Späte Blüte

Robert Sheltons wegweisende Bob-Dylan-Biografie ist nun erstmals in deutscher Übersetzung erschienen

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 29. September 1961 erschien in der „New York Times“ ein Artikel über einen einen jungen Mann, der „vor Talent aus allen Nähten platzt“. Und dieser „eigenwillige […] Stilist“ sang zu Gitarre und Mundharmonika mit einer einigermaßen gewöhnungsbedürftigen Stimme überraschend anspruchsvolle eigene Songs, die sich vom üblichen „I love you / You love me / Let’s raise up a family / Holiday in Italy“-Liedgut jener Zeit abhoben.

Robert Shelton, der Autor jenes Artikels, hat nie für sich in Anspruch genommen, Bob Dylan entdeckt zu haben. Dieser habe „sich selbst entdeckt“ – und doch war dieser Artikel mit der Auslöser für eine Karriere, die in ihrer Vielgestaltigkeit und in ihrem radikalen Mut zur Veränderung im Musikbusiness ihresgleichen sucht. Eben jener Shelton, mittlerweile in England lebend, veröffentlichte nach langjährigen Querelen und Verlagsstreitigkeiten im September 1986 in der New English Library seine Dylan-Biografie „No direction home“, die, obschon stark gekürzt, schnell zu einem Standardwerk avancierte. Unter den zahllosen Büchern, die bis dahin über den amerikanischen singer/songwriter geschrieben wurden, stach es in seiner Detailfülle, Genauigkeit und Objektivität hervor. Shelton hatte, als einziger der Biografen von Dylan selbst unterstützt, keinesfalls eine bloße Huldigung geschrieben, sondern befasste sich stets auch kritisch mit dem Künstler. Kein unreflektiertes Fantum also – sondern ehrliche Bewunderung mit dem Mut zum Widerspruch finden sich in jenem Buch, das von seinem Autor selbst als unfertig, als, so wörtlich, „abridged over troubled waters“ bezeichnet wurde. Satz für Satz hatte Shelton den Lektoren und Korrektoren abgerungen, lange Streitigkeiten führten schließlich zu einem Kompromiss, der die Publikation überhaupt erst ermöglichte.

Doch wie ein Kompromiss wirkt die Biografie nur bedingt. Auf den knapp 570 klein bedruckten Seiten der Originalausgabe folgt Shelton dem Leben und Werk Dylans, das an Verästelungen und Kehrtwenden nicht gerade arm ist. Gelegentlich schweift der Biograf ab, scheint sich in Anekdoten zu verlieren. Doch das bisweilen leicht unorganisiert wirkende Buch bekommt dadurch einen ganz eigenen Charme. Diese Eigenart des Buches ist zumeist den zahlreichen Kürzungen geschuldet, denn Shelton musste ganze Teile seines Manuskriptes weglassen, um das Ergebnis zwanzigjähriger Arbeit nicht gänzlich aufzugeben. Bis ins Jahr 1978 reichen Sheltons Aufzeichnungen, Dylan nahm gerade das Album „Street Legal“ auf, die folgenden sieben Jahre wurden von ihm für die Veröffentlichung lediglich zusammengefasst. Und dennoch ist das Buch eine unverzichtbare Fundgrube für jeden, der sich mit Dylan beschäftigen möchte, ob Laie oder Kenner.

Anlässlich Dylans 70. Geburtstags im Mai 2011 wurde der Band nun aber mit Hilfe des Original-Manuskriptes des 1995 verstorbenen Shelton von Elizabeth Thompson und Patrick Humphries überarbeitet. Die beiden Editoren wählten dabei einen recht ungewöhnlichen Weg: Die Ergänzungen bis 1985 ließen sie ersatzlos wegfallen, dafür ergänzten sie den eigentlichen Text mit über 20.000 Worte umfassenden Passagen aus dem Manuskript und strichen „veraltete“ Abschnitte. Ein nicht gerade behutsam anmutender Eingriff, aber erstaunlicherweise tut das Ganze dem Buch nur gut. Einige Teile im vierten und im zehnten Kapitel wirken nun wesentlich flüssiger und besser lesbar, das kreative Chaos der Erstausgabe weicht einer nun stringenteren Erzählweise, was gerade im Kapitel „Mit einem Fuß auf dem Highway“ deutlich wird, das mit der „Elektrifizierung“ von Dylans Musik einen der wesentlichen Brüche in dessen Œuvre darstellt. Von der Ergänzung profitiert auch die Darstellung der ersten Tourneen, die Shelton eindrucksvoll als „Lehrjahre auf der Straße“ beschreibt. Hier zeichnet er detailliert das sich langsam entwickelnde Verständnis der Öffentlichkeit für Dylans Musik nach. Mutig versucht der Biograf auch, die vielfältigen Wandlungen der kaum greifbaren Kunstfigur „Bob Dylan“ zu deuten, dessen Chamäleonhaftigkeit noch im Jahr 2007 in Todd Haynes Film „I’m not there“ nicht nur die Fans beschäftigte. Und Shelton schafft es, zumindest Teile eines möglichen „wahren“ Dylan hinter all diesen Masken des Mannes sichtbar zu machen.

Dass die erweiterte Fassung des Buches früher endet als die 1986 erschienene, ist etwas kurios, hat aber positive Aspekte: Denn man kommt um die ominöse christliche Phase in Dylans Werk herum. Und an den vielen zumeist hilflosen Erklärungen, wieso gerade Platten wie „Slow Train Coming“ oder „Saved“, die man, wenn überhaupt, nur der Vollständigkeit halber besitzt, denn bitte künstlerisch wertvoll sein sollen. So kann man bei Shelton einen Dylan auf dem Höhepunkt seines künstlerischen und musikalischen Schaffens – von vereinzelten Highlights auf den späteren Alben einmal abgesehen – erleben und bekommt ein Gespür für die kaum zu unterschätzende Bedeutung Dylans für die moderne Popmusik. Thompson und Humphries haben der Ausgabe darüber hinaus eine umfassende und aktuelle Dylan-Chronologie (bis 2010) und eine Diskografie spendiert – jene verzeichnet allerdings nur die Studioalben und die offiziellen Best-Of-Platten sowie wenige Gastauftritte auf den Tonträgern, hier hätte man ruhig etwas ausführlicher sein können.

Dass die erweiterte Neufassung der Biografie auch in deutscher Übersetzung vorliegt, ist umso erfreulicher, als es von der ursprünglichen Fassung nur eine längst vergriffene Übersetzung gab. Erschienen ist sie im Edel Verlag, der bislang eher durch sein sehr wechselhaftes Programm auffiel, aber wenigstens eine einigermaßen gut sortierte Pop- und Rockabteilung hat. Sheltons „Bob Dylan. No direction home. Sein Leben, seine Musik 1941-1978“ ist definitiv das unangefochtene Highlight des Programms.

Titelbild

Robert Shelton: Bob Dylan - No Direction Home. Sein Leben, seine Musik 1941-1978.
Herausgegeben von Elizabeth Thomson und Patrick Humphries.
Übersetzt aus dem Englischen von Gisbert Haefs und Melanie Schirdewahn.
edel Verlag, Hamburg 2011.
687 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783841900654

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