Amerika ist überall – Friedhelm Rathjen über Literatur, Leben und Landschaft der Vereinigten Staaten

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Amerika ist immer eine neue Welt, auch eine andere Welt, so ganz anders als das, was bekannt ist. Als das große Andere spielt Amerika vielleicht seine brillanteste, zumindest aber seine größte Rolle. Amerika ist immer das, was wir nicht haben, was uns fremd ist, was wir verfehlen oder von dem wir zurückkehren, befremdet und verändert. So entdecken wir eher uns selbst und unsere Befremdung als die Realität jenseits des Ozeans. Eine Rückkehr zum Urzustand der Menschheit oder des Menschseins glaubte manch früher Kommentator im amerikanischen Paradies ausmachen zu können; durchweg urteilten diese frühen Kommentatoren auf der Basis von Gerüchten oder bloßem Hörensagen. Michel de Montaigne wollte die Bewohner der neuen Welt als Paradiesbewohner alten Stils begreifen, als edle Wilde, dies sinnigerweise in einem Essay, den er „Von den Kannibalen“ überschrieb; schon William Shakespeare destillierte daraus große Kunst, in seinem „Tempest“ stellte er dabei allerdings diverse Dinge auf den Kopf, nicht zuletzt die „Kannibalen“, aus denen bei ihm „Calibans“ wurden. Überhaupt hatte sich schon Columbus geirrt, als er glaubte, den Begriff „Kannibalen“ (oder das lautlich Ähnliche, was er da hörte) als Bezeichnung von Menschenfressern deuten zu dürfen.

Die Beiträge dieses Buches versuchen also, Amerika vordringlich als das Andere zu entdecken, was im Einzelfall ein reales Amerika sein kann, in der Regel aber doch ein vorgestelltes, missverstandenes, literarisiertes ist. Kannibalistische Textfresser vor allem sind es, an die sie sich wenden. Die Perspektive ist zu allermeist eine transatlantische: zuweilen wird von Europa aus gen Amerika geblickt (oder geschrieben; oder gereist); zuweilen kehrt der Blick (oder die Schreibe; oder die Reise) von Amerika zurück. Amerika ist überall; Amerika ist nirgends.

Und Amerika ist: erstens Literatur (Hilda Doolittle, John Dos Passos, William Faulkner, Raymond Federman, John Hawkes, Nathaniel Hawthorne, Stephen Leacock, Colum McCann, Herman Melville, Philip Roth, William Shakespeare, Gilbert Sorrentino, Gertrude Stein, Colm Tóibín), zweitens Leben (Wikinger & Weltumradler, Lewis & Clark, Arktisfreunde & New-York-Verächter), drittens Landschaft (Bingen, Husum, Elbe, Altoona; Mount St. Helens; Olympic National Park; trügerische Nordwestküste).

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Titelbild

Friedhelm Rathjen: Ach, Amerika! Literatur, Leben, Landschaft.
Edition ReJOYCE, Scheeßel 2011.
194 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783000337390

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