Ein Schritt nach vorne, einer zurück
Peter Stamm beschreibt in seinem Erzählband „Seerücken“ das Leben von Menschen mit großer Trauer
Von Monika Stranakova
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseVieles ist sehr schlicht in den Texten von Peter Stamm. Nehmen wir zunächst das Augenfällige – die Sprache. Kein schmückendes Beiwerk, kein syntaktisch komplexeres Gefüge, kein Palavern. Seine Erzählungen sind im gewissen Sinne die Petits Fours der deutschsprachigen Literatur. Sie lesen sich flott. 20 Seiten Länge hin oder her.
Ebenso schnörkellos ist auch, wovon erzählt wird. Das wahre Leben – denn um nichts weniger geht es – kommt einem unausweichlich normal und beschränkt vor. Kalte Ravioli aus der Büchse eben. Die Waghalsigen sind bei Stamm immer die, die den entscheidenden Schritt nach vorne riskieren, um dann, wenn nicht in ihrem früheren Alltagstrott, doch außerhalb des Beabsichtigten zu landen. Um ein sprachlich und thematisch dermaßen reduziertes Erzählen würdigen zu können, braucht man ein geübtes Auge fürs Detail. Denn in ihm steckt, so lehrt die Erfahrung, das Geheimnis der Stamm’schen Prosa.
Der Erzählband „Seerücken“ versammelt zehn Geschichten dieser Sorte. In der Auftakterzählung „Sommergäste“ wählt ein Slawist die Abgeschiedenheit eines Kurhotels, um einen Beitrag für den Druck vorzubereiten. Was er dort vorfindet, ist eine seltsame, junge Frau in einem sonst menschenleeren Haus ohne Strom und Wasser. Er bleibt trotzdem – das Leben ist manchmal spannender als die Literatur – und wird prompt mit der Sinnlosigkeit seines beruflichen Tuns und der Trostlosigkeit seines bisherigen Lebens konfrontiert.
Dass gute Literatur wiederum dazu neigt – banal, aber wahr –, zum Leben zu werden, beweisen auch drei weitere Erzählungen des Bandes. In allen dreien geht es um persönliche Krisen, die man sich (noch) nicht eingesteht. Statt über ihre erkaltete Liebe zu reden, macht sich ein Ehepaar in „Der Lauf der Dinge“ die Italienreise mies, schweigt und nörgelt abwechselnd. Längst hat sich ihr gemeinsames Leben, so ihr Empfinden, aufs Essen und Ausscheiden reduziert. Erst der Unfall im benachbarten Ferienhaus – während die beiden einen Ausflug machen, überfährt der Vater versehentlich eins der Kinder – reißt sie aus ihrer Lethargie.
In „Das Mahl des Herrn“ findet ein Pfarrer keinen Zugang zu seiner neuen Gemeinde und krümmt sich sonntags vor Krämpfen. Nichts kann ihn vor dem Scheitern bewahren und so predigt er eines Tages in einer leeren Kirche. Die Klavierlehrerin dagegen, der in „Der letzte Romantiker“ das Talent zur Konzertpianistin fehlt und deren bester Schüler schließlich das Schwimmen der Musik vorzieht, zerhackt in ihrem Drang, wenigstens etwas an ihrem Leben zu verändern, den Riesenphilodendron neben ihrem Klavier.
Manche Geschichten, wie etwa „Seerücken“ von einem jungen Biobauern am Bodensee, der in einem raren Moment der Zweisamkeit mit einer jungen Frau seine Chance auf mehr nicht nutzt, überzeugen dagegen weniger. Die seltsame Geschichte von einem Mädchen (und einem Jäger), das von seinem Umfeld unbemerkt drei Jahre unter einer Militärplane „im Wald“ lebt, wo ihr die Leute einschließlich ihrer alkoholkranken Eltern nichts anhaben können, wirkt eher unausgereift. Was die persönlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten der Stamm-Figuren übersteigt, markieren erwartungsgemäß Halluzinationen und surreale Sequenzen.
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