Damals am Kurfürstendamm

Über Tanja Dückers’ Roman „Hausers Zimmer“

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Schreiben bedeutet für mich eine Art von sinnlicher Geschichtsschreibung. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass man als Autor auf seine Gegenwart reagiert, sie in Kunst transformiert und sie damit kommentiert.“ So beschrieb Tanja Dückers vor einigen Jahren ihr literarisches Credo, das sie nun auch in ihrem vierten Roman in die Praxis umgesetzt hat.

Die 43-jährige Autorin, die 2003 mit ihrem facettenreichen Familienroman „Himmelskörper“ den literarischen Durchbruch geschafft hatte, legt nun ein opulentes Erzählwerk vor, das sich zwischen Jugendroman, Entwicklungs- und Stadtroman und Erinnerungsopus bewegt. Wir befinden uns im West-Berlin des Jahres 1982 in einer links-intellektuellen Familie, die in einer riesigen Altbauwohnung unweit des Kurfürstendamms lebt. Es ist das Jahr, in dem die Ich-Erzählerin Julika Zürn ihren 15. Geburtstag feiert, in dem der Falklandkrieg tobt, Helmut Kohl Bundeskanzler wird, Carl Orff, Peter Weiss, Romy Schneider, Leonid Breschnew, Rainer Werner Fassbinder und Alexander Mitscherlich sterben.

All diese großen Ereignisse liegen wie eine transparente Hintergrundfolie über der Familiengeschichte. Die Zürns sind ein Musterbeispiel für eine verbürgerlichte Spät-68er-Familie. Die Eltern Wiebke und Klaus (sie Übersetzerin, er Kunstkritiker) lassen sich von ihren Kindern selbstverständlich duzen, entpuppen sich als fanatische Anhänger der neuen Umweltpartei, wirken ansonsten aber selbst noch wie Spät-Adoleszente, die ihren Lebensmittelpunkt (noch) nicht gefunden haben. Dieses Ensemble, zu dem auch noch Julikas dauer-kiffender Bruder Falk gehört, ist von Dückers nicht ohne Augenzwinkern arrangiert worden.

Julikas jugendliche Rebellion gegenüber dem Elternhaus ist von relativ sanfter Natur. Sie beobachtet gerne einen älteren Jungen, über den ihre Eltern nur (leicht verächtlich) die Nase rümpfen. „Ich schlurfte ans Fenster, hob vorsichtig die Gardine und blickte auf das erleuchtete Fenster vom Hauser.“ Dieser Peter Hauser, ein proletenhafter Motorradrocker aus dem Nachbarhaus, löst bei Julika Träume und Sehnsüchte aus, die sie selbst nicht exakt definieren kann. Fernweh, der Reiz des Fremden und die Lust auf ein einfaches, tabuloses Leben mag dahinter stecken. Als sie am Ende dann Hausers „orange leuchtendes Zimmer“ betritt, verfliegt der Zauber und weicht einer grenzenlosen Enttäuschung. Ein Jung-Mädchen-Traum ist ein für allemal beendet. Geblieben ist aber Julikas Bedürfnis, anders sein zu wollen, als die Modepüppchen aus ihrer Schule.

Wir erleben hier als Leser das Jahr 1982 noch einmal aus der Perspektive eines Teenagers. Hier wird nicht tiefgehend analysiert, es gibt keine vordergründige Gesellschaftskritik à la Alfred Döblins „Alexanderplatz“, sondern viele Alltagsdetails, die aus der Erinnerung hervor gekramt werden und eine leicht melancholische Stimmung auslösen: vom jugendlichen Widerstreit zwischen Punker und Popper, über die bunte, anarchische Mischung in der West-Berliner Bevölkerung, die – wie wir heute wissen – kurz vor dem Zerfall stand.

Dückers’ Sprache ist geprägt von einem heiter-flapsigen Tonfall. Alles liest sich unprätentiös und unterhaltsam. Und wahrscheinlich liegt darin sogar die große Qualität dieses umfangreichen Romans – in der strudelartigen Erzählweise, die dem Leser keinerlei Besinnungspause gestattet und ihn immer stärker und tiefer in die Handlungsfluten hineinzieht.

Titelbild

Tanja Dückers: Hausers Zimmer. Roman.
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2011.
496 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783895610103

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