Ernste Geschichten vom Lachen

„Angst ist ein gutes Mittel gegen Verstopfung“: Rainer Stollmanns kulturgeschichtliche Essays erkunden Komik-Praktiken vom Affenkitzeln bis ‚Katzenklo‘

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Lachen macht Spaß. Es kann aber auch schmerzhaft sein. Lachen ist scheinbar ganz einfach – und doch schwer zu verstehen. Umso mehr man über seine Ursachen und Abläufe, über seine biologische Funktionalität, seine sprachlichen, emotionalen und sozialen Rahmenbedingungen nachdenkt, umso rätselhafter mag einem diese körperlich-psychische Ausdrucksbewegung erscheinen. Es verwundert daher nicht, dass sich die verschiedensten Disziplinen mit dem Verstehen des Lachens abmühen. Es gibt philosophisch-anthropologische Theorien des Lachens (Helmut Plessner), sozialphilosophische Deutungen (von Thomas Hobbes über Henri Bergson, Joachim Ritter, Odo Marquard bis zum Empiriker Robert R. Provine), gendertheoretische Studien (etwa von Helga Kotthoff), psychoanalytische Ansätze (von Sigmund Freud und Theodor Reik bis zu Alenka Zupancic) zudem eine darauf aufbauende, medienbezogene Komikforschung in den Literatur- und Filmwissenschaften.

Eine an Norbert Elias angelehnte Zivilisierungsgeschichte des Lachens hat Eckhart Schörle 2007 unter dem Titel „Die Verhöflichung des Lachens“ vorgelegt. Was es bisher zumindest in Buchform noch nicht gab, ist eine an der (alten) Frankfurter Schule, an Theodor W. Adornos und Max Horkheimers „Dialektik der Aufklärung“ und ihrer Kritik der Kulturindustrie orientierte Geschichte des Lachens. Während die neue Frankfurter Schule der „Pardon“- und „Titanic“-Autoren nicht nur umfassende Komik (von Satire bis Nonsens) produzierte und zudem Komik kritisierte und theoretisierte, beließ es die akademische, alte Frankfurter Schule weitgehend bei einer Ideologiekritik am Lachen, das vielleicht vor langer Zeit lustig und emanzipatorisch gewesen sein mochte, doch seit der bürgerlichen Kastration und a fortiori seit dem Zivilisationsbruch von Auschwitz nurmehr mit der ideologiekritischen Feuerzange zu traktieren sei.

Nun hat Stollmann eine Aufsatzsammlung mit Studien zu Ursprung und Formen des Lachens vorgelegt, die unverkennbar geprägt ist von geschichtsphilosophischen und kultursoziologischen Theoremen Adornos; freilich auch von jener Begeisterung für Anekdoten und Geschichten, die Alexander Kluges Theoretisieren und Erzählen auszeichnet, über das Stollmann gearbeitet hat. Das anregende, in vielem auch fragwürdige Buch von Stollmann bietet vier verschiedene Zugriffsweisen auf das vielgestaltige Phänomen des Lachens. Seine ersten beiden Abschnitte versuchen eine entwicklungsbiologische Herleitung des Lachens aus dem Kitzeln als freundliche Abwehrmaßnahme der (Primaten-)Mütter beim Abstillen. Der dritte Abschnitt skizziert eine Sozialgeschichte sich wandelnder Lachkulturen von Nomaden über Bauern zu Stadtbewohnern. Der vierte Abschnitt besteht aus einer neunseitigen Zitate-Sammlung, die Theorieschnipsel über Lachen und Humor von Homer bis zu Konrad Lorenz, Paul Virilio und Gilles Deleuze auflistet; ebenso service-orientiert ist der sechste Abschnitt, der ‚häufig gestellte Fragen‘ knapp beantwortet. Hier finden sich meist einleuchtende Erklärungen, inwiefern Tiere lachen können, ob lachen gesund sei oder ob man sich totlachen könne, ob die Deutschen humorlos seien und warum die Schotten als geizig gelten, warum Männer anders als Frauen lachen und wie lachen ansteckend sein kann. Den hundertseitigen Hauptteil bilden Essays zu einzelnen Komik-Phänomenen, die von Mona Lisas Lächeln und Immanuel Kants drei Witzen im §54 der „Kritik der Urteilskraft“ bis hin zu Helge Scheider, Otto Waalkes und Stefan Raabs „Maschendrahtzaun“ reichen. Diese Werke und ihre jeweilige Komik werden als Symptome einer sozialgeschichtlich geerdeten Ideologiegeschichte erklärt.

