„Wo mich der Haß in der Welt nicht fort treibt, treibt mich die Liebe fort“

Die vorzüglich edierte Briefausgabe Georg Herweghs aus der Zeit zwischen 1849 und 1875

Von Joachim SengRSS-Newsfeed neuer Artikel von Joachim Seng

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man könnte es als Ironie des Schicksals bezeichnen, dass der zweite und letzte Briefband der historisch-kritischen Gesamtausgabe der Werke und Briefe Georg Herweghs mit den Worten beginnt: „Angekommen, wie sich von selbst versteht, ohne alle Romantik“. Denn ankommen sollte Deutschlands erster politischer Dichter nach der gescheiterten Revolution und der Niederlage der „Herwegh-Legion“ im badischen Dossenbach in der Heimat nicht mehr. Den Brief schrieb er im Juli 1849 aus Genf an seine Frau Emma in Paris. Das Exil bestimmte zu diesem Zeitpunkt bereits sein Leben, und Herwegh blieb fortan bis zu seinem Tod 1875 ein Exilierter, ein Expatriierter.

„Ich bin müde u. gebrochen, nicht gleichgültig“, beschreibt Herwegh wenig später seinen Zustand. Er, der im deutschen Vormärz mit seinen „Gedichten eines Lebendigen“ (1841) angetreten war, der nationalen Einheit und „der Freiheit eine Gasse“ zu bahnen und damit zum erfolgreichsten deutschen Lyriker seiner Zeit avancierte, musste sich nun im Exil einrichten. Dennoch blieb er – und das bezeugt auch die vorbildliche Briefedition – ein feinsinniger, allzeit kritischer Beobachter der politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Europa. Anders als mancher seiner einstigen revolutionären Mitstreiter, opferte er seine radikal-demokratische Gesinnung, seine Überzeugungen, nicht der Realpolitik, blieb ein unversöhnlicher Kritiker und lehnte Kompromisse ab.

An Otto Volger, der 1859 in Frankfurt am Main das Freie Deutsche Hochstift gründete und 1862 Goethes Elternhaus für seine Stiftung erwarb, schreibt er als Antwort auf die Einladung, in Frankfurt am Main am 30. März die Festrede zur Feier des 25. Jahrestages der Eröffnung des Vorparlamentes zu halten: „ohne die Arbeiter gäb‘ es keine Märztage. Um die Früchte dieser Tage sind wir vorzugsweise durch das Parlament betrogen worden, das die wackelnden Throne wieder festgeschwatzt hat. Ich könnte nicht ohne Erbitterung von demselben reden, u. habe so wenig Herz für die Parlamenter von 1848 wie für die Reichstägler von heute oder für die nicht kaisermachenden republikanischen bourgeois.“

Die Briefe an Volger werden hier erstmals ediert. Der Kommentar liefert auch Auszüge aus dem Antwortbrief und hilft so, den Zeithintergrund anschaulich nachzuvollziehen, denn Volger antwortet, anspielend auf die Differenzen zwischen Liberal- und Sozialdemokraten: „Ich war schon im Jahre 1848 Vorsitzender des Socialdemokratischen Klubs in Göttingen – freilich längst nicht roth genug für Herrn Miquel und andere Leute, die sich jetzt als nationalliberale Gründer die Taschen füllen – aber ich war doch damals und bin noch heute der Ansicht, daß eine bloße Änderung der Regierungsform weit weniger wichtig und nothwendig sei, als eine Umgestaltung unserer socialen Umstände“.

Knapp zehn Jahre früher, zwischen Frühjahr und Herbst 1863, dokumentieren die Briefe an Ferdinand Lassalle Herweghs Engagement für den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, aus dem schließlich das „Bundeslied“ hervorgeht, mit den einprägsamen und wirkungsmächtigen Versen: „Mann der Arbeit, aufgewacht! / Und erkenne deine Macht! / Alle Räder stehen still, / Wenn dein starker Arm es will.“

