Hinweis: Sigrid Löfflers Verteidigung der Literaturkritik
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit dem 18. Jahrhundert, also seit sie sich als Institution etabliert hat, kommt die Literaturkritik alle Jahre, wenn nicht Monate, wieder ins Gerede. "Die Debatte um den Zustand der Kritik, das larmoyante Klagen über ihren Verfall ist wohl mindestens so alt wie die Kritik selbst." Das konstatieren die Herausgeber eines Buches, das als Begleittext zur neusten Debatte empfohlen werden kann. Die Beiträge gehen zwar auf eine Tagung zurück, die schon im Herbst 1996 stattfand, doch die anscheinend chronische Krise der Literaturkritik hat sich seither kaum verändert. Neben Aufsätzen über "Literaturwissenschaft und Literaturkritik" (Schmidt-Dengler), "Schlegels Bedeutung für die Literaturkritik" (Bernhard Fetz), die "Literatur der Jahrhundertwende" (Konstanze Fliedl), "Feministische Literaturkritik" (Christa Gürtler), die "SWF-Bestenliste" (Jürgen Lodemann) oder den Bachmann-Preis (Klaus Amann) steht Sigrid Löfflers Beitrag mit dem Titel: "Die versalzene Suppe und deren Köche. Über das Verhältnis von Literatur, Kritik und Öffentlichkeit".
Über ein desillusionierendes Schlüsselerlebnis berichtet Löffler: eine eilig gefaxte Anfrage der Redaktion von "Cosmopolitan" oder "Vogue" (ganz genau will sie sich nicht erinnern): "Können Sie für uns Susan Sontags Roman 'Der Liebhaber des Vulkans' besprechen?" Und weiter: "Das Buch erscheint im Hansa Verlag. Es hat 550 Seiten. Wir bieten Ihnen ein angemessenes Honorar. Ihre Rezension sollte eine Länge von ein bis drei Zeilen haben." Das scheint symptomatisch für einen neuesten Medientrend zu sein: Inkompetenz, gepaart mit "Vereinfachung und radikaler Verkürzung". Der Trend zielt auf Abschaffung der Kritik. "Die schnelle Meinungsbefragung von Prominenten ersetzt die kritische Meinung", das Modell der Hitparade werde auf alle Kulturbereiche übertragen, der kritische Diskurs abgelöst "durch journalistische Straßenverkehrstafeln".
Gegen die Abneigung gegen Kritik sind allerdings selbst Berufskritiker nicht gefeit. "Manche Kritiker können sich selbst so wenig leiden, daß sie ihr eigenes professionelles Tun hämisch an ihren Kollegen ahnden." Löfflers Kulturpessimismus bleibt freilich nicht resignativ. Der Beitrag endet mit klugen Beschreibungen zur Position des Kritikers im Literaturbetrieb und mit einem offensiven Aufgabenkatalog. Liegt es einerseits im Interesse des Literturbetriebs, "sich den Kritiker in seinen Urteilen dienstbar und verfügbar zu machen", so ist andererseits "ein instrumentalisierter Kritiker für den Literaturbetrieb wertlos, weil er keine Glaubwürdigkeit besitzt. Und nur ein glaubwürdiger, also autonomer, unabhängiger Kritiker ist in der Öffentlichkeit eine Instanz." Die Buchindustrie braucht den Kritiker für die Reklame, doch wer zum Daueragent ihrer Werbung geworden ist, verliert für sie an Wert.
Gegen Aufgaben, die Löffler dem unabhängigen Kritiker zuschreibt, ist wenig einzuwenden: Kritik soll "Lust auf Literatur machen", soll "plausibel und nachvollziehbar", "streitbar und begründet" sein. Sie sollte einen Gegenkanon zu den gängigen Bestsellerlisten ausstellen und so als Markt-Korrektiv wirken. Kritik darf sich vom Druck des Marktes nicht beherrschen lassen und sollte die Kritikfähigkeit auch des Publikums gegenüber Marktstrategien schärfen. "Und last not least sollten Kritiker die eigene Bevormundungsposition gelegentlich selber in Frage stellen".
Was hat das alles mit dem Titel des Beitrags zu tun? Er richtet sich gegen die verbreitete Vorstellung vom Kritiker als Schmarotzer, der, selbst unschöpferisch, von der Kreativität anderer lebt. Doch: "Wie schon Lessing festgestellt hat, muß man nicht selber kochen können, um erkennen zu können, ob eine Suppe versalzen ist."
T. A.
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