Performance als Sozialkritik und Handlungsmodell

Eine kulturwissenschaftliche (Re-)Lektüre der Dramen Karl Gutzkows

Von Susanne SchützRSS-Newsfeed neuer Artikel von Susanne Schütz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In der literaturhistorischen Forschung findet Karl Ferdinand Gutzkow (1811-1878), dessen Stücke Mitte des 19. Jahrhunderts große Bühnenerfolge feierten, als Dramatiker keine Beachtung mehr. Während seine Bedeutung als Kritiker nicht bestritten wird und seine Romane, vor allem „Wally, die Zweiflerin“ (1835), Teil des Kanons geblieben sind, stehen Gutzkows Dramen ab dem 20. Jahrhundert in dem Ruf ästhetisch unausgereifter, wenig innovativer und stark am Publikumsgeschmack orientierter Produktionen.

Angesichts der fehlenden Forschungsliteratur kann es nicht verwundern, dass Kenneth Scott Baker seine Studie mit der Frage einleitet, aus welchen Gründen die Lektüre von Gutzkows Dramen heute überhaupt noch von Interesse sein kann. Der in Anlehnung an Walter Hömbergs „Zeitgeist und Ideenschmuggel. Die Kommunikationsstrategie des Jungen Deutschland“ (1975) gewählte Titel macht deutlich, dass es hier nicht um die Diskussion ästhetischer Werturteile geht, sondern um die Untersuchung der Strategien, die Gutzkow zur Verbreitung seiner politischen und – wie sich zeigen wird – ästhetischen Überzeugungen einsetzte.

„Ideenschmuggel“ im Drama

Die Monographie basiert auf Bakers Dissertation „Hegelian Aesthetics and the ‘Dramatist’ plays of Karl Gutzkow“ (Washington 2002), die für diese Veröffentlichung überarbeitet und um zwei Drameninterpretationen erweitert wurde. Das erste Kapitel („Displacing the Message: Social Criticism and the Drama“) gibt einen Überblick über Gutzkows theoretische und literarische Arbeiten der 1830er-Jahre und zeigt, wie er Konzepte der Hegel’schen Ästhetik literarisch verarbeitete. Ausgehend von der Überlegung, dass Literatur als Instrument des gesellschaftlichen Wandels begriffen werden muss und angesichts der verschärften Zensur nach dem Bundestagsbeschluss überführte Gutzkow die Argumentation seiner journalistischen Arbeiten in sein schriftstellerisches Werk. Er erprobte diese Ideen in den 1840er-Jahren in seinen Dramen, die von den Zeitgenossen als ernstzunehmende Konkurrenz für die Stücke Friedrich Hebbels angesehen wurden.

Mit „Richard Savage“ (1939), „Das Urbild des Tartüffe“ (1844), „Uriel Acosta“ (1845) und „Der Königsleutenant“ (1849) stützt Baker seine Untersuchung auf vier Erfolgsdramen Gutzkows. Kriterium für die Auswahl der Texte war jedoch weder die historische Zäsur von 1848/49 noch der Bühnenerfolg der Dramen (sonst hätte „Zopf und Schwert“ von 1843 zwingend Erwähnung finden müssen), sondern die performative Praxis des Stücks im Stück. Gutzkow – so die zentrale These – wollte mit seinen Dramen eine aktive, politische Reaktion des Publikums hervorrufen. Er integrierte bewusst Theateraufführungen in seine Stücke und präsentierte ein Rezeptionsmodell, das er sich idealerweise für die Aufnahme seine eigenen Arbeiten wünschte.

Baker weist nach, dass das Konzept des „Ideenschmuggels“, das Gutzkow 1832 in den „Briefen eines Narren an eine Närrin“ und 1835 in einem Brief an Georg Büchner formuliert hatte, ab den 1840er-Jahren in den Dramen zum Tragen kommt. Die Stücke sollten politische Inhalte kommunizieren, ohne offen politische Debatten anzustoßen, wobei das Genre besonders geeignet erschien, die Zensur zu umgehen und zudem durch seine direkte Adressatenansprache das Publikum leichter erreichte als argumentative Texte. In seinem Selbstverständnis als Schriftsteller favorisierte Gutzkow das Drama außerdem als literarische Form mit einem höheren ästhetischen Wert.

Performance und soziale Rollen

In Bakers Studie findet sich keine explizite Bezugnahme auf Isers literarische Anthropologie, jedoch sind Anklänge an dessen Positionen zum „Fingieren als anthropologischer Dimension der Literatur“ unübersehbar. Explizit setzt sich der Autor mit dem Konzept der Performance, der Wahl und Darstellung von sozialen Rollen in Gutzkows Dramen auseinander.