Doch es ist nicht allein der politisch engagierte Mensch, der uns aus den Briefen entgegentritt. Herwegh ist ein Mann mit vielen Facetten. Er ist der schöngeistige Dichter, der Shakespeare-Übersetzer, der an Geologie Interessierte, aber auch der besorgte, liebende Vater, dessen „Seelenruhe“ davon abhängt, täglich Nachricht von seiner Tochter Ada aus Brasilien zu erhalten. Als er 1866 verarmt, auf der Flucht vor den Gläubigern aus der Schweiz nach Baden-Baden zurückkehrt, wird es zunehmend einsamer um Deutschlands „eiserne Lerche“, wie Heinrich Heine ihn 1841 taufte. Die Briefe werden sein Fenster in eine sich zunehmend verändernde Welt, die für den kompromisslosen Revolutionär von 1848 viele Enttäuschungen bereit hält. 1871 heißt es in einem Brief an den Freund Richard Wagner: „Was mich betrifft, so möcht‘ ich am liebsten außerhalb der Zeit leben […]. Mein Haus ist nun ziemlich verwaist; mein ältester Sohn baut Eisenbahnen für die Ungarn; meine Tochter lebt als Frau v. Souza unter den Schwarzen in Brasilien; Frau Cosimas Pathe lernt bei den Schwaben Griechisch u. Latein u. geigt nicht ohne Talent bei Singer am Stuttgarter Conservatorium. – Mich kann die Welt u. ich kann sie nicht brauchen“.

Der Dichter, der der Welt abhanden kommt, der Exilierte, spricht auch aus den Versen, die er im September 1873 einem bewundernden Gymnasiasten nach Kassel schickt. In einem frühen Aufsatz zur engagierten Literatur hatte Herwegh die jungen Dichter ermahnt, „den Sinn des Volkes“ durch „tadellose Gestalt“ und die „Macht der Schönheit“ zu erobern: „Der Dichter darf sich den Fragen der Zeit nicht entziehen; wir dürfen aber deswegen nicht jeden tadeln, der seine poetischen Gestalten nicht mit den bunten Laken der Gegenwart behängt, sofern er nur die ewige eine Wahrheit im Auge behält und sie in genialen Formen wiederzugeben versteht.“ Diese Wahrheit findet der Leser in den seltsam berührenden Versen eines Dichters politisch auch hier:

Ich möchte hingehn wie das – Abendroth.
Und wie der Tag mit seinen letzten Gluten –
O leichter, sanfter, ungefühlter Tod! –
Mich in den Schoos des Ewigen verbluten.

Du wirst nicht hingehn wie das Abendroth,
Du wirst nicht stille wie der Stern versinken,
Du stirbst nicht einer Blume leichten Tod,
Kein Morgenstrahl wird Deine Seele trinken.

Wohl wirst Du hingehn, hingehn ohne Spur,
Doch wird das Elend Deine Kraft erst schwächen,
Sanft stirbt es einzig sich in der Natur,
Das arme Menschenherz muß stückweis brechen.

Dass Herweghs Lebensweg nicht ohne Spur bleibt, ist ein Verdienst der sechsbändigen kritischen Gesamtausgabe, besonders der beiden Briefbände. Der zweite Band der Briefausgabe liefert 366 Schreiben, von denen bisher nur ein Drittel in früheren Ausgaben und Einzeldrucken publiziert worden waren. Dazu zählen etwa die Briefe an Ferdinand Lassalle, Johann Philipp Becker, an Ludwig Feuerbach und Richard Wagner. Die wichtigste Adressatin bleibt seine Frau, Emma Herwegh. Zu den neuen Beziehungen, die in der Exilzeit wichtig werden, zählen etwa Alexander Herzen, Gottfried Semper und der Dichter Franz Dingelstedt.

Dass die Bearbeiter, allen voran Ingrid und Heinz Pepperle, die ihr ganzes Forscherleben Herwegh gewidmet haben, im Kommentar auch Auszüge aus den Gegenbriefen abdruckten, muss hier noch einmal lobend hervorgehoben werden, ermöglicht es doch dem Leser ein besseres Verständnis. Ebenso hilfreich für den Leser ist, dass die fremdsprachigen Briefe in der Originalfassung gegeben und von einer deutschen Übersetzung begleitet werden. Ein Verdienst der Edition ist es zudem, dass die meisten, nämlich 335 Briefe, nach der handschriftlichen Originalfassung ediert werden – die Briefausgabe damit selbst bei bereits veröffentlichten Briefen die dort korrumpierte Fassung korrigiert.

Der Kommentar ist inhaltsreich und ausgewogen. Der Leser erfährt alles, was er wissen muss und selbst komplizierte historische und biographische Vorgänge werden für den Leser nachvollziehbar dargestellt. Diese Kunst der Erläuterung kann man den Herausgebern nicht hoch genug anrechnen, ebenso wie das vorzügliche Personenverzeichnis, das die Ausgabe beschließt. Insgesamt liefert die Edition die Grundlagen dafür, sich neu und differenzierter mit dem Werk Georg Herweghs zu beschäftigen.

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Georg Herwegh: Briefe 1849-1875. Werke und Briefe Kritische und Kommentierte Gesamtausgabe Band 6.
Bearbeitet von Ingrid und Heinz Pepperle.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2010.
782 Seiten, 148,00 EUR.
ISBN-13: 9783895287008

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