„Das waren damals andere Zeiten“

Jürgen Schutte und Rainer Gerlach haben den Briefwechsel zwischen Peter Weiss und Manfred Haiduk herausgegeben

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der jetzt erschienene Briefwechsel zwischen Peter Weiss (1966-1982) und dem Rostocker Germanistikprofessor Manfred Haiduk (Jahrgang 1929) wirkt wie ein archäologischer Fund aus längst vergangenen Tagen. Kennengelernt hatten sich die beiden 1964, als nach der West-Berliner Uraufführung das Rostocker Volkstheater „Marat/Sade“ inszenierte. Dabei fungierte Haiduk in der eher ungewöhnlichen Rolle als wissenschaftlicher Berater des Intendanten Hanns Anselm Perten. Weiss, überaus begeisterungsfähig, wenn er sich verstanden und angenommen fühlte, hegte die Hoffnung, sich und sein zukünftiges Bühnenwerk gänzlich mit dieser Bühne identifizieren zu können, wie es schon seine großen Vorbilder Bertolt Brecht und August Strindberg getan hatten. Und Haiduk vermochte, das beweist der Briefwechsel, der 1965 einsetzt und mit dem Tode des Autors endet, diese Seite in Weiss zum Klingen bringen.

Allerdings konstatiert jetzt seine Witwe, Gunilla Palmstierna-Weiss, im Vorwort der Briefausgabe: „Am Anfang war Peter naiv, weil er geglaubt hat, er könnte Einfluss nehmen.“ Tatsächlich sah zumindest Perten, dessen Nähe zur Stasi mittlerweile notorisch ist, in den Stücken des Emigranten Weiss vor allem Propagandamaterial, das man gegen den Klassenfeind im Westen in Stellung bringen konnte. Aber auch Haiduk beschwört des öfteren den angeblich „gemeinsamen Gegner“ und sieht in der Bundesrepublik gar „faschistische Tendenzen, Abbau demokratischer Rechte, Restauration, Nationalismus“ am Werk. Allerdings geht Weiss, zumindest in den Briefen, auf diese DDR-typische Paranoia in keiner Weise ein. War ihm vielleicht der Widerspruch bewusst, in dem Haiduk wie die übrigen vom Regime gehätschelten Reisekader und offiziellen Kulturschaffenden lebten? Die Borniertheit des zweiten deutschen Staates musste er spätestens durchschauen, als 1970 sein „Trotzki-Stück erschien“, und das im „Lenin-Jahr“, wie Haiduk im Dokumentenanhang (noch heute?) kritisiert. Denn ihm und seiner Frau wurde daraufhin die Einreise in die DDR verweigert und Haiduks Habilitationsschrift über den „Dramatiker Peter Weiss“ zunächst nicht zur Veröffentlichung zugelassen. Dabei hatte Weiss noch ganz vertrauenselig dem DDR-Kultusminister Klaus Gysi das Trotzki-Drama zugesandt und um eine „kritische Analyse“ gebeten.

Diese Enttäuschung sollte indes nicht die einzige bleiben. Zwar wirft auch Haiduk dem Freund „Objektivismus“ vor und sieht ihn gar „an die Spitze der antikommunistischen Propaganda“ rücken, doch führt dies keineswegs zum Bruch der Beziehungen. Vielmehr gelingt es Haiduk offensichtlich immer wieder, auch in persönlichen Begegnungen, die Krisen zu überwinden. Die nächste Belastungsprobe steht ins Haus, als Mitte der 1970er-Jahre Weiss’ monumentales Lebenswerk „Die Ästhetik des Widerstands“ zu erscheinen beginnt, von Haiduk enthusiastisch begrüßt: „Das ist wirklich eins der großen Bücher unserer Zeit.“

