Eine Rose ist eine Rose, aber nur dem Namen nach

Michael Nerlich schreibt eine biografische Hommage an Umberto Eco

Von Anett KollmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anett Kollmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Ziel dieser Biografie wird gleich am Anfang deutlich: sie ist eine leidenschaftliche Verteidigung Umberto Ecos gegen die Angriffe des deutschen Feuilletons, das vor allem die Romane des Italieners in seltener Einmütigkeit und unerhörter Gehässigkeit seit Beginn ihres Erscheinens in Grund und Boden kritisiert hatte. Das sei eine „regelrechte nationale Tragödie“, so der Biograf.

Große Worte und schwere Vorwürfe. Aber die Beispiele, die Michael Nerlich quer durch die deutsche Presse zusammenstellt, geben ihm Recht. Sie denunzieren die Elite der deutschen Kritik bis auf wenige Ausnahmen als weder besonders geist- noch kenntnisreich in Sachen Eco. Freilich steckt darin eine gehörige Portion Polemik, und die Lobrede des Verteidigers gerät zuweilen so heftig wie die Verrisse der Angreifer. Aber Literatur braucht Leidenschaft. Und Nerlich belässt es nicht bei der Kritikerschelte, sondern sucht nach den Ursachen für die Ablehnung, die sich weder im Verkaufserfolg noch unter den wissenschaftlichen Lesern oder in den ausländischen Feuilletons spiegelt.

Nach seiner Auffassung liegt der Hauptgrund in der Abneigung der hiesigen Rezensenten gegen avantgardistische literarische Experimente und in der aus der Nachkriegszeit herrührenden Fixierung auf die Postulate des deutschen Idealismus in der Nachfolge von Immanuel Kant, Friedrich Schleiermacher und Wilhelm Dilthey. Dahinter stehe eine Auffassung von literarischen Kunstwerken als Produkte eines „prä- oder überrationalen Vorgangs“ im Bereich des „Genialisch-Unzugänglichen“ und „Einzigartig-Originalen“, als „Urschöpfungen, aus dem Bauch heraus geschrieben“. Dass Nerlich mit seiner Diagnose nicht falsch liegt, hat die Debatte um den „Fall Hegemann“ gezeigt.

Das neoidealistische Konzept von Literaturrezeption macht das literarische Kunstwerk eigens für den kongenialen Leser erfahrbar, nach Dilthey über „subjektive“ „Versenkung in den Text“, per „Intuition“, „Empfinden“ (oder „Nachempfinden“) durch „Lebenserfahrung“ und „Seelentiefe“. Eine Alternative bietet nach Nerlich/Eco eine rationalistische Lektüre, die auf den literaturgeschichtlichen, philosophischen und handwerklichen Kenntnissen des Lesers basiert. Wie diese gleichermaßen kongeniale – weil intellektuell ebenbürtige – Lektüre funktioniert, führt Nerlich exemplarisch an den Interpretationen der fünf Romane Umberto Ecos vor. Durchweg überzeugend, detailliert und kenntnisreich entschlüsselt er die in den Texten hinterlegten Verweise und Bezüge, welche die Bücher zu einem vielschichtigen, philosophisch-literarischen Leseerlebnis machen.

Der Biograf zeigt, dass die Lektüre gerade dann spannend wird, wenn sie die komfortablen Gefilde der gehobenen Allgemeinbildung verlässt. Die von der Kritik als „ambitiöser Gelehrtenscherz“ gescholtenen Historienromane „ohne Lebenserfahrungen“ zeigen sich so voller Lebenserfahrung. Allerdings ist diese Weltkenntnis eben nicht aktuell und im Autor beziehungsweise Leser verborgen, sondern gründet sich auf Befunde aus authentischen historischen Quellen der literarisch geschilderten Vergangenheit. Ausgehend von der Erkenntnis, dass historische und ihnen folgende fiktive Protagonisten aufgrund ihrer Weltsicht und Welterfahrung anders dachten, lebten, empfanden und begriffen als der gegenwärtige Autor beziehungsweise Leser es vor dem Hintergrund seiner seinerseits beschränkten Welterfahrung tut, begründet der Mediävist und Semiotiker Eco in „Der Name der Rose“ eine vollkommen neue Art des historischen Romans. Sie unterscheidet sich in ihrem intellektuellen Ansatz prinzipiell von der historisierenden Dutzendware des literarischen Marktes, die mit der Illusion operiert, frühere Lebens- und Gedankenwelten ließen sich durch nachempfindendes Hineinversetzen authentisch erleben, erfahren und darstellen.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis ist es konsequent, dass sich die vorliegende Lebensbeschreibung den auch im biografischen Genre dominierenden einfühlend-intuitiven Produktions- und Lektüreprämissen verweigert. Der Biograf hat Eco nie persönlich getroffen – aus Respekt und Bescheidenheit, wie er schreibt. Das ist ungewöhnlich, wenn der Porträtierte noch lebt, bietet aber die Chance zu jener historiografischer Distanz zu Person und Werk, wie sie Eco für die Erforschung der Geschichte fordert. So wie Eco seine Geschichte(n) aus Schriften und Begriffen rekonstruiert, verfährt Nerlich mit der Lebensgeschichte des Zeitgenossen, die sich in literaturhistorischen Manier weitestgehend auf bereits publizierte Texte stützt. Er schlägt geschickt eine Schneise durch den publizistischen Dschungel aus Ironie, Parodie, Wissenschaft und Fiktion, den Eco durch seine ungeheure Produktivität geschaffen hat. Nerlich zeichnet die geistige Entwicklung zum Wissenschaftler, Romancier und politischen Publizisten nach und gibt dabei tiefe Einblicke in die politische Entwicklung Italiens, die immer in enger Verbindung zum literarisch-wissenschaftlichen Schaffen und zum gesellschaftlichen Engagement Umberto Ecos steht. Zitatenreich skizziert er das Denken des innovativen Mediävisten, Mitbegründers der Semiotik und kritischen Kulturtheoretikers und folgt der Vernetzung seiner Ideen mit anderen Theorien und Ansätzen. Form, Inhalt und Gegenstand der Biografie treten so in ein adäquates Verhältnis.

Vom selben Autor ist zur gleichen Zeit eine biografische Monografie zu Umberto Eco in der rororo-Reihe erschienen. Trotz der dort gebotenen Kürze gibt auch sie einen umfassenden Einblick in das Lebenswerk und entspricht inhaltlich der Edition aus dem Francke Verlag. Um die spannende Komplexität der Ideen und Texte Umberto Ecos zu erfahren, empfiehlt sich jedoch die längere Darstellung. Michael Nerlich gelingt es, einen der vielseitigsten Intellektuellen unserer Zeit in einer mit Genuss und Erkenntnisgewinn lesbaren Biografie zu erfassen. Dass ein kritischer Blick auf die referierten Ideen Umberto Ecos dabei manchmal auf der Strecke bleibt, mag dem Genre geschuldet sein. Denn obwohl der Autor den akademischen Literaten aus seinen Schriften heraus porträtiert, sind nicht die Theorien der Gegenstand, sondern der „neokantianisch-marxistisch-pragmatisch-peirceanische Aristoteliker“ selbst.

Titelbild

Michael Nerlich: Umberto Eco. Biographie.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009.
160 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783499505621

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Titelbild

Michael Nerlich: Umberto Eco. Die Biographie.
Francke Verlag, Tübingen 2010.
350 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783772083532

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