In der Karawanserei

Hugo Balls dadaistische Texte stellen nur einen kleinen Ausschnitt aus seinem Gesamtwerk, haben den Autor aber berühmt gemacht. Eckhard Faul hat sie nun in einem schmalen Band zusammengestellt

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In keiner Geschichte der modernen Literatur und Kunst darf jene Episode fehlen, in der eine kleine Gruppe von Kriegsflüchtlingen aus aller Herren Länder in der Zürcher Meierei ein Cabaret eröffnete, in dem sie die „künstlerische Unterhaltung“ in den Vordergrund stellen wollte. Die verrückte Idee, mit der die Gruppe um Hugo Ball und Emmy Ball-Hennings ein wenig Geld verdienen wollte, war nicht nur überaus erfolgreich, sie war auch der Ursprung einer künstlerischen Revolution, mit der die Moderne auf ihrem Höhepunkt anlangte. Dada war geboren, wie sich kurze Zeit später herausstellte. Und gab dann den nachfolgenden Generationen die Aufgabe auf herauszufinden, was dieses merkwürdige Gebilde, das auf alle Künste Auswirkungen hatte und bei allen Künsten Anleihen nahm, denn eigentlich sei. Zumal Dada zeitweise sogar die Idee aufgab, selbst Kunst zu sein. Aber so etwas rächt sich, und so ist Dada am Ende ohne größeren Widerstand in den Museen gesammelt, auf Auktionen zu Spitzenpreisen verhökert und in den Literaturgeschichten verehrt worden. Kunst, wie keine andere Kunst, aber eben doch Kunst.

Dabei ist genau das der Punkt, an dem die Kritik an Dada einhakt, denn wenn Kunst von Können und nicht von Wollen kommt, wieso kann so etwas wie Dada Kunst sein? „Gadjeri beri bimba / glandridi lauli lonni cadori“. Dass das doch jeder könne, sogar jedes Kind, haben Kritiker immer wieder betont. Und die Verteidiger des Dadaismus haben dem immer wieder ein „keinesfalls“ entgegen gesetzt. Provokation ist eines der zentralen Momente des Dadaismus, und provozierend hat er gewirkt. Erst die Konzeptkünste und die Performances der 1960er-Jahre würden wieder eine solche Provokationskraft entfalten wie Dada um 1920. Aber das ist eine andere Geschichte.

Am Anfang dieser Geschichte jedenfalls steht Ball. Er ist der treibende Faktor am Beginn von Dada, zusammen mit seiner Frau Emmy, Tristan Tzara, Jean Arp, Marcel Janco und kurze Zeit später Richard Huelsenbeck betreiben sie das Cabaret Voltaire, das am 5. Februar 1916 eröffnet wird.

Ball ist der Schriftsteller unter den Veranstaltern, aber sein Wirken geht weit über das Erstellen von Texten hinaus. Berühmt ist das Foto, das Ball in seinem monströsen bischofsähnlichen Kostüm zeigt, in dem er eine seiner Performances aufführte. Nicht minder berühmt ist der (in diesem Band abgedruckte) Eintrag in seinem Tagebuch, in dem er schildert, wie ihm sein Aufführungsplan samt Textentwurf aus den Fugen gerät und die gesamte Performance ein ungeplantes Eigenleben entwickelt.

Ball arbeitete an Lautdichtung und absurden Szenen, die er gegen die Ernsthaftigkeit seiner Kultur stellte, die sich in den Grabenkämpfen und im Granatenfeuer des Ersten Weltkriegs als nicht minder absurd entpuppt hatte. „Wir wollen: Aufreizen, umwerfen, bluffen, triezen, zu Tode kitzeln, wirr, ohne Zusammenhang, Draufgänger und Negationen sein“, schrieben Ball und Huelsenbeck bereits 1915 in ihr literarisches Manifest. Womit bewiesen wäre, dass die Grundprinzipien des Dadaismus bereits vor seiner Entstehung bekannt waren. Und zugleich, dass Dada nicht das Produkt eines historischen Zufalls war, sondern konsequent weiter führte, was als künstlerischer und eben auch kultureller Schritt notwendig war.

Ball hat daran an zentraler Stelle mitgewirkt, sich aber relativ schnell wieder vom Dadaismus abgewandt, oder besser, wie sein Herausgeber klarstellt, anderem zugewandt: Die Leitung eines Cabarets war ebensowenig seins wie die einer Galerie, woran er sich kurze Zeit später versuchte. Auch die Erfindung einer neuen Gattung von Versen ohne Worte, Lautgedichte, war ihm nicht genug. Sobald aus dem spielerischen Dada der systematische Dadaismus geworden sei, so Eckhard Faul, habe Ball lieber anderes gemacht.

Zum Beispiel eine Biografie seines Freundes Hermann Hesse zu schreiben oder hagiografische Studien zu treiben, die er unter dem Titel „Byzantinisches Christentum“ publizierte. Seinen dadaistischen Roman, „Tenderenda der Phantast“ publizierte er selbst nicht mehr (Faul druckt ihn aber hier ab), die von der Hugo-Ball-Stiftung herausgegebene Hugo-Ball-Ausgabe, von der diese kleine Ausgabe profitierte, zeigt mit seinen zehn, zum Teil mehrteiligen Bänden sogar, dass das dadaistische Werk nur den geringsten Teil ausmacht.

Aber so gegensätzlich die beiden Werkteile zu sein scheinen, werden sie doch durch einen dünnen Faden miteinander verbunden: Auch wenn der Zufall eine große Rolle dabei gespielt haben mag, dass Ball in seiner Performance in den Litaneientonfall der katholischen Priester verfallen war, passt dies doch zu seinem Verständnis dessen, was er und seine Mitdadaisten in Zürich trieben. In seinen Notizen, die im Teilabdruck von Faul aufgenommen wurden, spricht er von der „magisch erfüllten Vokabel“, vom beschwörenden Charakter seiner Lautdichtung. Ball ist auf der Suche nach einem Urgrund von Dichtung und Sprache, der für ihn im Laut aufbewahrt worden ist. Balls dadaistische Dichtung ist antirational, weil seine Zeit irrational genug war. Sie bleibt der Suche nach einem Jenseits des logos dabei auch im Folgenden verhaftet. Das aber, wie Balls Konversion zum Katholizismus, sein Interesse am Urchristentum wie an Hesse zeigt, verweist auf eine Motivation, die jenseits der Kunst liegt, auf die Sehnsucht nach einer Welt, die geordnet ist und in sich selbst ruht.

Titelbild

Eckhard Faul (Hg.) / Hugo Ball: Zinnoberzack, Zeter und Mordio. Alle DADA-Texte.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
143 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308923

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