Das Wort vom Sonntag

„Tag der geschlossenen Tür“ heißt Rocko Schamonis zweiter Roman mit Michael Sonntag, der das Hohelied der Nutzlosigkeit singt

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In Rocko Schamonis Roman „Sternstunden der Bedeutungslosigkeit“ ist der Protagonist Michael Sonntag dem Leser das erste Mal begegnet. Heute, vier Jahre später, scheint Michael Sonntag auf den ersten Blick kaum dazugelernt zu haben. Eher hat er seinen Lebensstil des gepflegten Nichtstuns perfektioniert. So stehen auch nicht Arbeit, Beziehung und emotionale Befindlichkeiten im Zentrum des Romans, sondern eigentlich relativ langweilige Tage in einem durch und durch öden und für das soziale Gemeinwesen nutzlosen Leben. In diesem Rahmen lässt Schamoni seinen Protagonisten agieren, der durch die Abwesenheit aller gesellschaftlichen Nützlichkeiten auf sich selbst zurückgeworfen wird und letztendlich als ein durch und durch selbstsüchtiges Wesen erscheinen könnte, das in seiner Egomanie seine Einsamkeit und letztendlich auch seine trostlose Existenz entbirgt.

Schamoni wird die Existenz von Michael Sonntag zu einem Paradigma, das eine egoistische Seite der Existenz in einer auf soziale Beziehungen angewiesenen Gesellschaft exemplifiziert. Die Weigerung des Protagonisten, sich dem Nützlichkeitswahn der Gesellschaft zu entziehen, wird axiomatisch für sein Leben: „Ich liebe das Unnütze, denn schließlich bin ich ein Teil davon. Ich schaffe es einfach nicht, nützlich zu sein, ich habe eine Nützlichkeitsallergie, immer wenn ich etwas tue, an dem ich den Verdacht einer Nützlichkeit wittere, verwelkt in mir der Handlungsimpuls. Ich kann nur die Dinge zu Ende bringen, die keinem direkten Nutzen dienen. Also kann ich auch nicht der Gemeinschaft dienen, sie hat keinen Nutzen an mir.“ Existenzieller Bestandteil der Figur ist auch Humor als Überlebenskonzept: „Erben ist wie sterben, bloß ohne st.“

Kritik ist Schamoni auch immer Kritik an der Rolle des Protagonisten, etwa als Kolumnist einer lokalen Zeitschrift, eines Stadtmagazins: „Dieses Aufdecken von kleinsten Jämmerlichkeiten. Kolumnisten und Kritiker sind die armseligsten Buchstabenfolterknechte, die ich kenne. Sie belästigen die Menschen mit purer Meinung. Sie meinen, ihre Meinung wäre erheblich.“

Dabei bleibt der Autor nicht bei dieser Kritik der schreibenden Zunft, sondern ironisiert diese noch durch absurde Romanentwürfe, die er seinen Helden des Unnützen an Verlage schicken lässt – mit der Absicht, auf jeden Fall eine Absage zu erhalten: „‚Immer Ärger mit Herr Berger‘ ist der lustige Familienroman für die ganze Familie.“ Wobei Herr Berger ein langweiliger Hund ist, der in einer langweiligen Familie nahezu nichts erlebt – man hat den Eindruck, bei der Lektüre des fiktiven Romanentwurfs der Handlung einer drittklassigen Telenova beizuwohnen – die scheinbar ebenso unnütz ist wie die anderen Romanentwürfe von Sonntag. Sieht man allerdings von der Metaebene auf die Aktivitäten der Hauptfigur, scheint deren Handeln immer absurder und zeigt letztendlich Schamonis subtilen Humor, der seine Figuren zwischen Scheitern, Verständnislosigkeit der Umwelt und Hoffnung auf Rettung durch ironisch-zynische Weltbetrachtung – der einzig erträglichen Reaktion auf das Absurdistan der Gegenwart – oszillieren lässt. Die Hoffnung auf Verständnis wird dann auch konsequent negiert: „Gibt es unter denen, die ich hier kenne, eigentlich jemanden, der nicht gescheitert ist?“

Die Vorwegnahme des Scheiterns und die Kultivierung des eigenen Versagens als einziger Ort der Selbstversicherung, der einem „Helden des Unnützen“ als einzig Eigenes verbleibt, ermöglicht die Freisetzung eines kreativen Potentials, das sich nicht mehr an einer Nützlichkeitsdoktrin orientieren muss und damit befreit von Zwängen und Kontrolle Kreativität ermöglicht. Michael Sonntag offenbart ein erfrischendes Spektrum an Entfaltungsmöglichkeiten dieser freigesetzten künstlerischen Potentiale: „Ich mag den Klang von Schritten auf Kies. Das weiche Eintauchen, das Klickern und Rauschen, das Knirschen und Schaben, das beständig Gleiche im Ungleichen. Dieses Geräusch beruhigt mich ungemein. Da ich meine Wohnung nicht mir Kies anfüllen kann, habe ich unter meine Hausschuhe Stoffbeutel genäht, die mit Kies gefüllt sind. Ich gehe durch die Wohnung und höre mir beim Schreiten über den Kies zu. Ein Spaziergang durch einen unendlichen Park.“

Vielleicht ließt sich „der neue Sonntag“ nicht so leicht herunter wie sein Vorgänger, aber dafür ist er eine konsequente Weiterentwicklung von Sonntags Lebenskonzept, das letztendlich jedem unter der Hektik der Gegenwart leidenden Mitbürger auf den Rezeptblock geschrieben werden kann: „Wenn es eine Bremse an der Welt gäbe, ich würde sie sofort ziehen.“ Und die Abenteuer, die sich andeuten, lassen auch die Hoffnung auf ein Weiterleben des letztendlich sympathischen Nichtsnutzes aufscheinen: „Es gibt noch so viele Dinge, über die es sich lohnt rauszufinden, dass man sie nicht sein oder tun möchte.“ Finden Sie es heraus – zusammen mit Rocko Schamoni.

Titelbild

Rocko Schamoni: Tag der geschlossenen Tür. Roman.
Piper Verlag, München 2010.
256 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783492054218

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