Die Schwierigkeiten, die man mit Stollmanns – im Einzelnen immer anregenden und bedenkenswerten – Lachstudien haben kann, indizieren Titel wie Untertitel seines Buchs. Das Zitat des Titels „Angst ist ein gute Mittel gegen Verstopfung“ weist darauf hin, dass für Stollmann das Lachen als Gegenpol der Angst regelmäßig aus einer bewältigten oder überwundenen Angst und der dadurch entstehenden psychischen Erleichterung entsteht. Diese Verknüpfung von Lachen und (besiegter) Angst verortet die Lachtheorie im Zusammenhang der Emotionen. Das ist gut und wichtig. Allerdings scheint fraglich, ob die polymorphe Ausdrucksbewegung des Lachens wirklich immer und einzig einen solchen repulsiven Bezug zur Angst haben muss. Gibt es nicht vielmehr auch Bezüge des Lachens zu Emotionen wie Stolz (wie sie die alte Überlegenheitstheorie des Lachens seit Hobbes implizit postulierte), zu Freude und Heiterkeit sowie komplexe Bezüge zu Ekel, Scham, Begehren und anderen Trieben und Emotionen mehr? Der Untertitel lautet „Aus der Geschichte des Lachens“, was den Rezensenten zur Nachfrage provoziert: Gibt es wirklich die (eine) Geschichte des (einen) Lachens? Oder handelt es sich nicht eher um einen ziemlich unübersichtlichen Ereignissturm, in dem in geschichtlichen Konstellationen anthropologische Potentiale des Lachen-Könnens in verschiedensten Spielarten und Funktionen ausgeprägt wurden?

Tatsächlich erzählt Stollmann ja auch eher Geschichten. Der Kollektivsingular Geschichte ist nach dem mit guten Gründen vollzogenen Abschied von der Geschichtsphilosophie kaum mehr plausibel zu machen – und um wie viel schwerer muss dann die Bestimmung eines Phänomens wie dem Lachen sein, das sich in seiner oft sinn-abstinenten oder subversiven Ereignishaftigkeit schwer oder gar nicht in eine große Geschichtserzählung einfügen mag. Der Bremer Kulturwissenschaftler argumentiert, ähnlich wie Kluge, in Bildern, Märchen, Mythen und Geschichten. Dieses analogisch-anekdotische, biologisch-historische Erzähldenken überzeugt nur manchmal. Besonders deutlich begegnet dieser fabulierende Zug in seinem zentralen Abschnitt über ‚Lachkulturen: Nomaden-Bauern-Städter‘. Stollmann setzt hier die Groteske als spezifisch bäuerliche, naturverbundene Form des Lachens gegen den vergeistigten Witz des Städters, der aus der Vernunftkultur entstehe und dem Bauern nicht verständlich sei. In der bürgerlichen Kultur sei das Groteske mit seiner Angstlust-Mischung folglich meist abgewertet. Angeblich marginalisiere die bürgerliche Hochkultur auch andere Genres, die auf Angstlust als genuin groteske Emotionsmischung spezialisiert seien (etwa Krimi, Thriller, Horrorfilm oder Comic). Die durch monotone Arbeitsverhältnisse bedingte Apathie der Moderne produziere kulturindustriell den ‚Thrill als Gefühlsersatz‘, akzeptiere ihn aber nicht als Teil der Hochkultur. Parallel zur Austreibung des Grotesken zivilisierten und bändigten Humor-Theorien seit dem 18. Jahrhundert das Lachen. Sie erklärten es für gesund und geistreich; reduzierten es aber zugleich vom ‚fetten‘ zum milden, weisen Lachen, das eher ein Lächeln sei.

So fraglich die historische Wahrheit dieser geschichtsphilosophischen Spekulationen sein mag (kannten die Bauern seit dem Mittelalter wirklich keine Witze?), so trefflich und so intellektuell verlockend klingen doch viele von Stollmanns Formulierungen. Gerne liest man etwa: „Komik ist die Groteske im Korsett, in der Höflichkeitsform. Wenn Bauern im Karneval mit Pferdemist werfen, ist das grotesk, nehmen die Venezianer stattdessen Parfümkügelchen, so ist das komisch. Komik ist Groteske, die Anstand und Sitten nicht verletzt“.

