Der Dichterheros im Hausrock

Albert Meiers Einführung „Goethe. Dichtung. Kunst, Natur“ und der von Rolf H. Johannsen herausgegebene Briefwechsel Goethes mit dem Bildhauer Christian Daniel Rauch werfen Schlaglichter auf ein Klassiker-Leben

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dem Kieler Literaturwissenschaftler Albert Meier ist, um es gleich vorweg zu sagen, nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine handliche, gut informierende und bestens informierte Einführung in Johann Wolfgang von Goethes Dichtung gelungen, wie man sie wohl Studenten und interessierten Lesern empfehlen kann. Bietet Meier etwas Neues? Eher nicht. Längst haben sich Legionen von Forschern an dem Olympier abgearbeitet. Die steilen Thesen über sein Leben, wie sie noch der Psychoanalytiker Kurt Rudolf Eissler vertreten hat, sind ebenso verklungen wie die kühne Behauptung von Hans Mayer, dass sich Goethe als in und an seiner Zeit gescheiterter Künstler gesehen habe. Zuletzt hat Karl Otto Conrady Leben und Werk Goethes eine umfangreiche und erschöpfende Darstellung gewidmet.

Mit all dem will Meier nicht konkurrieren. Vielmehr richtet er sein Hauptaugenmerk auf Goethes Dichtungen. Diese werden chronologisch nach den bekannten Lebensstationen geordnet (etwa: „Straßburger Veränderungen“, „Weimarer Doppelleben“, „Italienische Wende“, „Das ästhetische Bündnis mit Schiller“ und so weiter) und unter dem Gesichtspunkt betrachtet, was dabei neuartig war. Hierbei kommt Goethe selbst zu Wort, aber auch seine Zeitgenossen werden gehört. Recht originell ist immerhin, das sei betont, die Entdeckung einer gewissen Doppelbödigkeit so vieler und so lange als vorbildhaft gelesener Werke. So entsteht eine reizvolle und durchaus spannende Lektüre, die sich nicht zuletzt auch der distanzierten Diktion der Darstellung verdankt. Nicht selten tröstet diese den Leser über die Schwierigkeiten hinweg, die sich angesichts von Goethes Textgebirge auftun, dem sich „kaum jemand schon bei der ersten Lektüre gewachsen fühlen“ dürfte. Meiers Literaturliste beinhaltet überwiegend die Forschungsliteratur der letzten 20 Jahre. Hierin spiegelt sich weniger eine Verehrung des Heros als vielmehr ein Erstaunen über den künstlerischen Prozess, so dass Meier durchaus Recht hat, wenn er sein Unternehmen bereits am Anfang mit der Feststellung rechtfertigt: „Ästhetische Erfahrungen gilt es immer von neuem zu machen, weil keine ihren Gegenstand je erschöpft.“

Auf den aktuellen Stand der Editionspraxis gebracht, um etliche Funde bereichert und völlig neu kommentiert hat auch Rolf H. Johannsen den Briefwechsel des Goethe-Kreises mit dem Bildhauer Christian Daniel Rauch, den bereits 1889 Karl Eggers in seine „Urkundliche Mittheilungen“ aufgenommen hat. Persönlich kennengelernt hatte Goethe Rauch (1777-1857), der als Schüler von Johann Gottfried Schadow und als Freund von Karl Friedrich Schinckel und Christian Friedrich Tieck zu den bedeutendsten Bildhauern des Klassizismus zählt, im Jahr 1820. Drei Jahre zuvor hatte Goethe seiner hohen Wertschätzung der Bildhauerei in dem Aufsatz „Verein der deutschen Bildhauer“ dadurch Nachdruck verliehen, dass er sie als „das eigentliche Fundament aller bildenden Kunst“ betrachtete, deren Bestimmung es sei, „die Würde des Menschen innerhalb der menschlichen Gestalt“ darzustellen. Tatsächlich war Goethe in seiner späten Lebensphase mehr denn je darum bemüht, der Nachwelt auch ein gültiges Bild seiner eigenen äußeren Gestalt zu hinterlassen. Um eine Büste, ein Denkmal gar oder um ein Münzrelief geht es denn auch in dem Briefwechsel der beiden, die sich im klassizistischen Kunstideal Johann Joachim Winckelmanns vereint sahen. Für ein Frankfurter Goethe-Denkmal lehnten sie daher die zeitgenössische Kleidung ab. „Wie das Kostume, so würde auch die Statue selbst in wenigen Jahren veralten. – Die antike Bekleidungsweise […] ist ohne Zweifel die Beste. Ein Bild dieser Art kann für alle Zeiten, rückwärts und vorwärts gelten […]“, so Goethe.

Rauchs Entwürfe, die allerdings nicht ausgeführt wurden, entsprechen diesem Ideal. Trotzdem sieht Goethe in Senatorentoga und Ledersandalen, ebenso wie der erste bayerische König Max I. Joseph auf dem von Rauch entworfenen Denkmal vor dem Münchner Nationaltheater, in heute befremdlicher Weise kostümiert aus. Eine Statuette „Goethe im Hausrock“, die den Dichter lebensnah und in typischer Haltung beim Hin- und Hergehen während des Diktierens zeigt, fand indes nicht die volle Zustimmung des Porträtierten. Gleichwohl gestaltete sich die Beziehung zwischen den beiden auch sehr persönlich, beinahe freundschaftlich. Ungewöhnlich einfühlsam tröstet Goethe Rauch bei einem Familiendrama. Als die Ehe von Rauchs Tochter Agnes nach wenigen Monaten geschieden wird, kommentiert Goethe das Ereignis wie einen Sterbefall, es gebe „so grausame Augenblicke in welchen man die Kürze des Lebens für die höchste Wohlthat halten möchte, um eine unerträgliche Quaal nicht übermäßig lange zu empfinden“. Häufig macht Rauch auf seinen Reisen von Berlin in den Süden bei Goethe in Weimar Station. Dabei zeigt sich der Greis immer wieder allem Neuen aufgeschlossen. In seinem letzten Brief vom 20. Februar 1832 deutet nichts auf den bevorstehenden Tod hin – im Gegenteil. Etliche Projekte künden von Goethes Lebensmaxime der „lebendigen Thätigkeit“ und seiner daraus erwachsenden Zuversicht: „Soviel darf man sich sagen: es geschehe viel oder wenig darin, so ist immer etwas heilsames und folgereiches gethan.“

Titelbild

Rolf H. Johannsen (Hg.) / Johann Wolfgang von Goethe / Christian Daniel Rauch: "Mit vieler Kunst und Anmuth". Goethes Briefwechsel mit dem Bildhauer Christian Daniel Rauch.
Wallstein Verlag, Göttingen 2011.
192 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835308497

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Titelbild

Albert Meier: Goethe. Dichtung, Kunst, Natur.
Reclam Verlag, Ditzingen 2011.
345 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783150108062

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