Text ohne Kontext

Berndt Georg Thamm über das „Terrorziel Deutschland“

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für den „freiberuflichen Fachpublizisten“ (so Perlentaucher.de) Berndt Georg Thamm, der besonders mit Publikationen zum islamistischen Terror hervorgetreten ist, sind Zuspitzung, Vereinfachung, Übertreibung so nötig wie das seriöse Argument für die Wissenschaft und die (möglicherweise) verschleiernde Wortwahl für Politiker. Der Drang oder Zwang zur Pointe hat Thamm bei manchen Gelegenheiten zu unkonventionellen Gedankengängen angeregt, zum Beispiel die Legitimität von Folter betreffend.

Auch seine jüngste Hervorbringung, „Terrorziel Deutschland“, wartet mit deftigen Zutaten auf. So scheut sich Thamm nicht, das Szenario eines Terroranschlags, wie er im indischen Mumbay verübt wurde, auf deutsche Verhältnisse zu übertragen: „Aus der Deckung des vorweihnachtlichen Geschäftstrubels heraus kommt es am 22. Dezember in Berlin zum terroristischen worst case. Bewaffnete Islamisten stürmen im Bezirk Charlottenburg in der Fasanenstraße das Hotel Kempinski und attackieren das Jüdische Gemeindehaus. Eine weitere Terrorgruppe dringt in das größte Kaufhaus Kontinentaleuropas ein, in das Kadewe in der nicht weit entfernten Tauentzienstraße. Zugleich stürmen um sich schießende Terroristen in den Hauptbahnhof. Ein fünfter Überfall findet zeitgleich auf dem Gendarmenmarkt statt. Die deutsche Hauptstadt erlebt ihren 9/11, sie befindet sich im Ausnahmezustand.“ All dies wird vorgetragen, als sei es Faktum, nicht Fiktion.

„Terrorziel Deutschland“ weist dennoch bedeutende Vorzüge auf: Der Band nimmt mit extremer Aktualität für sich ein, die noch den Februar 2011 berücksichtigt. Auch werden Sachverhalte, zum Beispiel Afghanistan und deutsch-muslimisches Konvertitentum betreffend, in ungewöhnlicher Dichte und Raffung, auf ungewöhnlich übersichtliche und eingängige Weise entfaltet. (Hierin liegt die Gefahr mangelnder Differenzierung – wenn etwa der Afghanistan-Krieg der 1980er-Jahre als Ursache des Zusammenbruchs der Sowjetunion hingestellt wird.) Darüber hinaus werden Sachverhalte und Risiken beim Namen genannt, die dem allgemeinen Bewusstein wenig geläufig sind. So wirft Thamm die Frage auf, weshalb die ISAF-Soldaten nicht, ähnlich ihren Vorgängern im sowjetischen Afghanistankrieg, der Drogensucht anheimfallen sollten: „Nach einer […] im Mai 1988 veröffentlichten Untersuchung der RAND Corporation […] hatten mehr als 50 Prozent der sowjetischen Soldaten regelmäßig Drogen (meist Haschisch) genommen. Andere Schätzungen gingen gar auf 70 Prozent. Nun geht auch der Krieg der OEF- und ISAF-Soldaten ins zehnte Jahr. Rauschgift kann auch gegen die ‚neuen Besatzer‘ als Waffe eingesetzt werden. […] warum sollten ausgerechnet die Soldaten der Alliierten gegen diese Waffe gefeit sein? Jedes weitere Einsatzjahr macht sie schärfer.“

Hier stutzt der Leser: Wer ist es, der „schärfer“ wird? Die Waffe, also Rauschgift, oder Soldaten? Solche Momente der Irritation sind nicht selten, denn Thamms Ausdrucksweise ist hemdsärmelig, unbehauen, schnodderig („in keinster Weise“), im Einzelfall grammatikalisch oder lexikalisch fehlerhaft. Eine Stilübung ist „Terrorziel Deutschland“ jedenfalls nicht, und braucht es nicht zu sein, denn angesichts des Gegenstands – dies scheint Thamm zu unterstellen – kommt es auf Stilfragen nicht an.

Gravierender ist ein anderer Mangel: Die Frage der Verhältnismäßigkeit bleibt unbedacht. Gemessen an Hunger und Krieg, Verkehrsunfällen und alltäglichen Todesursachen wie Arteriosklerose wecken Terroranschläge unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit. In der Angst vor angedrohten, nicht in vollzogenen Anschlägen liegt die Wirkung von Terrorismus beschlossen, und Kriegseinsätze wie die amerikanischen gegen Afghanistan und den Irak fordern bei weitem mehr Opfer als jene terroristischen Aktivitäten, die den Kriegsherren als Legitimationsgrundlage dienen. Dass Terror unverhältnismäßige Angst und oftmals Gegenterror provoziert – von der Einschränkung bürgerlicher Rechtsansprüche zu schweigen –, gerät bei Thamm aus dem Blick. Der Autor verharrt gewissermaßen im Bannkreis des Terrors, ohne dessen Funktionsweise zu durchdenken.

Wenn es gilt, Informationen zusammenzutragen – auch solche, die nicht im Fokus der Medien liegen –, ist gegen „Terrorziel Deutschland“ nichts einzuwenden. Wenn Terror in seinen Wirkungszusammenhängen, als atmosphärische Bestimmungsgröße unserer Lebenswelt, zu bedenken ist, hilft dieses Buch nicht weiter.

Titelbild

Berndt Georg Thamm: Terrorziel Deutschland. Strategien der Angreifer - Szenarien der Abwehr.
Rotbuch Verlag, Berlin 2011.
286 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783867891301

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch