Orte der Niederlagen

David Gilmour beschreibt Szenen aus seinem bewegten Leben

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unglaublich: ein Fluss mitten durch Toulouse! Den hat er in all den Monaten nie gesehen. In den Monaten, in denen er bei American Express „jeden Tag nachgefragt hatte, ob ein Brief von Raissa Shestatsky gekommen war. Manchmal lautete die Antwort ja, meistens nein.“ Meistens also litt er: „Wenn keiner gekommen war, hockte ich nur da und quälte mich mit der Frage, ob ich je wieder mit ihr schlafen würde.“ Und ging die Strecke von seiner Wohnung zum Café Père Léon und zurück – um fünf Uhr morgens. „Nichts hat mich interessiert damals, für mich gab es nur ein Thema: Raissas Abwesenheit. Dass sie nicht mit mir im Bett lag, dass ich ihre seidige Haut nicht spüren konnte.“

Vierzig Jahre später kommt er noch einmal nach Toulouse, geht die Strecke wieder ab und biegt um eine Ecke, und da sieht er ihn: den Fluss. „Wie konnte mir das entgangen sein? Dieses grandiose grüne Juwel, breiter als der Mississippi, wie mir schien?“ Ja, er hat eben außer seinem Leid nichts wahrgenommen. Und nimmt sich jetzt vor, „zu anderen Orten zurückzukehren, an denen ich gelitten hatte.“ Eine Reise zu sich, zur eigenen Geschichte.

Intensiv betrachtet der Ich-Erzähler in David Gilmours neuem Buch, den wir schon aus „Unser allerbestes Jahr“ kennen, seine „Niederlagen“. Lässt Frauen und Ex-Frauen an sich vorüberziehen, denkt an die Internate, aus denen er geflüchtet ist, an einen Park in Los Angeles, ein Landhaus mit einem schiefen Dach. Es gibt viele Orte, an die er zurückkehren kann. Zum Beispiel zu diesem Riesenrad: Als er losfuhr, war er noch mit Clarissa zusammen, als er unten ankam, hatte sie sich mit ihrem Ex-Freund Bill wieder versöhnt. Oder das Gebäude, in dem seine Frau Anne jedes Jahr ein großes Filmfestival organisierte. Und er gehörte nie richtig dazu. Oder das Haus auf dem Land, in dem er seinen besten Freund Justin besuchte, der Drogen nahm, dann richtig durchdrehte und mit einer Maschinenpistole herumfuchtelte. Ein Jahr später sah er ihn wieder, bei einem Mordprozess: „Duane Hickok hat den ultimativen Preis dafür bezahlt, dass er meine Gitarre kaputtgemacht hat“, sagte er.

Es ist ein Buch, vollgepackt mit Szenen aus einem bewegten Leben. Sehr sympathisch ist der Erzähler nicht mit seinem larmoyanten Versager-Tonfall, der einem auf die Nerven gehen kann: ein schöner stilistischer Trick. Natürlich kann man sich trotzdem gut mit ihm identifizieren, denn wer wurde nicht schon verlassen, erlebte blöde Sachen, machte sich zum Narren und bekam manchmal Hilfe von unerwarteter Seite? Leider gleitet Gilmour aber auch oft in grotesken Kitsch ab („Der See glitzerte wie zersplittertes Glas.“) und hat irgendwann die grandiose Erkenntnis: „Es ist ganz einfach: Wenn du dich irgendwo unwohl fühlst, geh nicht immer wieder hin.“ Abgesehen von solchen Plattitüden und den manchmal zu dick aufgetragenen Adjektiven ist das Buch lebendig, gefühlvoll und sehr menschlich. Wer keine hohe Literatur erwartet, sondern nachdenkenswerte Unterhaltung, ist hier gut bedient.

Titelbild

David Gilmour: Die perfekte Ordnung der Dinge. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Adelheid Zöfel.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2011.
256 Seiten, 18,95 EUR.
ISBN-13: 9783100278234

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