Widerstand, Liebe, Tod und Gottvertrauen

Helmuth James und Freya von Moltke: „Abschiedsbriefe aus dem Gefängnis Tegel. September 1944 bis Januar 1945“

Von Jürgen SchmädekeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Schmädeke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dies ist ein in mehrerer Hinsicht außergewöhnliches, bemerkenswertes Buch. Es ist Zeugnis einer zutiefst moralisch-religiös  fundierten Gesinnung, die zu politischem Widerstand gegen das nazistische Unrechtsregime führte. Es zeigt, wie zwei Menschen einander in unerschütterlicher Liebe auch in aussichtsloser Situation Halt geben und es dokumentiert, wie beides in einem Gottvertrauen wurzelt, das über jede irdische Sinn- und Vernunftfrage hinausführt und für Verzweiflung keinen Raum lässt.

Helmuth James Graf von Moltke, geboren am 11. März 1907, war ein  Urgroßneffe des preußischen Generalstabschefs der „Einigungskriege“ 1864-1871,  Helmuth von Moltke, der das Gut Kreisau in Schlesien 1867 erworben hatte. Seit 1929 war er als dritter Gutserbe wie schon sein der „Christian Science“ verbundener Vater  kein typischer preußischer Junker. Auch seine Mutter Dorothy Rose Innes, Tochter eines südafrikanischen Obersten Richters mit schottischen Wurzeln, entsprach nicht dem Klischee. 1931, zwei Jahre nach der Übernahme der Verantwortung für das fast insolvente Gut, heiratete Helmuth James die Kölner Bankierstochter Freya Deichmann. Beiden gemeinsam gelang es, das Gut zu retten. Zugleich absolvierten beide ein Jura-Studium, das sie 1935 mit der Promotion,  er 1934 mit dem Assessor-Examen und 1938 zusätzlich in London als Anwalt (Barrister) abschloss, dies auch als eine Art Rückversicherung für den Fall der Emigration.

Die „Machtergreifung“ Hitlers bedeutete 1933 auch für Moltke, beruflich wie politisch, eine tiefe Zäsur. Als Anwalt in Berlin vertrat er viele – oft jüdische – Klienten, die (wie es in einer dem Briefwechsel nachgestellten „Biographischen Notiz“ heißt) „sich selbst und ihr Vermögen aus Deutschland außer Landes retten wollten“. Nach dem Kriegsausbruch 1939 wurde er Kriegsverwaltungsrat und Sachverständiger für internationales Recht in der Abteilung Ausland des Oberkommandos der Wehrmacht, dem späteren Amt Ausland/Abwehr unter Admiral Canaris, der zahlreiche Widerstands-Aktivitäten förderte und im Februar 1944 seines Amtes enthoben wurde. Schon im Vormonat war Helmuth James von Moltke verhaftet worden.

Seit 1940 hatte sich um Moltke und Peter Graf Yorck von Wartenburg die von der Gestapo als „Kreisauer Kreis“ bezeichnete Widerstandsgruppe gebildet, der – so fasst es die biografische Notiz zusammen – „Menschen unterschiedlichster Herkunft und Orientierung: Sozialisten, Großgrundbesitzer, Gewerkschafter, Kapitalisten, Sozialdemokraten sowie katholische und evangelische Christen und Kirchenvertreter“ angehörten, die „über eine grundlegende Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Nationalsozialismus“ diskutierten. Insbesondere Moltke lehnte indes ein Attentat auf Hitler, wie es am 20. Juli 1944 stattfand, prinzipiell ab. Das rettete ihn und andere „Kreisauer“ nicht vor Anklage, Todesurteil und Hinrichtung, als nach dem 20. Juli 1944 deren Verbindungen zu den Attentätern aufgedeckt wurden. Am 28. September wurde er, bis dahin „Schutzhäftling“ im Konzentrationslager Ravensbrück, ins Strafgefängnis Berlin-Tegel gebracht, wo er bis zur Hinrichtung mit seiner Frau dank der Hilfe des Gefängnispfarrers Harald Poelchau eine fast tägliche Korrespondenz führen konnte. Sie nimmt in diesem Band rund 500 eng bedruckte Seiten ein, beginnend am 29. September 1944 in Erwartung eines schnellen Prozesses und Todesurteils, das dann aber erst am 11. Januar 1945 von Roland Freisler gefällt wurde, endend am Hinrichtungstag, dem 23. Januar 1945, mit einem unvollendeten Brief Freyas, der ihn nicht mehr erreichte. Im Ganzen ist das ein wechselseitiger Abschiedsbrief, der sich über fast vier Monate zwischen Todesgewissheit und nie ganz versiegender Hoffnung auf Rettung hinzieht.