Ironie und naiver Witz gelten dem Kulturwissenschaftler jeweils nur als ‚halber Witz‘: die Ironie, weil sie den Widerspruch nur andeute, der naive Witz, weil ihm das Bewusstsein fehle. Geschichtlich lasse sich der Witz als die originäre Lachform der Aufklärung begreifen, als die Verdichtung oder Verkürzung von Schwänken und als Einführung überraschender Pointen, während die Widersprüche zuvor in den Grotesken frei mäanderten. Der Witz sei Produkt des Verstandes, und mithin der Stadt, die Groteske hingegen war das Produkt der Erfahrung (des Bauern). Dieser Prozess der Zivilisation beschneide das Reich des Lachens.

Verstand und Moderne verkürzen das Lachen vom ‚Kitzeln, wo immer es möglich ist‘ (wie es die alte Groteske treibe) zum vorsichtigen Kitzeln der Komik, zum berührungsfreien Kitzeln des Humors und zum fraglichen Kitzeln der Ironie. Denn den Ursprung des Lachens verortet Stollmann (mit einigen Anthropologen und Primatenforschern) in der ambivalenten Kompromiss-Geste des Kitzelns. Schon die Affen-Mütter kitzelten ihre Kinder beim Abstillen und signalisierten durch die lustvoll-schmerzlichen Kitzelkontakte ihren Kleinen: ich liebe dich und bin dir nah – aber lass mich jetzt mal in Ruhe. Kitzeln sei also eine Handlung zwischen streicheln und schlagen, zwischen binden und wegstoßen, zwischen Liebe und Aggression. Das Lachen des Kindes beim Kitzeln wiederum antworte auf seine Angst der Entwöhnung und auf die (halbe) Entfernung, die im Kitzeln liege. Alles spätere Lachen versucht der Geschichtsphilosoph als (verschobenen) Rest dieser Millionen Jahre alten Ursprungsszene des Lachens im ambivalenten Kitzeln zu deuten.

So sieht Stollmann in der TV-Unterhaltung die Industrialisierung des Kuschelns. Statt Kitzeln präsentiere das Fernsehprogramm Surrogate, die aber gleichwohl abhängig machen sollen, da Lachen ein anthropologisches Grundbedürfnis sei. Stollmanns problematische Kulturkritik-Volten statuieren: „Was am Menschen nicht Ware werden kann, bleibt ausgeschlossen, das ist der fundamentale Unernst, der die Bewusstseinsindustrie von den authentischen Formen der Lachkultur unterscheidet.“ Der kritische Theoretiker unterscheidet ernste und unernste Ängste, ernste und unernste Komik, Witze, Naivität. Diese Spaltung in eine ernste und eine unernste Lachkultur habe schon in der Antike begonnen durch die Aufspaltung des Karnevals in Tragödie und Komödie; auch sie sei erfolgt im Zusammenhang des mit Aufklärung verquickten Herrschaftsprozesses.

Für Stollmann ist das Unterhaltungs-TV nur soziologisch erklärbar, es sei eigentlich nicht kritisierbar. Gegen diese Altfrankfurter Ideologiekritik-Keulen sei hier an Robert Gernhardts form- und handwerksbezogene Komikkritik erinnert. In seinen in Buchform unter dem Titel „Was gibt’s denn da zu lachen? Kritik der Komiker, Kritik der Kritiker, Kritik der Komik“ versammelten Reflexionen über Hoch- und Medienkomik wie über Komiktheorien argumentierte Gernhardt aus großer Kenntnis der sprachlichen und bildlichen Komikherstellung und kommt dabei weitgehend ohne den großen Ideologie- und Kultur-Kritik-Hammer aus. Auch wenn einen das theoretische Ideologiekritik-Gerüst und das Geschichtsnarrativ Stollmanns nicht überzeugt, kann der Leser doch viele seiner Beobachtungen an Kunst- und Komikwerken für gelungen oder anregend halten. Denn wie bei Adorno mögen der große Rahmen und das Lamento falsch sein, das Gespür für Werke und für Pointen hingegen durchaus intakt.

