Zeitreise in die Kindheit

A. F. Th. van der Heijdens eindrucksvoller Entwicklungsroman "Das Gefahrendreieck"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist das für ein Schriftsteller, dieser Adrianus Franciscus Theodorus van der Heijden, der seit 17 Jahren an seinem wild wuchernden Romanzyklus "Die zahnlose Zeit" arbeitet?

Er muss ein Besessener sein, ein Nimmermüder und Getriebener, ein Perfektionist, dessen Schreiblust und Schreibwut nie zu versiegen scheinen. Mehrfach hat der Suhrkamp Verlag versucht, die Werke dieses Autors in Deutschland zu lancieren, hat mit "Ein Tag, ein Leben" und "Der Widerborst" möglicherweise die falschen Einstiegsbücher gewählt, um dann 1995 doch noch Erfolg zu haben. Damals verlegten die Frankfurter "Der Anwalt der Hähne", Band vier des Zyklus' "Die zahnlose Zeit". Dieser Roman, in dem van der Heijden Politik und Gesellschaft der 80-er Jahre in den Niederlanden mit dem Leben und Scheitern eines Mannes kreuzt, hat den Autor hierzulande aus dem Dasein des ewigen Geheimtipps befreit. 1998 erschien ein weiterer Teil der "Zahnlosen Zeit", der Roman "Fallende Eltern", und in diesem Frühjahr nun "Das Gefahrendreieck".

Dass Suhrkamp diese Tetralogie in einer wahrhaft konfusen Reihenfolge veröffentlicht, gesteht der Verlag mittlerweile ein, indem er auf der Impressumseite selbstbewusst kundtut: "Die zahnlose Zeit" ist ein großer, vielbändiger Romanzyklus, ein Welttheater, dessen einzelne Teile dank ihrer Akteure aufeinander Bezug nehmen, aber zugleich - wie andere große Zyklen der Literatur - vollkommen selbständig und in beliebiger Reihenfolge gelesen werden können." Damit hat man sich selbst einen Freibrief ausgestellt, auch künftig den Schlingerkurs im Editionsplan beizubehalten.

In "Das Gefahrendreieck" geht es um den Philosophiestudenten Albert Egberts, der im Haus seiner Eltern sitzt, um sich auf sein Zwischenexamen vorzubereiten. Unter anderem paukt er euklidische Geometrie, weshalb er sich mit dem Phänomen des Dreiecks auseinandersetzt. Plötzlich unternimmt er eine Zeitreise in seine Kindheit. Diese nämlich war geprägt von eben einem Dreieck, das begrenzt wurde durch eine Bahnlinie, einen Kanal und eine Straße. In diesem Areal lebte er mit seiner Familie, lernte er andere Kinder kennen, beobachtete er die Nachbarn und Geschäftsleute, das Treiben auf den Straßen und in den Gärten. Hier wurde ihm die grausame Welt vermittelt, in der Kinder schreckliche Streiche spielen und Schweine laut quiekend geschlachtet werden. Alberts Kindheit war vor allem geprägt durch die Sauf- und Prügelexzesse seines Vaters, durch die Ängste, die dieser Tyrann bei der Familie schürte, durch sein allzeit drohendes Messer und seine unkalkulierbaren Handlungen. Van der Heijden lässt nichts aus, beschreibt zahlreiche Möglichkeiten, des menschliche Körpers, sich seiner diversen Flüssigkeiten auf alle erdenklichen Arten zu entledigen. Man könnte hier von einer Ästhetik des Ekels sprechen und beschönigte damit diese Prosa noch. Von der Innenwelt einer Person oder Familie wechselt van der Heijden in den sozialen Kontext. So entwickelt er beispielsweise minutiös, wie der allmächtige Philipskonzern, der eine ganze Region beschäftigt und versorgt, in jeden Winkel des Privatlebens eindringt.

Kindheit, Schule, Studium - Albert verlässt seine Heimat, um in Nimwegen zu studieren, wo er ein anderes Leben erlebt; ein Leben, das nun von politischen Ideen beeinflusst wird und dadurch den Reifeprozess der Hauptfigur dokumentiert. Die körperliche und sexuelle Reife will er hier erlangen, hatte er doch schon in der Pubertät ganz erhebliche Probleme, Zweifel und Schuldgefühle, die ihn auch nach Nimwegen begleiten.

Die Spannung ist enorm. Nachdem man "Der Anwalt der Hähne", "Fallende Eltern" und nun den zweiten Band lesen konnte, will man natürlich wissen, was Albert und seinen Freunden im dritten Band wiederfährt. Hoffentlich dauert das Warten nicht allzu lange.

Titelbild

Adrianus Fr. Th. van der Heijden: Das Gefahrendreieck. Roman. Aus d. Niederländ. v. Helga van Beuningen.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
530 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3518411357

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