Nicht eben märchenhaft

Okka Gundels Buch zur Fußballweltmeisterschaft „11 Freundinnen müsst ihr sein“ setzt auf „Geschichten unter den Trikots“

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Pünktlich zur Frauenfußballweltmeisterschaft ist nun ein erstes Buch zu dem sportlichen Großereignis des Jahres erschienen. „11 Freundinnen müsst ihr sein“, lautet sein ebenso idealistischer wie angestaubter Titel, dessen mangelnde Originalität die „11 Freundinnen“-Beilage des Fußball-Magazins „11 Freunde“ zwar zurecht beklagt, weniger begründet ist aber die insinuierte Unterstellung, Okka Gundel, die Autorin des Buches, habe ihn bei dem Magazin abgekupfert. Schließlich wird er in maskuliner Form doch seit einem halben Jahrhundert Sepp Herberger zugeschrieben.

Frauenfußball, meint Gundel, erinnere an den „attraktiven Männerfußball in den 1970er und 1980er Jahren“, als die Herren Multimillionäre noch „schöne Spielzüge“ zustande brachten. Und da ist wirklich etwas dran, obwohl etliche Bundesliga- und Nationalspielerinnen auch nach zweimaliger Weltmeisterschaft neben dem Training die Schule besuchen, eine Ausbildung absolvieren oder einer Arbeit nachgehen, wie die Autorin und Sportreporterin ebenfalls konstatiert. Dass nicht wenige der Spielerinnen studieren, hat sie vergessen zu erwähnen. Dabei ist es doch gerade bezeichnend, dass die Fußballerinnen anders als etliche ihrer männlichen Kollegen nicht nur über Spielintelligenz verfügen.

Konstatiert Gundel zurecht, dass Frauen heute den schöneren Fußball spielen, so machen sich im Frauenfußball doch auch zugleich einige von den kickenden Männern gepflegte Unarten breit, von denen das zunehmende Spucken auf den Rasen noch die harmloseste ist. Unerfreulicher sind hingegen solche Unsportlichkeiten, wie das Fordern Gelber Karten für Gegenspielerinnen, das etwa die Brasilianerin Cristiane im letzten WM-Endspiel gegen Deutschland erfolgreich praktiziert hat. Weniger erfolgreich verlief hingegen, wie man weiß, das Spiel für das brasilianische Team. Zu beklagen sind inzwischen zudem die dumpfaggressiven Anfeindungen einiger AnhängerInnen eines bestimmten Vereins gegenüber den Fans der Konkurrenz.

Besteht eine Gefahr für den Frauenfußball darin, sich die Übel des Männerfußballs anzueignen, so kommt eine zweite von ganz anderer Seite. Sie liegt in der zunehmenden Erotisierung des Sports. Zwar lässt sich – wenigstens hierzulande – noch nicht von einem Kournikova-Effekt reden, doch wird von medialer Seite auch im Frauenfußball schon mal mehr Wert auf die ‚Sexyness‘ einer Spielerin gelegt als auf ihr fußballerisches Vermögen. So durfte Filiz Heilmann-Koc, die zwar mit ihrem Verein TSV Havelse nur in der dritten Liga spielt, dafür aber ein „Modeltalent“ hat, wie das „frauenfußball magazin“ jüngst formulierte, Anfang des WM-Jahres nicht nur regelmäßig im Privatsender „Pro 7“ auftreten, sondern wurde auch in die Sendung des für seine perfiden Zoten auf Kosten der weiblichen Gäste berüchtigten Stefan Raab eingeladen.

Auch ist der Wunsch, Eiskunstläuferinnen, Boxerinnen und eben auch Fußballerinnen nackt abzulichten, keineswegs neu. Bereits nach dem Gewinn der letzten Weltmeisterschaft trat der „Playboy“ mit entsprechenden Avancen an die Spielerinnen der Nationalelf heran. Die aber lehnten, anders als manche bekannte Akteurin anderer Sportarten, ab.

Wurde das damals vom DFB noch begrüßt, so hat sich der Wind inzwischen gedreht. Wie in der WM-Ausgabe zur Frauenfußballweltmeisterschaft der vom „Deutschen Frauenrat“ herausgegebenen „informationen für die frau“ nachzulesen ist, hätte etwa die ehemalige Nationalspielerin und heutige Managerin der Frauennationalelf Doris Fitschen durchaus nichts dagegen, wenn sich die Frauen der Nationalelf für sogenannte Herrenmagazine ausziehen würden. Die Spielerinnen selbst weisen solche Ansinnen erfreulicherweise aber nach wie vor weit von sich. So hat die Nationalspielerin Simone Laudehr ein entsprechendes Angebot des „Playboy“ vehement zurückgewiesen, wie bei Gundel zu erfahren ist.