Kühn und anregend ist etwa Stollmanns historisch-materialistisch oder auch gendertheoretisch inspirierte Explikation, welche zum tausendsten Mal versucht, das Lächeln von Leonardo da Vincis Mona Lisa zu erklären – nun als Rücknahme moderner Ausdifferenzierungen und ihrer Mühen: „Mona Lisas Schönheit liegt darin, alle alten, mittelalterlichen, gesellschaftlich-funktional definierten Schönheitsbegriffe zu sprengen. Das Bild stellt an jeden Betrachter die Frage: Wäre es nicht schön, wenn der uomo partiale sich auflöste? Und merkst du nicht, dass das mit dir passiert, während du mich betrachtest?“ Ebenfalls als Reflex auf einen historischen Übergangsprozess erläutert Stollmann den für ihn zentralen Till Eulenspiegel: „Der bodenlose Bauer auf der Suche nach dem verschwundenen Gemeinwesen, das ist das poetische Prinzip des deutschen Nationalepos. Der bodenlose Bauer ist der unlösbare neue Widerspruch, der Zwang, aus dem das Lachen seine Kraft gewinnt.“

Seine raffinierte Deutung des in vielen Editionen zensierten Koprophagie-Streichs, den Till Eulenspiegel am polnischen Hof vollzieht, deutet dieses unappetitliche Mahl als historische Allegorie. Stollmann erkennt die politischen Konflikte und Konstellationen zwischen Bauern und Bürgertum in Tills ‚bäuerlicher‘ Herausforderung an den amtierenden ‚bürgerlichen‘ Hofnarr, jeweils die Hälfte der Haufen vom eigenen und vom Konkurrentenkot gemeinsam zu verspeisen. Diese Teilung des Mahls verweigere das neue Bürgertum dem Bauernstand.

Marginalisiert in eine Fußnote am Rande seiner Deutung von Kants Lieblingswitzen, kritisiert Stollmann Freud en passant. Dessen Lach- und Witztheorie führe bei der Erklärung der tendenziösen Witze nur Obszönität und Aggression als Triebmotive an; Freud unterschlage mithin den Tod und die vielen Witze, die als unbewusste Tendenz eine Auseinandersetzung mit der Todesangst betreiben. Besser machen dies für Stollmann Hašeks Schwejk-Erzählungen. Hašeks Roman wird gedeutet als der heikle Versuch, das Trauma und die Narben des Ersten Weltkriegs in Lachen aufzulösen. Allerdings könne man eine Wunde nicht kitzeln – und dies führe zu dem langen Text, der die Front und das Schlachtfeld, wo die Traumata entstanden, nicht erzählt, sondern den traumatisierenden Zonen nur nahekommt, sie andeutet um umgehend abzuschweifen. Der Protagonist Schwejk sei als hündischer Kyniker eine vollkommen angstfreie Figur, die zugleich naiv und abgeklärt zynisch mit dem Schlimmsten rechne. Die zeitnah wie kaum eine andere Weltkriegsverarbeitung im Wirtshaus geschriebenen Schwejk-Narrationen wurden zum Nationalepos der Tschechen und ließen diese komische Figur zu einer der populärsten, in Alltag und vielen Kunstwerken fortlebenden Schöpfungen des 20. Jahrhunderts werden.

Karl Valentins Schreibtisch-Sketch mit der Tücke des Objekts wird von Stollmann auf seinen philosophischen Gehalt (den unaufhebbarer Widerspruch zwischen Objektivität und Subjektivität) abgeklopft. Das spezifisch deutsche Lachen über die Untoten im pseudo-britischen Sketch „Dinner for One“ wird, wie Heinz Erhardts Komik aus Sprachspielerei und kindischer Vaterfigur, mit der Bewusstseinslage des Nachkriegs- und Wirtschaftswunder Deutschlands abgeglichen. „Weglachen der deutschen Bestrafungsangst“ lautet Stollmanns Formel für den geschichtlichen Ort von Erhardts Komik. Bedenkenswert sind Stollmanns Überlegungen über Vater- und Sohn-Typen unter den Komikern allemal. Er stellt diese Komiktypen in den Kontext von gesellschaftlichen Leitbildern, die entweder – wie im Fall des deutschen Faschismus oder dann der 1968er-Jahre – von jungen Menschen dominiert waren, oder eben von Vaterfiguren wie in den Nachkriegszeiten nach den beiden Weltkriegen. „Otto ist der komische Begleiter der Protestbewegung und wie sie antiautoritär. […] Die Vater-Kind-Imago Heinz Erhardts wurde abgelöst durch den eindeutigsten Sohn-Clown, den man sich vorstellen kann – er ist heute als Sechzigjähriger immer noch zwanzig und öffentlicher Sohn. Diese unerschütterliche Sohn-Imago verbindet Otto mit Eulenspiegel“.