Doch bereits der erste Band der zuerst bei Suhrkamp erscheinenden Trilogie wurde von der DDR geflissentlich totgeschwiegen. Das Schreiben, mit dem sich Weiss an die Akademie der Deutschen Demokratischen Republik, Sektion Literatur und Sprachpflege, in dieser Angelegenheit wendet, ist dem Briefwechsel beigefügt. Es ist ein erschütterndes Beispiel dafür, wie ein Schriftsteller, nicht zum ersten Mal, um Aufmerksamkeit und Anerkennung kämpft „in der DDR, dem Land, in dem sich meiner Ansicht nach ein grosser Teil derjenigen Menschen befindet, für die ich das Buch schrieb, und die die Voraussetzungen besitzen, es zu verstehen“.

Zugleich wird wieder einmal deutlich, wie sehr die mediokren Gestalten an der Staatsspitze, etwa Margot Honecker oder Kurt Hager, in die Einzelheiten des (Kultur-)Betriebs eingriffen und dabei das Ganze aus dem Blick verloren. Einen weiteren Streitpunkt bildet der Artikel, mit dem Weiss gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert, was er gegenüber dem Freund mit den Sätzen rechtfertigt: „Man kann in solchen Fällen nur der inneren Stimme folgen, muss an seiner eigenen Kontinuität, seinen eigenen Erfahrungen festhalten. Ich hoffe nur, dass man respektieren kann, dass die Auffassungen von Demokratie innerhalb des Sozialismus verschiedenartig sind.“

Interessant ist auch die Editionsgeschichte der „Ästhetik des Widerstands“, die schließlich 1983 auch im Ost-Berliner Henschel-Verlag, allerdings nur in einer geringen Auflage, erschien. Denn während die Suhrkamp-Ausgabe zahlreiche Veränderungen enthielt, welche die angesehene Lektorin, Elisabeth Borchers, mit dem schier unglaublichen Argument erzwang, dem Emigranten Weiss sei die deutsche Sprache nicht mehr geläufig, präsentierte sich die DDR-Ausgabe nach dem Originalmanuskript des Autors.

Der Briefwechsel ist ein bemerkenswertes Zeugnis für die politische, moralische und schriftstellerische Integrität des Autors. Um diese zu bewahren, lehnte Weiss 1982 die ihm von den Universitäten Marburg und Rostock angetragenen Ehrendoktorwürden höflich, aber bestimmt ab. Zugleich dokumentieren die Briefe eine Männerfreundschaft, die Grenzen zu überwinden vermochte. Haiduks Begeisterung für Weiss und sein Werk sollten indes nicht die Engstirnigkeit übersehen lassen, mit der er sich bis heute über den Unrechtscharakter des zweiten deutschen Staates hinwegtäuscht, indem er auf „Unmenschlichkeiten“ der Wiedervereinigung verweist oder angebliche Geschichtsfälschungen der „offiziellen Geschichtsschreibungen der BRD“ geißelt. Bezeichnend ist auch der irritierende Hinweis der Herausgeber, „dass das für diese Ausgabe geschriebene Nachwort wegen unüberbrückbarer Meinungsverschiedenheiten zwischen den Herausgebern und Manfred Haiduk nicht in dieser Ausgabe abgedruckt werden konnte“.

Die Herausgeber haben die Briefe sehr ausführlich kommentiert. Allerdings sind ihnen viele und für einen akademischen Verlag sehr ärgerliche Satzfehler entgangen sowie schwerwiegende Errata unterlaufen, beispielsweise im Hinweis 4 zum Brief Nr.112: Gert Uedings Rezension zum dritten Band der „Ästhetik“ aus der FAZ vom 4.7.1981 wurde natürlich nicht im „Büchertagebuch 1971“ abgedruckt, wo man danach vergebens sucht, sondern in dem von 1982.

Titelbild

Rainer Gerlach / Jürgen Schutte (Hg.): Diesseits und jenseits der Grenze. Peter Weiss - Manfred Haiduk. Der Briefwechsel 1965-1982.
Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2010.
297 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783861104780

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