Da die Zensur den direkten Bezug zu zeitgenössischen politischen Ereignissen erschwerte, verlagerte Gutzkow in seinen Dramen Fragen der Meinungsfreiheit und Identitätskonflikte, also Sozialkonflikte, in denen die private und die öffentliche Sphäre verbunden waren, geografisch und zeitlich. Baker weist darauf hin, dass die Dramenhandlungen bevorzugt in Länder und Epochen verlegt wurden, die klare Bezüge zu politischen und sozialen Bedingungen in den deutschen Staaten des 19. Jahrhunderts hatten.

Die folgenden Kapitel der Studie zeigen, wie Gutzkow die Technik der räumlichen und zeitlichen Verlagerung, die ästhetischen Muster des bürgerlichen Trauerspiels und eingefügte Theaterstücke in den Dramen nutzt, um in immer neuen Variationen und Kontexten seine liberalen Überzeugungen zu propagieren. So analysiert Baker in „Richard Savage“ die Darstellung verschiedener Formen von öffentlicher Performance, die Gutzkow in den Figuren des titelgebenden Dichters und seines Journalistenfreundes Steele kontrastierte. Die Figuren diskutieren im Stück die Effektivität der gesellschaftlichen Einflussnahme durch das Drama bzw. durch den Journalismus, wobei der als Dandy dargestellte Savage die von ihm im Stück propagierten Thesen durch seine öffentliche Inszenierung relativiert. In „Das Urbild des Tartüffe“ scheint Gutzkow diese ambivalente Haltung zugunsten der Überzeugungskraft des sozialen Dramas aufgegeben zu haben und gestaltet Molière als wirksamen Manipulator der öffentlichen Meinung. Baker wertet die Bevorzugung der satirischen Komödie vor dem Trauerspiel als Zeichen für Gutzkows gestärktes Vertrauen in die Wirksamkeit des Dramas.

Im Zentrum der Untersuchung von „Uriel Acosta“ steht die theatralische Darstellung von Unterdrückung, wobei die selbstreflexiven Angebote für das Publikum nicht so offensichtlich gemacht wurden wie in den vorigen Stücken, da sich Gutzkow bemühte, keine Identifikation mit einem negativen Rollenmodell zu initiieren. Dennoch zeugen die Reflexionen über bildende Kunst, Bücher und Theater auch in diesem Stück von seinem Glauben an die Wirkung der öffentlichen Performance. Das Drama „Der Königsleutenant“ versteht Baker als Übergangswerk, in dem sich Gutzkows Rückkehr zum Roman bereits andeutet, da sich seine Hoffnungen auf die gesellschaftliche Wirkung seiner Stücke nicht erfüllt hatten. Es war das letzte Stück, in dem er den Versuch unternahm, den Zuschauern die Wirkungen von Literatur auf ein inszeniertes Publikum vorzuführen.

Für eine kulturwissenschaftliche (Re-)Lektüre von Gutzkows Dramen

Scott Bakers interdisziplinärer Zugang, der politische, philosophische und ästhetische Theorie mit Positionen der Sozial- und Intellektuellengeschichte zu verbinden sucht, leistet einen wichtigen Beitrag zur Neubetrachtung von Gutzkows Dramen, wobei sich der Rückgriff auf das kulturwissenschaftliche Konzept der Performance als besonders produktiv erweist. Die Frage nach den Kommunikationsstrategien des Autors vernachlässigt bewusst die ästhetische Bewertung der Stücke und konzentriert sich auf deren strukturelle Innovation, der Baker ebenso viel Aufmerksamkeit wie Gutzkows sprachlichen und „Tendenz“-Experimenten verschaffen möchte. Die Studie zeigt, dass das Stück im Stück nicht als schmückendes Beiwerk oder literarische Spielerei zu vernachlässigen ist, sondern vom Dramatiker als kommunikative Strategie eingesetzt wurde, um seine Sozialkritik durch das vorgeführte Rezeptionsmodell direkter an das Publikum zu bringen.

Ein produktiver Zugang für die weiterführende Erforschung von Gutzkows Dramen liegt zweifellos in der Berücksichtigung kulturwissenschaftlicher Erkenntnisse nach dem perfomative turn. Die weitere Untersuchung von Wahrnehmungssteuerung und Visualisierungsstrategien, von sozialen Rollen und Identitätsspielräumen, von Gender-Konstruktionen und der Transgression von sozialen Normen und Rollenvorgaben erscheint dabei als lohnenswerte Forschungsperspektive.

Titelbild

K. Scott Baker: Drama and "Ideenschmuggel". Inserted performance as communicative strategy in Karl Gutzkow's plays 1839 - 1849.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
187 Seiten, 34,50 EUR.
ISBN-13: 9783039110957

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