Vom Ende eines Nachkriegsmythos

Oula Silvennoinen beweist die Existenz eines NS-Einsatzkommandos in Finnland – und nun?

Von Christian RinkRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Rink

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eindeutige und sensationelle Ergebnisse: Nicht gerade wenig wird uns im Vorwort der deutschen Ausgabe von Oula Silvennoinens Studie zur Zusammenarbeit der staatlichen finnischen Sicherheitspolizei mit den nationalsozialistischen Polizei- und Sicherheitsbehörden von 1933-1944 versprochen. Selten genug: Die Untersuchung hält die Versprechen aus dem Vorwort. Die Ergebnisse sind tatsächlich ebenso eindeutig wie neu.

Durch einen Zufallsfund im finnischen Nationalarchiv stieß der finnische Historiker Silvennoinen 2006 auf die Existenz eines bis vor kurzem nahezu unbekannten Einsatzkommandos in Finnland. 2008 veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Recherchen in seiner Dissertationsschrift und widerlegte somit den finnischen Nachkriegsmythos eines ehrenhaften, fleckenlosen Unabhängigkeitskriegs. Denn bisher ging man von der Vorstellung aus, dass der Krieg im Norden „so sauber war, wie eine Kriegsführung überhaupt nur sein kann“ (Mauno Jokipii). Der sogenannte Fortsetzungskrieg 1941-1944 gegen den übermächtigen Feind Sowjetunion sei ohnehin ein erzwungener Separatkrieg und Unabhängigkeitskampf gewesen, der mit dem Vernichtungsfeldzug der Deutschen im Osten nichts zu tun gehabt habe. Silvennoinen entwirft jedoch ein ganz anderes Bild der finnischen Front: Aus den Kriegsgefangenen wurden ebenso wie an der Ostfront die kommunistischen und jüdischen Häftlinge selektiert und erschossen beziehungsweise der Gestapo übergeben und in Konzentrationslager gebracht. Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt.

Die eigentliche Sprengkraft der Studie besteht darin, dass Silvennoinen genau nachweist, in welch umfassendem Maße die finnische Geheimpolizei (Valpo) und die Kontrollbehörde des Hauptquartiers der finnischen Armee mit der deutschen Gestapo und dem SD zusammen arbeitete: Zwölf Mitglieder der Valpo waren dem Einsatzkommando direkt unterstellt. Finnische Kräfte waren aktiv an den Selektionen und Erschießungen beteiligt, verantwortlich für den Transport und die Verhöre der Gefangenen und machten zusammen mit den deutschen Einheiten Jagd auf Partisanen.

Letzteres sogar in Norwegen. Darüber hinaus unterhielten führende finnische Vertreter persönliche und arbeitsrelevante Beziehungen zum Reichssicherheitshauptamt in Gestalt des Leiters der Gestapo Heinrich Müller. Beide Seiten müssen sich in den entscheidenden Punkten gut verstanden haben, betrachtet man die Auswüchse des Antisemitismus und Russenhasses im finnischen Amt, die Silvennoinen genau und überzeugend heraus gearbeitet hat. Schon der Titel der Studie weist auf das verschwörerische und geheimnisvolle der Beziehungen hin. Zwar war Finnland zu jeder Zeit des Kriegs eine parlamentarische Demokratie, die Aktivitäten der Geheimpolizei illegal und nur einem kleinen Kreis von Mitwissern und Entscheidungsträgern bekannt. Wie klein oder groß dieser Kreis war, dazu kann Silvennoinen jedoch keine verlässlichen Angaben machen. Darin zeigt sich eine Stärke der vorbildlichen Studie: Es werden nur Thesen aufgestellt, die der Verfasser auch belegen kann. Zwischen den Zeilen lässt er aber anklingen, dass der Kreis der Mitwisser sich höchstwahrscheinlich bis in höchste politische Zirkel erstreckte.

