Und zum Geburtstag eine Orange

Im Roman „Die Orangen des Präsidenten“ verarbeitet der deutsch-irakische Autor Abbas Khider seine Erfahrungen in einem irakischen Gefängnis

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit 23 Jahren floh Abbas Khider aus seiner irakischen Heimat, nachdem er zwei Jahre als Politischer im Gefängnis gesessen hatte. Sein Erzähler Mahdi im Roman „Die Orangen des Präsidenten“ begab sich schon mit 21 Jahren auf die Odyssee durch die mittelöstlichen Flüchtlingslager, nachdem 1991 der Aufstand der Schiiten gegen Saddam Hussein zusammengebrochen war. Seit Wochen sitzt er in einem Flüchtlingslager an der irakisch-kuwaitischen Grenze fest – gerettet, aber ohne etwas tun zu können. Zum Zeitvertreib in der Einöde beginnt er seine „wahre Geschichte“ aufzuschreiben. Er will versuchen, „das Geheimnis meines Lachens zu ergründen“.

In Khiders Roman haben die Menschen nichts zu lachen, und wenn sie es trotzdem tun, wie Mahdi, ist es ein Lachen des Irrsinns und der Verzweiflung. Unter den Schlägen eines Wärters, den er heimlich für sich „Chaplin“ nannte, weil er klein war, einen Zweifingerschnurrbart trug und beim Schlagen die Zunge zwischen den Zähnen verbiss, brach er in ein Gelächter aus, das ihn unempfindlich für Schläge und Schmerzen machte: „Ich prustete laut los und schrie in allen Tonlagen, krümmte und gebärdete mich, als hätte ich Lachgas eingeatmet. Den Wärtern fielen vor Überraschung fast die Knüppel aus der Hand“. Ein Stupor hatte ihn unvermittelt überfallen und die Demütigung der Folter in einem irren Gelächter ertränkt, das selbst die Wärter ängstigte.

Mahdi war kein Agitator. Er verlor 1989 seine Unschuld als Schüler und Taubenzüchter, weil er wegen seines Freundes Ali ins Visier der Schergen von Saddam Hussein geriet. Am Tag nach seinem Abitur wurde er in Untersuchungshaft genommen. Obwohl Ali seine Unschuld beteuerte, kam er nicht frei, denn wer einmal eingekerkert wird, bleibt dies auch. In einer finsteren Zelle hungerte er mit Mitgefangenen allen Alters und aller politischer Richtungen, ohne Aussicht auf Befreiung, lebendig begraben. Es war dunkel, feucht und kalt. Der Hunger war schneidend und machte allmählich sogar Schläge und Folter vergessen. Eines Morgens wurde Mahdi von einer unerklärlichen Euphorie seiner Zellengenossen überrascht, der Kapo hatte erfahren, dass draußen der 28. April war: Saddams Geburtstag.

„In der Vergangenheit wurde an diesem Tag fast immer eine Amnestie für alle politischen Gefangenen erlassen.“ Diesen Tag sehnten alle Gefangenen herbei. Die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Anstatt einer Amnestie gab es an diesem 28. April 1990 – eine süße Orange für jeden Häftling. So dauerten Demütigung, Hunger und Hoffnungslosigkeit an. Erst einige Monate später kamen Mahdi und seine Mitgefangenen frei, der Golfkrieg war inzwischen ausgebrochen, die Amerikaner waren auf dem Vormarsch und im Süden Iraks erhoben sich die Schiiten. Geblendet stolperten sie ins Licht einer trügerischen neuen Hoffnung, die sich indes bald zerschlug. Die Amerikaner stoppten den Angriff und verrieten den schiitischen Aufstand. Da floh Mahdi nach Süden in die Wüste – und erinnert sich.

Mahdis Erinnerung verfolgt im Wechsel zwei Spuren. Zum einen die letzten Monate der erniedrigenden Haft, zum anderen weiter zurück die lichten Jahre als Schüler und Taubenzüchter. Mahdi verlor früh seinen Vater im iranisch-irakischen Krieg. Seine liebe Mutter sorgte sich unter Aufbietung all ihrer Kräfte um den „Sohn eines Märtyrers“. Mahdis Kindheit und Jugend in Babylon verlief so unbeschwert, bis die Mutter von ihrer Krankheit aufgezehrt wurde, die sie vor dem Jungen verborgen hielt. Der Abschied und Umzug zu einem Onkel nach Nasrija war schmerzlich, doch am neuen Ort lernte er den Freund Ali kennen und den Taubenzüchter Sami, der ihn in seine Kunst einführte. Mahdi Muhsin erhielt den Übernamen Mahdi Hamama – Mahdi Taube.

Khider hat der Geschichte von Mahdi autobiografische Erfahrungen zugrunde gelegt. Als Politischer saß er selbst zwei Jahre in Saddams Kerkern. Seit zehn Jahren lebt er nun in Deutschland und schreibt auf Deutsch – ein „arabischer Mutant“, wie er seinen Status in einem Interview bezeichnet hat.

Aus der Perspektive von Mahdi schildert er mit schlichter, eindrücklicher Sachlichkeit. Mahdis Hass ist gebändigt durch Entbehrung und Resignation. Die Erinnerung an die unbescholtene, friedliche Jugend leuchtet wie aus einer fernen Welt in den finstern Kerkeralltag herein. Hier gilt es nur, den Hunger zu betrügen, die Würde zu bewahren und den nächsten Tag zu überleben, in stiller Demut. Gerade dieses Aufeinanderprallen von zwei Welten verleiht dem Buch seinen Zauber. Die Bosheit der Schergen wird kontrastiert mit der sanften Liebe des Taubenzüchters Sami. Zwei Bilder aus ein und demselben, zerrissenen Land.

„Die Orangen des Präsidenten“ ist ein trauriges, nachdenklich stimmendes, stellenweise aufwühlendes Buch. Es gibt vor allem auch Einblick in einen Krieg, der aus europäischer Warte stets anders gesehen wurde. Der schiitische Aufstand im Südirak gegen Saddam Hussein 1991 wurde kaum beachtet, Mahdis Geschichte lässt aber erahnen, was mit den Tausenden von unschuldigen Schiiten geschehen war, nachdem dieser Aufstand verraten wurde. Insofern ist Khiders Buch auch ein literarisches Zeitzeugnis.

Titelbild

Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten. Roman.
Edition Nautilus, Hamburg 2011.
156 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783894017330

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