Nachrichten mit unsichtbarer Tinte

Colin Cotterill schreibt mit Dr. Siris neuem Fall eine rechte Räuberpistole

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was macht ein Blinder mit einem Brief? In dem noch dazu nichts steht, ein leeres Blatt? Regelmäßig kam der alte Mann mit dem Bus in die Stadt gefahren, ging durch die Straßen zum Postamt, holte den Brief aus seinem Postfach und fuhr zurück. Bis er eines Tages von einem Holzlaster überfahren wird und auf dem Tisch des Pathologen Dr. Siri Paiboun landet.

Damit beginnt ein Fall, der den alten Dr. Siri wieder einmal in höchste Gefahr bringt. Wie auch seinen Freund, den Polizisten Phosy („Ich bin ein einfacher Klebreis-und-Stockfisch-Polizist“) und seine Krankenschwester Dtui, die eigentlich nach Russland wollte, um dort Medizin zu studieren. Diesmal rettet Dr.Siri das kommunistische Laos vor einem Umsturz. Denn der Brief ist natürlich nicht leer, sondern mit unsichtbarer Tinte geschrieben. In einem Code, den sie natürlich entschlüsseln können: Es ist eine Liste von Namen, einige sehr hochrangige sind dabei, Minister, Generäle. Wem kann man da noch trauen, wem kann man sich anvertrauen?

Aber dann kommt praktischerweise noch ein anderer Fall hinzu: In Pakxe im Süden von Laos ist der stellvertretende Gouverneur in der Badewanne gestorben, durch einen Stromschlag. Es könnte diplomatische Verwicklungen geben, fürchtet man, denn kurz zuvor hat er von der sowjetischen Botschaft einen Tauchsieder geschenkt bekommen, mit dem man Badewasser aufheizen kann: „Und zack, war es um ihn geschehen.“ Und nun bezichtigt der Gouverneur die Russen, seinen Stellvertreter ermordet zu haben, indem sie den Tauchsieder manipuliert haben. Also fährt Dr. Siri nach Pakxe: Denn dort waren die Briefe an den Blinden abgestempelt worden, und er kann, ausgestattet mit den höchsten Privilegien, gleich beide Fälle untersuchen (wobei der des zu Tode gekommenen Stellvertreters quasi innerhalb von Minuten aufgeklärt ist).

Der neue Krimi von Colin Cotterill ist eine rechte Räuberpistole. Schon nach dem letzten Buch hatte man das Gefühl, Cotterill hätte sich leergeschrieben, so disparat war der Roman. Der neue ist ein bisschen stringenter, aber insgesamt driftet Cotterill in seiner Reihe immer mehr in Richtung laotischer James Bond ab, allerdings ohne die Verfolgungsjagden und technischen Gimmicks von Q. Dabei hat seine ganz spezielle Konstellation eigentlich einen besonderen Charme: ein älterer Arzt, der als Pathologe arbeiten muss, obwohl er doch nach all den Kämpfen eigentlich den Kommunismus genießen will, der sich mit Toten unterhält, einen uralten Geist in seinem Körper beherbergt und immer wieder von anderen Geistern angegriffen wird. Dr. Sirir sieht die kommunistischen Errungenschaften sehr kritisch. Vor allem die Korruption und die um sich greifende Inkompetenz, die immer neue Blüten treibt. Dieser ganz besondere Charme kommt eigentlich nur noch in den Nebengeschichten vor, in den Unterhaltungen zwischen Siri, Phosy und Dtui, in denen auch immer wieder ein abstruser Humor aufblitzt.

Es scheint fast, als würde Cotterill seinen eigenen Figuren und ihrem Geisterglauben nicht mehr so recht trauen. So taucht zwar ein Wahrsager auf, ein Transvestit, der immer recht hat und selbst den skeptischen Siri überzeugt, aber die Geister, die Toten, die einmal so prominent die spezielle und einzigartige Atmosphäre in den ersten Romanen bestimmt haben, spielen jetzt keine Rolle mehr. Aber leider wird so aus einer außergewöhnlichen Detektivfigur ein zwar skurriler, aber im Chor der skurrilen Ermittler doch wieder fast normaler Mensch. Und das ist sehr schade.

Titelbild

Colin Cotterill: Briefe an einen Blinden. Dr. Siri ermittelt.
Übersetzt aus dem Englischen von Thomas Mohr.
Goldmann Verlag, München 2011.
314 Seiten, 17,99 EUR.
ISBN-13: 9783442546800

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