Fußballerinnen anderer Länder sind allerdings nicht immer ähnlich darauf bedacht, ihre Integrität zu wahren. So konterkarierte die brasilianische Nationalspielerin Laísa Andreoli bereits vorab einen Artikel der „Elf Freundinnen“, der behauptet, das brasilianische Frauenteam bekämpfe den Machismo des Landes. Andreoli zumindest bediente ihn, indem sie sich für das brasilianische Magazin „Sexy“ dabei ablichten ließ, wie sie sich mit einladend gespreizten Beinen lasziv ihre letzten Schamhaare weg zupft. Die Frühjahrsausgabe 2011 der Zeitschrift „Emma“ berichtete über diesen nicht eben kleiner Schritt in Richtung Pornografisierung des Frauenfußballs, neben dem sich selbst Forderungen, die Trikots zu tauschen, verhältnismäßig harmlos ausnehmen, die Männer nach dem Abpfiff vor einiger Zeit herauszugrölen pflegten.

Gundel scheint die Gefahr der Pornografisierung allerdings nicht zu fürchten, meint sie doch mit der Bemerkung für den Frauenfußball werben zu müssen, dass er früher zwar „zu Recht“ mit „verkappten Mannsweiber[n]“ assoziiert worden sei – sie scheut sich tatsächlich nicht diesen Topos zu verwenden –, doch sei im Frauenfußball von heute „Attraktivität auf dem Platz wichtig“. So würden auch die Trikots „immer körperbetonter“. Da lässt sich nur hoffen, dass sie nicht ähnlich ‚körperbetont‘ werden, wie die des Beach-Volleyball-Spielerinnen, die den Sport zur Voyeuristen-Show herabsinken ließen. Ein Sinkflug, den die Herren Funktionäre über die Kleidungsvorschriften erzwangen.

Wirbt Gundel mit den körperbetonten Trikots für den Frauenfußball, so für ihr eigenes Buch mit dem anzüglichen Versprechen, „Geschichten unter den Trikots“ auszupacken, was sie dann auch tatsächlich nicht immer unterlassen kann. Außerdem bewegt sie sich auch gerne mal auf dem niedrigen Niveau der Home Story, wobei sie sich auch vor rückwärtsgewandtem Kitsch nicht scheut und meint, dass ein Jahr, indem ein Pokalfinale verloren wurde, für eine Spielerin, „doch noch ein Happy End“ habe, wenn sie heirate.

Im Zentrum des Buches stehen Porträts von zwölf dem Fußball verbundenen Frauen, die unter dem – für den Blick des Buches auf die Frauen bezeichnenden – Titel „Ladylike“ vorgestellt werden. Neben sieben aktuellen Nationalspielerinnen sind dies drei ehemalige, von denen zwei heute als Trainerinnen tätig sind, beziehungsweise bis vor wenigen Monaten waren, und die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus. Letztere aufzunehmen, war eine gute Wahl. Die Auswahlkriterien für die aktuellen Nationalspielerinnen bleiben hingegen unklar. Vermutlich sind einfach diejenigen vertreten, die der Autorin ein Interview gewährten, wie etwa die bereits erwähnten Laudehr oder ihre Vereinskollegin Inka Grings. Auch Kim Kulig, Alex Popp und Lira Bajramaj zählen dazu. Sollte Gundel manche Äußerung Bajramajs nicht frei erfunden haben – wovon kaum auszugehen ist –, scheint die in der nächsten Saison für den 1. FFC Frankfurt spielende Noch-Potsdamerin recht unbedacht dahergeredet zu haben. Nun hat die Top-Spielerin in Interviews schon so manche Torheit zum besten gegeben. Das Erfrischende daran war stets, dass man sich nie ganz sicher fühlen konnte, ob sie sich nicht vielleicht gerade ein Späßchen erlaubt und insgeheim ins Fäustchen lacht. Auf derlei Ungewissheiten wird man künftig verzichten müssen. Dafür ist aber eine andere an deren Stelle getreten: Hat sie wirklich gesagt, was in ihren Interviews zu lesen ist? Denn inzwischen bestimmt ihr Management darüber, indem es vor der Veröffentlichung wild in ihren Antworten herumredigiert, ganz nach belieben streicht, was ihnen nicht zum angestrebten Image ihres Goldeselchens zu passen scheint, und dafür allerlei einfügt, was Bajramaj nie gesagt hat, wie die Sonntagsbeilage der Berliner „Tageszeitung“ im Frühjahr dieses Jahres erfahren musste.