Die Unabhängigkeit Finnlands und das positive Gedenken an den Fortsetzungskrieg werden jedes Jahr am 6. Dezember öffentlich auf politischer Ebene und von verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen generationsübergreifend zelebriert, gepflegt und kaum hinterfragt. Opfer sei man ohnehin in erster Linie selbst gewesen. Silvennoinen stellt dies in Frage und die Reaktionen auf seine Studie in Finnland und in Deutschland lassen interessante Rückschlüsse auf die jeweilige Medienlandschaft und Mentalität zu. In der renommiertesten finnischen Tageszeitung „Helsingin Sanomat“ wurde das Buch vordergründig sehr sachlich und nüchtern besprochen. Die Ergebnisse werden bestätigt und bekräftigt, dass man ein paar hundert Opfer auf dem Gewissen habe, aber die Hauptschuld trugen ja immer noch die Deutschen und schlussendlich endete die Zusammenarbeit mit einem Happy End: Der Deutschen ebenso wie der Führung der Valpo entledigte man sich nach Aufkündigung der Waffenbrüderschaft.

Ende gut, alles gut? Die Debatte ging jedoch noch weiter, auch in „Helsinging Sanomat“, aber bereits nach einigen Monaten schien man des Themas überdrüssig geworden zu sein und Silvennoinen wird zwischen den Zeilen etwas abfällig als „Skandalforscher des Herbstes“ bezeichnet. Ihm wird offensichtlich übel genommen, den bestehenden gesellschaftlichen Konsens anzugreifen. Aus deutscher Sicht würde man das wohl als Schuldabwehr bezeichnen.

Den Beurteilungen aus dem Ausland steht man in Finnland kritisch gegenüber und scheint die ersten Reaktionen auf Silvennoinens Studie in Deutschland genau verfolgt zu haben. So störte man sich daran, es als Sensation und Neuigkeit verkauft zu haben, dass Adolf Hitler 1942 Überraschungsgast der Geburtstagsfeierlichkeiten der finnischen Nationalikone Mannerheim war. In Deutschland scheint tatsächlich eine gewisse Sensationsgier auf Themen des Zweiten Weltkriegs zu bestehen (man schaue sich nur die Berichterstattung zur Studie „Das Amt und die Vergangenheit“ an) und die Genugtuung, dass die anderen auch nicht besser gewesen seien, scheint nicht gerade gering zu sein. Deutsche und finnische Diskussionskultur sind in elementaren Dingen grundverschieden und lassen sich vereinfacht auf die Formel Konfrontationswillen und gesellschaftliche Konsensbestrebungen bringen. Streitkultur versus Schweigekultur? So kann man sich gegenseitig scharfsinnig missverstehen. Dabei hat Silvennoinens Studie neben den historischen Neuigkeiten einen interessanten Beitrag zur aktuellen deutschen Kritik am Zustand einer Erinnerungskultur zu bieten, die um den moralischen Imperativ des „Du sollst erinnern, weil Du dich erinnern sollst“ kreist: Silvennoinen geht es darum zu zeigen, wie gefährdet demokratische Prinzipien und Institutionen sind, gerade in Krisen- und Kriegszeiten und wie dünn der Zivilisationsfilm über den erschreckenden Ressentiments und Vorurteilen der Entscheidungsträger war. Damit schließt er direkt an die Ausführungen Jan Philipp Reemtsmas an, der für die Zukunft anstrebt, dass es bei der Erinnerung an Holocaust und Zweiten Weltkrieg „nicht um Erinnerung [an und für sich, C.R.] geht“, sondern „um das Bewusstsein einer Gefährdung, von der man weiß, seit man weiß, dass es eine Illusion war, zu meinen, der Zivilisationsprozess sei unumkehrbar, von der man also weiß, dass sie immer aktuell bleiben wird“.

Weitaus wichtiger als ein mediales Echo sind die gegenwärtigen Anschlussforschungen zu Silvennoinens vorbildlicher Studie. Es sieht so aus, als seien weitere Neuigkeiten aus Finnland zu erwarten, auch wenn die beteiligten Forscher mit großen Lücken in den Archiven zu kämpfen haben. Beinahe eine Sensation im negativen Sinne ist allerdings die deutsche Übersetzung der Studie. Die zahlreichen Rechtschreibfehler, unklaren syntaktischen Bezüge und Grammatikfehler stören den Lesefluss entscheidend und zerstören beinahe den hervorragenden Gesamteindruck einer ebenso kompetent wie spannend geschriebenen Studie.

Titelbild

Oula Silvennoinen: Geheime Waffenbrüderschaft. Die sicherheitspolizeiliche Zusammenarbeit zwischen Finnland und Deutschland 1933-1944.
Übersetzt aus dem Finnischen von Klaus und Kaija Reichel.
wbg – Wissen. Bildung. Gemeinschaft, Darmstadt 2010.
384 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-13: 9783534236374

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