Zu dieser Ausgabe

Abu Ghraib war wohl ,nur’ die Spitze des Eisbergs. Am 21. März titelte „Spiegel online“: „US-Armee entschuldigt sich für Gräuel-Fotos“. Bitte, nicht schon wieder: 4.000 Bilder von brutalisierten Rekruten, die unter anderem ‚aus Spaß‘ Zivilisten erschossen und sich stolz und feixend mit den toten Opfer ablichten ließen, seien bereits bei der US-Armee „unter Verschluss“, heißt es.

Für schadenfreudige und moralische Hybris von deutscher Seite besteht jedoch kein Anlass. Skandale wie der um die Geschehnisse auf der Gorch Fock unterstreichen, dass auch andere Armeen der Welt, zum Beispiel die deutsche, auf einer militärischen Funktionalisierung von Männerbildern beruhen, die für jeden denkenden Menschen ganz einfach nur zum Davonlaufen sind. Rette sich, wer kann: Denn was nun die von Herrn zu Guttenberg unter großem öffentlichen Jubel angestoßene Bundeswehr-Reform für die „Moral“ dieser „Truppe“ wirklich bedeuten wird, kann man sich ja leicht ausmalen. So schön es auch sein mag, dass jungen Männern künftig das Schicksal stumpfsinniger Zwangsdienste, wie sie unsereiner jahrelang durchstehen musste, nun nicht mehr blüht: Wenn demnächst kaum noch Abiturienten das ohnehin nie zuvor erreichte ‚Ideal’ eines sogenannten „Staatsbürgers in Uniform“ verfolgen werden, sondern sich nur noch Leute beim Bund verpflichten, die sonst keine Chancen auf dem Arbeitsmarkt mehr sehen und neben der „Ausbildung“ durch Ego-Shooter-Spiele bestenfalls noch die „Bild“-Zeitung lesen, wird auch dem letzten Patrioten bald dämmern, was die Stunde geschlagen hat.

Doch zu großem Optimismus besteht angesichts der aktuellen Weltlage ohnehin kein Anlass mehr. Die Kriege werden weltweit ‚privatisiert‘, mutieren zu ‚asymmetrischen‘ Warlord-Konflikten, die aufgrund ihrer Einträglichkeit für die lokalen Diktatoren, Drogen- und Menschenhändler auf Dauer gestellt bleiben und sich in Zukunft nur noch weiter zu ‚globalisieren‘ drohen. Die westlichen Staaten wissen vor lauter Interventionen bereits jetzt kaum noch, wie sie im Einzelnen entscheiden sollen – zumal sie ja meistens gut an den Geschäften sogenannter „Schurkenstaaten“ mitverdienen. Man sehe sich etwa nur die finanziellen Gewinnmargen deutscher Exporte in den Iran an, wo sich Außenminister Guido Westerwelle (FDP) erst neulich wieder zum lustigen Händeschütteln mit dem antisemitischen Präsidenten Ajmadinedschad einfand. Und was dann am Ende dabei herauskommen kann, wenn westliche Staaten doch einmal militärisch eingreifen, aus welchen Gründen auch immer, kann man dann eben sicher bald auch wieder im „Spiegel“ nachlesen – siehe oben.

Guter Rat ist teuer: Werden die aktuellen Luftangriffe auf Gaddafis Truppen in Libyen dabei helfen, das nordafrikanische Land endlich zu befrieden? Oder wird der Einsatz nur zu einer weiteren Eskalation der Gewalt führen? Nehmen derweil die ideologischen Gegensätze der „Kulturen“ und ihrer Religionen etwa generell zu? Die Sarrazin-Debatte in Deutschland deutete zumindest nicht unbedingt darauf hin, dass hierzulande die Toleranz noch eine große Zukunft hätte. Doch ein Land, in dem die Massen der Wähler jemanden wie Guttenberg als Inbegriff politischer Glaubwürdigkeit feiern, würde man ohnehin am liebsten so schnell wie möglich verlassen. Wohin auswandern? Ist es überhaupt noch irgendwo anders besser, oder sind die Verhältnisse im Exil am Ende noch viel schlimmer als im immer noch wohlhabenden und zumindest nominell noch demokratischen Europa (wenn man den „Berlusconismus“ jetzt gerade einmal stillschweigend außen vor lässt)?

Nach den Antworten auf all diese schwierigen Fragen müssen Sie jetzt leider selbst suchen. Aber vielleicht finden sich ja für unsere Leser in dem Themenschwerpunkt der April-Ausgabe mögliche Anhaltspunkte oder Entscheidungshilfen. Schließlich ist er dem Thema „Interkulturalität“ gewidmet, wobei wir unserer Autorin Monika Stranakova ganz herzlich dafür danken möchten, diese Nummer angeregt und tatkräftig begleitet zu haben. Soviel sei allerdings schon an dieser Stelle verraten: Auch in den Artikeln und Rezensionen, die wir im Rahmen dieses Themas rubriziert haben und in denen teils sehr unterschiedliche Meinungen vertreten werden, findet sich leider nicht nur Tröstliches. Aber dies und jenes vielleicht sogar doch. Über die Begrenzungen des eigenen Umfeldes hinaus zu denken und von Außenperspektiven auf die eigene „Kultur“ oder auch ihre Sprache zu lernen, hat zumindest noch niemandem geschadet.

Mit herzlichen Grüßen
Ihr
Jan Süselbeck