Angeschaute Wesen

Horst Bredekamp erläutert in seiner Frankfurter Adorno-Vorlesung die „Theorie des Bildakts“

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kerker der Liebe

Die „Myriaden von Bildern“, denen sich heutzutage der moderne Mensch ausgesetzt sieht, gemahne an die Warnung vor einer Mediokratie, in der das Wort immer weniger zähle und mit einem Bild mehr gesagt werden könne, als mit tausenden Worten. Aber Bilder können sowohl zu Verbündeten als auch Verrätern politischer Macht werden, weiß nicht nur Horst Bredekamp, und es sei ihnen eben nicht immer zu trauen, dafür müssten sie nicht einmal gefälscht sein, denn es reiche schon, sie in einem gänzlich falschen Kontext zu verwenden. „Nicht enthüllen, wenn dir die Freiheit lieb ist, denn mein Antlitz ist Kerker der Liebe“ habe sich Leonardo da Vinci auf einem Zettel notiert. Die Gefahr, dass das Gesehene das eigene Leben beeinflussen und zum Negativen verändern könnte, ist stets gegeben, dafür muss man nicht an Man Rays verschnürte Werke oder Christos Skulpturen erinnern. Die Potentialität eines Werkes liegt jedoch immer in der Fantasie des Betrachters, ob er sich in Gefangenschaft legen lässt, oder beim Betrachten eines schwarzen Kubus die innere Freiheit entdeckt, gerade darin – im absoluten Nichts – sein „Alles“ zu sehen, also doch ein Weg in die Freiheit?

Ein Sockel für die Kultur

Bredekamp macht sich in seinen Frankfurter Adorno-Vorlesungen denn auch auf die Suche nach einer allgemeinen Definition des Bildes und beginnt damit immerhin in der Eiszeit, mit Fundstücken aus Saone-et-Loire. Denn auch Gegenstände seien nichts anderes als simulierte Bilder, auch wenn es sich nur um eine Blattspitze handele – wie in dem im Buch abgebildeten Fall – sind doch auch Werkzeuge eine Reproduktion eines Bildes, etwa ein Stoßzahn eines Elefanten, der in Form eines Speeres nachgebildet und simuliert – oder substituiert – wird. Das Bild (simulacrum) umfasst nach Bredekamp „jedwede Form der Gestaltung“, also etwa auch ein Wurzelwerk, wenn es „ein Minimum an menschlicher Bearbeitung aufweise“. Da genüge zumeist sogar das Ansetzen eines Sockels, um aus einem bloßen Sandstein ein Stück „Kultur“ zu machen. Aber auch mit der Philosophie beschäftigt sich Bredekamp ausführlich in seiner „Theorie des Bildakts“. Bei Platons Höhlengleichnis würden die Menschen an die Schatten glauben, sie seien ihnen geradezu als „willige Gefangene“ unterworfen, schreibt Bredekamp. Projektionen seien sicherlich der Ursprung der Maler, bestätigt er, und so seien „Bilder und deren Schatten oft kräftiger als Licht der Wahrheit und der Ideen“.

Die Philosophen und das Bild

Martin Heidegger betone wiederum, dass uns in den Wahrnehmungen „die Dinge, ganz wörtlich genommen, auf den Leib rücken“, wie Bredekamp ihn interpretiert. Jacques Lacan schließlich sei völlig bewusst, dass die Fähigkeit des Werks, den Menschen anzublicken, das eigentliche Problem sei, wobei regarde sowohl „ansehen“ als auch „angehen“ bedeuten könne. Überzeugend entfalte Lacan – laut Bredekamp –, dass wir im „Schauspiel der Welt angeschaute Wesen sind“. Die Kunst sei der Filter, durch den die Waffen der Blicke entschärft werden würden. Bredekamp versteht die „Theorie des Bildakts“ aber weder historisch noch begrifflich als ein bildbezogenes Votum im Wettstreit zwischen Sprache und Bild, sondern eher „als einen Beitrag zu deren Stärkung in der Ära der visuellen Herausforderung“. Insofern könnte man vielleicht auch das doppeldeutige Werk von Niki de Saint Phalle (nomen est omen) mit dem Titel „Tu est moi“ (Du bist ich) interpretieren: Das Werk mit dem die Künstlerin auf ihre ganz persönlichen Kindheitserlebnisse anspiele, beinhalte auch ein „Tuez-moi“ (Tötet mich) für diejenigen, die den Kontext kennen und es zu dechiffrieren wissen. Bild ohne Sprache ist also ohnehin sinnfrei, wenn nicht sogar sinnlos, denn ohne Interpreten, ohne Betrachter, ohne Vermittlung schaut auch das schönste Bild ins Leere, das Nichts, die Abyss.