Wie dialektisch Stollmann in der Adorno-Nachfolge zu denken versteht, zeigt seine Deutung der absurden, subversiven Komik seines lebenden Lieblingskomikers, der sich gegen die vermeintlich alles nivellierende Fernsehunterhaltung ebenda zur Wehr setze. „Die konsequente Pointenfeindschaft Helge Schneiders (wie auch die der Dadaisten, Hašeks oder Karl Valentins) ist gerichtet gegen die Instrumentalisierung des Lachens durch den Verstand. Der Witz bindet fester als alle anderen geistigen Kitzelformen das Lachen an einen Gedanken oder an die Sprache, und beide muss man ‚verstehen‘.“

Diese Verstandesleistung und dieses Verstehen sind Stollmann suspekt. Noch der geschichtsphilosophische Ort von Helge Schneiders „Katzenklo“ wird von ihm, wie immer exakt, bestimmt: „Das Lachen, das von hier ausgeht, erschüttert das Fließband-Entertainment, die Pointenmaschine, die Lachkultur als Stresskultur. Es ist daher auch die Zeit der späten achtziger und neunziger Jahre, der erfahrungslose Unterhaltungsmisthaufen der Kohl-Ära, auf dem eine Blume wie Schneider sprießen kann. Die Unterhaltungsindustrie hat einen Zustand erreicht, in dem die unterhaltende, fröhliche Form einer Erfahrung unverständlich, ‚kitzlig‘ erscheint. Mitten auf der Arena des Entertainments erscheint eine Erfahrung: Huch! Was ist das denn? Wie kommt die denn hierher? Und das Publikum, das über Katzenklo (und den Rest der Schneiderschen Produktion) lacht, sprengt die Abhängigkeit von erfahrungsloser Unterhaltung.“

Man kann Schneiders Interventionen und viele andere Formate der populären Kultur und der Lachkulturen gewiss mögen, ohne einen solchen exklusiven Erfahrungsbegriff in Anspruch nehmen zu müssen. Trotz sich einstellender Skepsis angesichts des geschichtsphilosophischen Rahmens und seiner ideologiekritischen Gesten sind Stollmanns Essays einfallsreiche, gewitzte Erkundungen im Reich komischer Kunstwerke und folglich lesenswert. Auch seine anthropologische und emotionale Deutung des Lachens als Freude über bewältigte Angst liefert einen guten Hinweis auf spezifische Abläufe und mögliche Funktionen des Lachens.

Wiederum gerahmt mit Denunziationen der Sparsamkeits- und Rationalitätstendenz des Bürgertums, die den kurzen, pointierten Witz kennzeichnen sollen, sieht Stollmann das Lachen auch als Ausdruck einer Gefühlsvermeidung, einer Angst vor Gefühlen: „Der Humor ist umso saftiger, je mehr ich an Gefühlen (Mitleid, Ärger, Schmerz, Rührung usw.) vermeiden und stattdessen ins Lachen ausbrechen kann, Humor setzt Angst vor Gefühlen in Lachen um.“

Immerhin lautet der Untertitel dieses in nüchtern-elegantem Schwarz-Weiß gestalteten Buches: „Aus der Geschichte des Lachens“. Die geht weiter. Da gibt es zum Glück überall und ständig neue Episoden. Die Geschichte des Lachens lässt sich mithin kaum fassen, nie schreiben. Dafür bedürfte es eines übermenschlichen oder nachmenschlichen Standpunkts.

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Rainer Stollmann: Angst ist ein gutes Mittel gegen Verstopfung. Aus der Geschichte des Lachens.
Verlag Vorwerk 8, Berlin 2010.
222 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783940384300

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