Ein ganz anderer Typ als Bajramaj ist Torfrau Nadine Angerer, der während der letzten WM das einmalige Kunststück gelang, nicht ein einziges Tor zu kassieren und die sich ihren „Freundeskreis in der alternativen Szene“ zusammensucht. Noch größer ist der Unterschied zu einer weiteren Frankfurter Nationalspielerin: Birgit Prinz, nach deren Interview sich Gundel eingestehen muss, es „nicht geschafft“ zu haben, ihr „ein entscheidendes Stück näherzukommen“. Nach der Lektüre ihrer zwölf Porträts kann das allerdings nicht wirklich überraschen.

Nicht vertreten ist Anja Mittag, von der DFB-Präsident Theo Zwanziger im Vorwort bekennt, es handele sich um seine „ganz persönliche Lieblingsspielerin“. Daran, dass Mittag sich nicht gerne befragen lässt, kann ihre Absenz nicht liegen, erklärte sie doch erst Anfang März in einem Interview für DFB-TV, warum sie die Autos eines Sponsors der Nationalelf so mag: Sie bieten „so typische Dinge, die ‘ne Frau braucht: Navi, Sitzheizung, Parkhilfe“. Wie man erfahren muss, sind also selbst erfolgreiche Fußballerinnen nicht davor gefeit, misogyne Klischees à la Ehepaar Pease zum Besten zu geben.

Neben den Porträts der Fußball-Frauen hat das vorliegende Buch noch einiges mehr zu bieten, wie etwa „Anekdoten aus der ‚guten alten Zeit‘“ und ein Kapitel über die „einmalige Erfolgsgeschichte“ des deutschen Frauenfußballs. Dabei gewährt Gundel einen kleinen Einblick in seine „zarte[n] Anfänge“, die die Autorin allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg ansetzt. Dass Lotte Specht bereits 1930 den „1. Damen-Fußball-Club Frankfurt“ gründete, scheint ihr unbekannt zu sein. Die Pionierin des deutschen Frauenfußballs schmückte damals sogar das Titelblatt des in ihrer Heimatstadt erscheinenden „illustrierten Blatts“. Zu dieser historischen Schwäche Gundels passt, dass sie meint, in den 1950er-Jahren seien Gleichberechtigung und Emanzipation „noch Fremdwörter“ gewesen. Tatsächlich waren sie durch den Nationalsozialismus allenfalls wieder zu Fremdworten geworden. Schließlich gab es um 1900 eine virulente Frauenbewegung, die dazu führte, dass sich in den 1920er-Jahren der durchaus emanzipierte Typus der „Neuen Frau“ entwickelte. Sowohl ihnen wie auch schon den Frauenrechtlerinnen des Fin de Siecle waren beide Begriffe wohlbekannt.

Ein besonderes Faible scheint die Autorin für den Trainer der Potsdamerinnen zu haben, der ihr zufolge seine Spielerinnen schon mal derart „zusammenstaucht, dass diese sich unter Tränen in die Kabine verkrümeln“. Gundel findet das ganz in Ordnung. Auch, dass er herrisch behauptet, bestimmte Spielerinnen „brauchen das“. Nein, kein Mensch braucht das. Aber Gundel meint: „Der Erfolg in Potsdam gibt ihm recht.“ Mit anderen Worten: Der Zweck heiligt die Mittel – zumindest im Frauenfußball.

All das spricht nicht sehr für Kauf und Lektüre des Buches. Hinzu treten einige sprachliche Fahr- und Nachlässigkeiten. Dass es auch in diesem Buch die notorischen „Frauenmannschaften“ gibt, kann einen zwar zur Verzweiflung treiben, aber nicht verwundern, führen doch selbst die Nationalspielerinnen dieses Unwort ständig im Mund. Doch selbst offen sexistisches Vokabular fand seinen Weg in das Buch, wie der „Zickenkrieg“ und der „Zickenalarm“, außerdem die „Mannsweiber“. Ein Begriff den sich die Autorin nicht nur zu eigen macht, was schon schlimm genug wäre, sie meint sogar noch, es habe schon „ein kleines Fünkchen Wahrheit“ in der Beschimpfung einer 19-jährigen Spielerin als „Mannweib“ gelegen, denn sie sei tatsächlich „ein bisschen stämmig“ gewesen, „auch wenn sie sich selbst nie so fühlte“. Aber, so freut sich Gundel, inzwischen hat die Spielerin abgenommen. Die Botschaft für die Zielgruppe fußball-interessierter Mädchen und junger Frauen ist fatal.

Wenn auch nicht misogyn, so doch nicht weniger unsäglich als das Wort vom „Zickenkrieg“ ist die abgedroschene und dabei selten passende Wendung „aller Zeiten“, auf die auch Gundel nicht verzichten mag. Besonders komisch ist es aber, vom „ersten Champions-League-Sieger aller Zeiten“ zu reden.

Titelbild

Okka Gundel: 11 Freundinnen müsst ihr sein. Warum Frauenfußball begeistert.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2011.
203 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783426784495

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