Als habe die wahre Zeit der Literaturkritik eben erst begonnen
Brigitte Schwens-Harrant entwirft ihre Vision kulturjournalistischen Schreibens
Von Anton Thuswaldner
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSie möchte raus aus dem umzäunten Gehege der Fachidioten, sie sucht die breite Öffentlichkeit, wo es sich frei atmen lässt. Sie schreibt darüber, was ihren Alltag ausmacht und verwendet dafür eine Sprache, mit der sie jeden erreichen kann. Sie findet auch, dass das, was ihren Alltag ausmacht, jeden angeht. Sie betreibt Literaturkritik und denkt, dass das ein Genre sei, das den Zustand unserer heutigen Welt abbildet und sich nicht allein im textimmanenten Bereich abspielt. Literaturkritik ist ein Phänomen der Gesellschaft, das von dieser hervorgebracht wird wie die Literatur auch. So wenig, wie die schöne Literatur ausschließlich schön ist, betreibt Literaturkritik ausschließlich Kritik des geschriebenen Worts. Denn hinter jedem Text steht eine Haltung zur Welt, verbirgt sich eine Sicht auf die Dinge, die nur so und nicht anders zur Sprache gebracht werden kann. Jedes Gedicht, jede Erzählung, jedes Theaterstück, jeder Roman, jeder Essay ist ein Unikat. Jede Rezension ist ein Unikat. Sonst sollte man darüber gar nicht erst reden.
Literaturkritik „greift manchmal noch viel weiter aus: in die Tagespolitik oder die Geschichte, in die Nachbarschaft oder in die weite Welt.“ Das schreibt Brigitte Schwens-Harrant, die in der österreichischen Wochenzeitung „Die Furche“ das monatliche Literaturmagazin „Booklet“ betreut. Sie hat sich Gedanken darüber gemacht, was ihr Handwerk ausmacht, unter welchen Bedingungen sie arbeitet und ob dem kritischen Geschäft überhaupt Zukunft gewährt wird. Sie bezieht Stellung und verteidigt die Kritik gegen die Verflachung der Debatte. Literaturkritik bedeutet für sie überhaupt eine Einladung zum Gespräch und eine Schule des Denkens obendrein. So jemand wie Schwens-Harrant will nicht unbedingt das letzte Wort haben, aber sie bietet eine ganz und gar eigene Lesart für einen Text. Sie plädiert für ein Kritikverständnis, das den Zweifel am eigenen Tun kennt. „Zweifel schwächen vielleicht ein bestimmtes Amtsverständnis des Kritikers. Zweifel aber schwächen die Kritik nicht. Es ist eher umgekehrt: Zweifel feuern die Kritik an.“ Das hat nichts mit Unentschiedenheit und Vagheit zu tun. Wer es mit etwas derart Schillernden zu tun bekommt wie der Literatur, wird immer wieder mit sich selbst in Konflikt geraten, sobald er sich auf eindeutige Botschaften festlegen soll. Für Schwens-Harrant kommt es darauf an, den Prozess der Urteilsfindung verstehbar zu machen. Ein Urteil, das auf solch einer Basis steht, scheint ihr glaubwürdiger zu sein als eines, das „von enthusiastischer Umklammerung“ herrührt „oder im Bewusstsein dogmatischer Unfehlbarkeit gefällt wurde“.
Man sieht, die Verfasserin ist von einem hohen ethischen Anspruch an Kritik beflügelt. Das führt unweigerlich zu einer kämpferischen Haltung, weil genau dieser Anspruch heute in Verruf gerät. Tugenden wie Nachdenklichkeit zählen wenig. „Beschleunigung, Zwang zur Aufmerksamkeit, Branding“ heißen die Phänomene, die Kritik zu einem Marktfaktor werden lassen. Kritiker spielen mit und beklagen das alles gleichzeitig. Es ist schwer, marktkritisch zu sein und sich zugleich auf dem Markt behaupten zu müssen. Mit dieser Widersprüchlichkeit haben wir noch nicht richtig umzugehen gelernt.
Das Buch ist ein Rettungsversuch in Sachen Qualität. Es verhält sich trotzig gegen alle Versuche, Literaturkritik Zwängen von außen zu unterwerfen. Es besteht darauf, Literaturkritik als einen kreativen Akt, der des Freiraums bedarf, zu verstehen. Darf also Literaturkritik etwas erfinden? Was heißt hier dürfen? Sie macht es ständig, sonst wäre sie trockene Materie, unfruchtbar wie eine Sandwüste. Ein Kritiker muss sich nur bewusst machen, was er treibt und alles unter einen Hut bringt: „Analysieren und Erfinden, Beschreiben und Beurteilen.“ Manchmal möchte man nach der Lektüre dieses Buches fast glauben, die wahre Zeit der Literaturkritik habe eben erst begonnen.
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