„Ich bin wahrlich kein Heroe, habe auch keine Lust zu sterben“, schreibt er am 4. Januar 1945, „aber irgendwie wird es mir schon gelingen, dass ich keinen Augenblick vergesse, dass ich in Gottes Hand bin und bleibe, ja ganz fühlbar in seine Hand zu fallen im Begriff bin. Er wird mir schon dazu helfen. […] Noch aber dürfen, ja müssen wir bitten, dass Gott mein Leben erhalten möge, da seine Handlungen über dem Kausalgesetz stehen und unabhängig von ihm sind, so gibt es genau so wenig einen Grund, warum er mich umbringen lassen will, wie es einen Grund gibt, warum er mich leben lassen will. […] wenn wir nur fähig wären, uns die Welt ohne Kausalgesetze vorzustellen, wäre das Glauben überhaupt viel leichter. Aber das können  wir eben genau so wenig, wie wir aus Raum und Zeit heraus können.“

So stehen dann neben gegenseitigen Berichten über die tägliche Bibellektüre, daraus gewonnene Tröstungen und stete Bekundungen des „Gefühls innerer Verbundenheit“ trotz der räumlichen Trennung und über den erwartbaren Tod hinaus ganz reale Wünsche nach Schokolade, Obst oder frischer Wäsche und konkrete Ratschläge zur Bewirtschaftung des Gutes Kreisau, für das Freya schon bald nach der Hochzeit die Hauptverantwortung übernommen hatte. Nicht zuletzt geht es immer wieder um Versuche, das Schicksal durch Kontakte mit einflussreichen Vertretern des Regimes und zuletzt durch Gnadengesuche zum Besseren zu wenden.

Die ganze Schwankungsbreite der Gefühle und Gedanken zeigt auch Freyas Brief vom 13. Januar, nach Kenntnis des Todesurteils: „Von mir verlangt Gott nur die Hingabe an ihn, an Dich und auch an viele andere Menschen, alles Andere wird er so fügen, dass es richtig und erträglich für mich ist, […] und so werde ich nun auch Deinen Tod erleben, wenn er kommt, und das alles nur dank seiner Güte und Hilfe und Gnade, die er mir schenkt, ohne dass ich selbst darum bitte.“

Und im selben Brief schreibt sie dann ganz realistisch: „Deinen Haftbefehl und die ev. Benachrichtigung von Deinem Tode lasse ich mir in russisch übersetzen. Das kann mir vielleicht mal nützen.“ Die sowjetischen Truppen rückten Kreisau immer näher.

Nach Kriegsende blieb Freya von Moltke mit ihren beiden 1937 und 1941 geborenen Söhnen  Helmuth Caspar und Konrad noch bis zum Herbst 1945 unter polnisch-russischer Verwaltung in Kreisau, kam dann nach Berlin, zog 1947 bis 1956 mit den Söhnen zu den Schwiegereltern in Südafrika, kehrte nach Deutschland zurück und übersiedelte schließlich 1960 zu Eugen Rosenstock-Huessy im US-Bundesstaat Vermont. Sie nahm aber immer wieder an Veranstaltungen zum Widerstand vor allem in Berlin teil und unterstützte nach dem Fall der Mauer die Umwandlung Kreisaus in eine Stiftung für deutsch-polnische und europäische Verständigung. Am 1. Januar 2010 starb sie mit 98 Jahren. Ihr Sohn Helmuth Caspar hat zusammen mit Ulrike von Moltke, der Witwe des 2005 gestorbenen Sohnes Konrad, diesen Briefwechsel herausgegeben.

Titelbild

Helmuth James / Freya von Moltke: Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944 - Januar 1945.
Herausgegeben von Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke.
Verlag C.H.Beck, München 2011.
608 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406613753

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