruktion des Romans begründet und ließ sich bei der Verfilmung nicht einfach vermeiden.

Innerhalb des Œuvres der Regisseurin, die die Arbeit von Frank Beyer übernahm, dürften die „Jahrestage“ einen gehobenen Platz einnehmen. Mag der Film weit von der Intensität von Werken wie „Die bleierne Zeit“ (1981) und „Rosa Luxemburg“ (1986) entfernt sein, sehr viel größer noch ist der Abstand zur Einheitsschmonzette „Das Versprechen“ (1995), die holzschnittartig zu nennen eine Beleidigung für die Holzschnittkunst wäre. Zumal in „Jahrestage“ die Teilung mit ihren Tragödien und Problemen sehr viel differenzierter und subtiler gezeichnet ist.

Der Film war 2004 schon einmal auf DVD erschienen. Was jetzt vorliegt, ist eine Neuauflage in der Filmedition Suhrkamp im bewährten, elegant-schlichten Design. Zu den beiden DVDs erscheint ein umfangreiches Booklet, unter anderem mit Informationen über den Autor, Auszügen aus dem Roman und einem Interview mit der Regisseurin.

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Margarethe von Trotta: Jahrestage. Nach dem gleichnamigen Romanzyklus von Uwe Johnson.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
360 min, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783518135235

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