Musterhaft erscheinen, vorbildhaft wirken: das Schema

Eine weitere Terminologie gibt Bredekamp dem Betrachter und Leser seines Werkes zum Bedenken: das Schema. Mit diesem Begriff sei ein formelles Kriterium benannt, das den dargestellten Inhalt in seinem Wert definiere, um so musterhaft auf den Betrachter zu wirken. Das Schema gibt Standards der Bewertung und damit auch der Orientierung und der Nachahmung durch die besondere Form der lebendigen Figur vor. Zu dieser Kategorie würden auch die tableux vivants gehören, die ,lebenden Bilder‘, die Darsteller ein bestimmtes Bild nachahmen ließen, um so zu einem Modell zu werden. So sei etwa die Renaissance körperlich als Schema vorgeführt worden, noch bevor sie künstlerisch zur Norm geworden wäre, so Bredkamp. Menschen, zu Kunstwerken erstarrt, sollten sich als Bilder einprägen und musterhaft erscheinen, um vorbildhaft zu wirken.

Michael Jackson: eine Kreuzung von tableau vivant und Android

Kein Künstler der Welt der Performance habe die Formen des schematischen Bildakts so eine Prägnanz gegeben, wie Michael Jackson, schreibt Bredekamp. Seine „Verwandlung eines Geworfenen in die gefrorene Form des tableau vivant“ habe bei seinem Bukarester Auftritt 1992 geradezu eine Raserei beim Publikum ausgelöst. Jackson habe – so Bredekamp – die Frage, ob er lebe oder das Leben nur simuliere, in eine desto höhere Spannung getrieben, je länger er es aushielt, scheinbar ohne Bewegung und Atmung auf der Bühne zu stehen. Mit seiner „transhumanen Tanzform“ sei er damit nicht nur in die Geschichte der Popmusik, sondern auch in die des Bildakts eingegangen. Bredekamp bedient sich für seine Theorie des Bildakts aber nicht nur der Populärkultur, sondern auch der modernen Kunst, die wiederum vielfach auf antiken Mythen beruht, wie es ihm auch überzeugend am Beispiel der Medusa nachzuvollziehen gelingt.

Das Heil in der Flucht oder die Flucht vor Kritik

Ein lehrreiches, wenn auch reichlich absurdes Ereignis habe die Weltöffentlichkeit am 5. Februar 2003 auf die Macht der Bilder aufmerksam gemacht. Im New Yorker UN-Gebäude wurde der Wandteppich von Pablo Picassos „Guernica“ vor einer Pressekonferenz mit Colin Powell, in der er den Krieg gegen Saddam ankündigte, verhängt, um eine Fehlinterpretation seiner Worte zu verhindern. Damit seien die oben von Leonardo da Vinci zitierten Worte eindrucksvoll bestätigt worden, meint Bredekamp. Selbst Lacan habe Gustave Courbets „L`origine du monde“ verhüllt und sei damit wohl ebenso dem Zauber der Medusa erlegen, wie andere, die an ihre übersinnliche Macht glauben. „Die Formkraft des Künstlers erfüllt das Werk mit einem solchen Leben, dass der Mensch im Gegenzug versteinert: Auch diese Formel betont die medusenhafte Wurzel des intrinsischen Bildaktes, der durch die vom Werk ausgehenden Bilder erzeugt wird.“

Damit spannt Bredekamp einen abwechslungsreichen Bilderbogen von der ersten Abbildung einer Blattspitze bis hin zu Jackson Pollocks chinesischen Rauschbildern, die nicht nur Kunsttheoretiker in Anmut versinken lässt. Es bleibt die „Flucht vor Kritik“, ein Bild von Pere Borell del Caso aus dem 19. Jahrhundert, das nicht ganz ohne Humor, den Subjektzustand eines Kunstwerks thematisiert, indem es den Dargestellten aus seinem Rahmen steigen lässt und er so sein Heil in der Flucht sucht.

Kein Bild

Horst Bredekamp: Theorie des Bildakts. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
463 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783518585160

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